Die Stadt und die Menschen

Stalingrad ist eine Stadt des Grauens und Schreckens geworden, eine Stadt in Schutt und Asche.

Von Peter Lange |
    Der Gefreite Gustav Adolf Alberts am 21. September 1942

    Ganze Arbeiterviertel u. Fabriken sind restlos niedergebrannt. Der Bevölkerung steht jetzt noch der Schrecken auf der Stirn gemalt. Sie sind obdachlos geworden. Gleichgültig kramen sie in ihren Schutthaufen herum, ob nicht doch noch irgend ein Kleidungsstück unversehrt geblieben ist. Traurige Zustände. Auf der Wolga sind lediglich Trümmer von Tankern oder sonstigen Schiffen zu beobachten.

    Alberts fällt fünf Monate später in Stalingrad. - Schon bevor die sowjetische Armee ihren Ring um die deutschen Truppen schließt, ist die Industriestadt an der Wolga in einem Maße zerstört, wie es die Soldaten aus Deutschland – noch – nicht kennen.

    Ich habe nun schon allerhand an Zerstörungen im Laufe meiner bald 3jährigen Soldatenzeit gesehen, doch was sich hier für ein Chaos zeigte, überbot alles bisherige. Trümmer, Trümmer und nochmals Trümmer, aber auch nicht ein ganzes Haus bot sich unseren Augen.

    Der Obergefreite Karl Bühler beschreibt am 18. November seine Eindrücke von Stalingrad. Zwei Monate später ist er verschollen.

    In den Wracks von Wohnungen fanden wir u.a. eine junge Frau, mit Lumpen bedeckt, die in ihren letzten Zügen gelegen sein mochte und m.E. den Hungertod fand, denn nirgends war eine Menschenseele. Sicherlich war schon wochenlang niemand mehr in diese eingestürzte Bude gekommen (einfach furchtbar). Um 1 Uhr hatten wir den LKW voll und bei Einbruch der Dunkelheit waren wir wieder hier bei unserem Haufen angelangt.

    Auch der Soldat Hans Michel gehört zu denen, die über das Ausmaß der Zerstörung entsetzt sind und die sich den Blick für das Leiden der Zivilbevölkerung bewahrt haben:

    Draußen weht Schneeluft, aber es ist nicht mehr so kalt, wie es schon war. In dem Viertel von Stalingrad sind sehr nette Häuser gestanden, die Leute waren wohlhabend, aber es ist alles zerstört, es ist furchtbar. Ich denke oft an Euch, wenn ich so kaputte Spielsachen, Puppen, Schaukelpferde, Christbaumschmuck u.s.w. zwischen den Trümmern finde. Zwischendrin liegen tote Russen, die zum Teil von wildernden Katzen angefressen sind. Es lässt einen kühl, man steigt kalt darüber hinweg (...) Unten am Ufer sieht man die Reste der Geschützfabrik und des Traktorenwerks. Wir sind am nördlichen Teil von Stalingrad. Weiter südlich sieht man die Reste einer riesigen chemischen Fabrik. Die Stadt zieht sich kilometerweit längs der Wolga entlang, alles zerstört . (...) Es ist in ganz Stalingrad, eine Stadt wie Stuttgart, kein ganzes Haus.

    Mitleid mit der Zivilbevölkerung, manchmal auch ein leises Erstaunen darüber, dass die Menschen doch nicht dem Bild entsprechen, das ihnen von der Propaganda eingehämmert worden ist. Theodor Pausch, ein Feldpostinspektor:

    Bei einem Schlachttrupp der Schlächtereikompanie haben wir das uns zustehende Fleisch geholt. Der Trupp schlachtet in einer Scheune täglich etwa 18 Stück Rindvieh. Ein Haufen Russen, Frauen, Mädchen und Kinder standen vor der Scheune, die sich sofort auf das Gekröse und die Därme stürzten, den Dreck herausmachten und das Hautzeug mitnahmen. Beinahe hätte es noch eine Schlägerei zwischen den Weibern gegeben. Kinder saßen auf den zum Trocknen ausgebreiteten Häuten und schabten noch Fettreste ab! Dabei waren es gut angezogene Frauen und Mädchen und ganz nette, saubere Kinder, jedenfalls Flüchtlinge aus Stalingrad. Der Hunger muss doch wehtun!

    Auch Pausch gehört später zu den Vermissten dieses Krieges. Russische Zivilisten arbeiten – freiwillig oder zwangsweise – für die deutsche Armee. Über die Begegnung mit "dem Russen" schreibt der Major Hugo Sigle:

    Ich bin im Stande, unter meinen "eigenen Russen" d.h. solche, die schon lange bei mir arbeiten, derart anständige Handlungen in Haltung, Tat und Gebärde herauszuholen, die so ehrlich sind, wie bei unseren anständigen Leuten zu Hause. Ich habe so Niklasgesichter hier, denen ich meine Kinder glatt anvertrauen würde. Aber auch ganz junge Kerle, vor ein paar Tagen übergelaufene, die ich bei mir behalten habe, die grüßen mich und schaffen für sechs. Zwei Alte stehen jeden Morgen um halb sechs an meinem Unterstand, lauern bis ich herauskomme, um dann meine Zigarrenstumpen in Empfang zu nehmen. Carósche Pam major, spasiba, spasiba, und dann beteuern sie, dass sie viel arbeiten werden und alles tun und bekreuzigen sich. Schliefen die Nacht im Erdloch oder einer Hundehütte und haben gequollenen Roggen gefressen und morgens einen Becher heißen Tee mit etwas Brot. Dieses Volk ist hart und anspruchslos. Man kann was aus ihm machen.

    Auch Hugo Sigle wird den Krieg nicht überleben. Und eine andere Erfahrung: Die russische Zivilbevölkerung ist hilfsbereit selbst gegenüber Soldaten des Feindes. Aus einem Brief des Sanitätssoldaten Paul Gerhard Möller:

    In einem Hause bei einer Ingenieursfamilie bekamen wir wundervoll starken Tee, auf echt russische Art auf dem Samowar gekocht. Dazu gab es Brötchen aus Roggenmehl: Fein im Geschmack. Es ist bewegend, wie die Leute von ihrem Wenigen, das sie haben, uns abgaben, weil sie sahen, dass wir Hunger hatten.

    Der Soldat Hans Michel ist Ende November noch ein zweites Mal in der Ruinenstadt, bevor sich auch seine Spur verliert.

    Es ist ganz furchtbar, wenn man sieht, was hier alles zerstört wurde. Wenn man so die Trümmer der zerstörten Häuser sieht, die meisten sind ja verbrannt, aber in den bloß zerstörten habe ich Furchtbares gesehen. Im Allgemeinen sind ja die Zivilleute weggekommen, haben aber fast alles hinterlassen. Die Wohnungen sind sehr eng und klein, waren aber meist gut eingerichtet, da findet man noch allen möglichen Hausrat, Kinderschuhe, Spielsachen, Betten (...), aber meist alles zerstört. Christbaumschmuck haben wir auch gefunden, aber noch keinen Weihnachtsbaum. Die Leute standen hier auf der Höhe der Zivilisation.