Hohler beherrscht nicht nur die Kunst des Andeutens und Hinauszögerns, er erweitert die engere Novellenhandlung auch um Bilder aus dem sozialen Leben der Arbeiter und Bergbauern. 150 von ihnen sind in der einzigen Fabrik von Elm beschäftigt mit dem Abbau von Schiefer. Ist es nicht dieser Eingriff in die Natur, stellt Franz Hohler zwischen den Zeilen die Frage, der die "Steinflut" von Elm, die das Unterdorf unter sich begrub, auslöste? Warnungen wurden nicht ernst genommen. Angewiesen auf ihren Verdienst aus der Schiefergrube, lachten Arbeiter einen Förster aus, der die Sprache der Natur zu lesen verstand und die sofortige Räumung aller Häuser dringend anriet.
Im Werk des Allround-Künstlers Hohler werden Geschichten erzählt, in denen Alltägliches und Gewöhnliches plötzlich Eigenartiges und Bedrohliches zeigen. Scheinbar Normales wird ins Absurde und Groteske gesteigert; Sonderbares geschieht; Surreales erwächst aus Realem. So beginnen in der Erzählung "Die Rückeroberung" mitten in Zürich plötzlich Adler zu nisten, breiten sich Hirsche, Wölfe, Schlangen und Bären aus und wird die aus Asphalt, Beton und Mauerwerk gefügte Stadt von Schlingpflanzen überwuchert - das heißt die Natur erobert sich zurück, was ihr genommen wurde. Auch in Hohlers konventionell-solide erzähltem Roman "Der neue Berg" setzt sich die Natur zur Wehr gegen Belastung und Zerstörung. Ihre Unzufriedenheit kündigt sie in einer Vorstadt Zürichs mit einem harmlosen Erdbeben an, das ein paar Risse auf einem keltischen Hügelgrab hinterläßt. Die Natur, scheint es, revoltiert damit gegen S-Bahnbau, Atomkraftwerk und Luftverschmutzung - doch die Verantwortlichen, angeleitet von einem naiv-unerschütterlichen Fortschrittsglauben, ignorieren diese Warnungen solange, bis schließlich ein Vulkanausbruch Tausende in den Tod reißt und einen neuen Berg hervorbringt.
Was Franz Hohler in seinem 434 Seiten langen Roman "Der neue Berg" ausführlich und figurenreich darstellt, nämlich daß sich Natur nicht folgenlos schänden läßt, hat er in "Die Steinflut" in eine makellose novellistische Kurzform gegossen. In einer einfachen, aber genauen und sicheren, mit Helvetismen durchsetzten Sprache gibt er ohne falsche Idyllik und ohne Sentimentalität dem elementaren Leben Gestalt.