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Die Stadt des 21. Jahrhunderts

Nach den selbstherrlichen Architektursünden der Sechziger- und Siebzigerjahre waren städteplanerische Großkonzepte verpönt. Gewachsene urbanen Lebensräume mit kurzen Wegen, sichtbarer Geschichte, Öffentlichkeit und Weltoffenheit standen dagegen hoch im Kurs. Dieses gewachsene statt am Reißbrett entwickelte Konzept dient heute als Leitbild für aktuelle Stadterweiterungen - Beispiele zeigt derzeit das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main.

Von Beatrix Novy |
    "Hier die Elbphilharmonie, das wird wohl noch dauern."

    Auch Hamburgs Hafen City ist ein Beispiel neuer Urbanität, um auf deutsch zu sagen, was das Deutsche Architekturmuseum mit New Urbanity meint: Die großen Erweiterungsprojekte europäischer Städte, die sich alle ihren eigenen Bilbao-Effekt erhoffen.

    "Bekannt ist Bilbao geworden durch den spektakulären Bau von Gehry, der diesem ganzen Areal den Impuls gegeben hat und das ist das was man als Bilbao-Effekt bezeichnet."

    Das Guggenheim-Museum von Frank Gehry sollte nie das Ufo in einer industriegeprägten Umgebung bleiben, als dass es vor elf Jahren in der bis dahin wenig bekannten Hafenstadt Bilbao landete. Einen Revitalisierungsplan gab es seit 1992, inzwischen sind die schwerindustriellen Erblasten, die Hafen, Industriegebiet und Geschäftsstadt zerfurchten und voneinander trennten, beseitigt oder historisch eingehegt, Fußgängerbrücken verbinden die Ufer des Flusses, die von Promenaden gesäumt sind und wo auch Arata Isozakis Bürostadt entsteht. Und...

    "...was aktuell fertig geworden ist, ist eine Bibliothek von Rafael Moneo."

    Große Namen und Marken sind heute die Hoffnungsträger für die ökonomische Lebensfähigkeit eines neuen Quartieres.

    "Es liest sich eher wie eine Kollektion des Who-is-Who."

    Was schon die Frage aufwirft, wie sich Stararchitektur mit städtebaulichen Projekten verträgt. Ist der kleine Architektenstreit in Bilbao nicht typisch, als Santiago Calatrava mit der Anbindung des Platzes vor Isozakis gläsernen Türmen an seine Brücke nicht einverstanden war?

    "Wir haben Beispiele, wo namhafte Architekten bauen, aber im Kontext, wo also wirklich die Nutzung des Raums und die Typologie des Ortes im Vordergrund steht, die wird von namhaften Architekten gemacht, aber ohne sich in den Vordergrund zu spielen."

    Außer Bilbao hat auch London sein Flussufer entdeckt und aus dem Bereich an der südlichen Themse ein "Paradebeispiel des nachmodernen Stadtumbaus" gemacht; Oslo transformiert seine Hafengebiete in einem gigantischen, bis ins Jahr 2030 terminierten Projekt, dessen Wahrzeichen jetzt schon das neue Opernhaus ist. Aber nicht nur eine glückhafte Lage am Wasser liefert Impulse für die Aufmöbelung der Städte.

    Turin hat sein Olympisches Dorf von 2006 zum Stadtquartier umgebaut. Kopenhagen nimmt seine notwendige Stadterweiterung mit dem Projekt Orestad fest in die Hand. Auch Beispiele für Wiederaufbau und das umstrittene Thema Rekonstruktion sollten in der Ausstellung nicht fehlen, deshalb sind Berlin und Dresden dabei - und Manchester. Dort war es allerdings eine Bombe der irischen Untergrundbewegung, die 1996 die Innenstadt von einer brutalen städtebaulichen Sünde der Nachkriegszeit befreite; hier wurde der heimliche Wunsch so mancher betongefrusteten Stadtbewohner wahr, und da es keine Todesopfer gab, darf man sich darüber freuen, dass Manchester nun die räumlichen Bezüge seiner Stadtgeschichte wieder erschließen konnte.

    "Wichtig war, dass die Quartiere angebunden sind an die bestehenden Strukturen und den europäischen Städtebau im besten Sinn fortschreibt."

    Annette Becker sieht die Ausstellung wie ihre Mitkuratorin Karen Jung dem Leitbild der europäischen Stadt verpflichtet

    "Das heißt verkehrstechnisch, strukturell, im Aufnehmen der historisch gewachsenen Stadtstruktur, die Möglichkeit eines urbanen Lebens, die Erzeugung urbanen Lebens und ausgezeichnete Architektur."

    Und die immer mitgeplanten Kulturbauten und Entertainmentzugaben. Die Stadt mit ihrer feinkörnig gemischten Struktur hat mit dem Rückzug der Industrie eine neue Chance bekommen: Arbeit stinkt und lärmt nicht mehr. In der sehr anschaulich gestalteten Ausstellung flaniert der Besucher zwischen Modellen und Fotowänden und weiß doch nicht, ob hier städtisches und erschwingliches Leben entstanden ist. Da springt der Katalog ein, sagt Museumsleiter Peter Cachola Schmal.

    "Wir haben das versucht, indem wir Experten in die Städte geschickt haben, die als Flaneur berichten, wie die Stadt funktioniert, wie es war dort."

    Wie schwer es ist, in einem geplanten Quartier das komplizierte Gefüge aus Funktion und Gestaltung herzustellen, aus öffentlichem und privaten Raum, Ökonomie, Architektur und Städtebau, das beweist eine lange Geschichte des Scheiterns von Ideal- und Musterstädten, einige davon dokumentiert die Ausstellung. Andererseits ist die "gewachsene" europäische Stadt immer auch das Ergebnis einer ordnenden Hand gewesen.