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Die sterbende Werft

Polen im Frühjahr 2004 - wenige Tage sind es noch bis zum lang ersehnten Beitritt in die Europäische Union. Eine Zeit, in der an der Zukunft gearbeitet wird. Die sieben Kraniche aber blicken auf einen sterbenden Industriezweig. Auf die "Stocznia Gdanska". Die Werft in Danzig. Sie gehört bald buchstäblich zum "alten Eisen". 17.000 Schweißer, Dreher, Maler und Kranführer, die hier einst beschäftigt waren, mussten sich den Gesetzen der modernen Marktwirtschaft beugen. Nur noch 2400 unsichere Arbeitsplätze sind übrig geblieben. Die Wiege der "Solidarnosc", der Reformbewegung, ohne die es wahrscheinlich weder ein demokratisches Polen noch den EU-Beitritt gegeben hätte - alles Vergangenheit. Die Hälfte des Werftgeländes ist bereits zu Sanierungszwecken verkauft. Noch kann man aber die alten Zeiten erahnen: ein riesiges, inzwischen rosteisernes Nationalheiligtum. Solidarnosc, die Gewerkschaft Solidarität - auch sie gibt es immer noch. In Danzig hat sie natürlich ihren stärksten Verband. Der versucht verzweifelt, wenigstens einen Kern des Unternehmens am Leben zu erhalten.

Von Sören Harms |
    " Dies ist das ZOPEK, das "Zentrum für die Bearbeitung von Schiffsböden". Praktisch wird hier alles getan, was mit dem Schiffbau zu tun hat. Zuerst werden die Teile nach einem Muster raus geschnitten, dann geschweißt, dann geschraubt, dann wird die Sektion zusammengestellt. Die Teile hier draußen vor der Tür wiegen knapp hundert Tonnen. Am Schluss werden sie drüben am Helgen gestrichen und bemalt."

    Der Helgen, das ist die Schrägfläche, auf der Werftarbeiter die Teile zu einem Schiff zusammensetzen. Zbigniew Stefanski mag den Lärm hier in der Halle, für ihn klingt er wie Chorgesang in einer Kathedrale der Industriearbeit. Es kann nicht laut genug zugehen für ihn: Es gab mal drei Schichten hier, erzählt er.

    " Heute arbeiten hier viel weniger Leute als früher. Viele wurden schon entlassen, weil es jetzt nicht mehr zu tun gibt. Die Werftleitung stellt immer dann Leute ein, wenn sie welche braucht. Die sind dann als Kurz- und Zeitarbeiter hier."

    Die Arbeit ist hart hier, doch noch härter ist es, keine Arbeit mehr zu haben. Stefanski spricht wie ein Alter, dabei schauen unter dem schwarzen Basecap nur wenige graue Strähnen hervor. Der Mann mit dem buschigen Schnauzer ist 45 Jahre alt, 30 davon hat er auf der Danziger Werft gearbeitet: erst als Drucker, heute als Schiffsmaler und Betriebsrat der Solidarnosc.

    Rundgang über das Werftgelände, vorbei an backsteinernen Hallen mit eingeworfenen Fenstern, an die noch Inventurschilder aus Vor-Wende-Zeiten geschraubt sind: "Stocznia Gdanska im. Lenina" steht darauf, "Danziger Lenin-Werft". Ab und zu bleibt Stefanski stehen, zeigt hierhin oder dorthin und beginnt ziemlich viele Sätze mit "Früher". Von einer Bushaltestelle blättert die hellblaue Farbe in dicken Placken ab, neben einem Luftschutzbunker aus dem 2. Weltkrieg vermodern riesige Kabeltrommeln aus Holz. Stirbt die Danziger Werft?

    " Sterben würde ich noch nicht sagen. Sie lässt sich noch wieder beleben. Ich bin aber nicht sicher, ob diese Heilung gelingt. Denn statt Arznei bekommt der Patient Gift. Trotzdem, der Patient kann zwar behindert sein, aber er kann seine Arbeit durchführen. Jeder Patient hat noch Hoffnung, so lange er lebt."

    Das Gift, damit meint Stefanski das Management der Werft und Polens Regierung gleichermaßen. Die einen verkaufen das Tafelsilber der Werft, die anderen entziehen jeden Kredit. Denn die Ex-Kommunisten seien in Warschau am Ruder - und sie hätten nie vergessen, dass es die Arbeiter der Danziger Werft waren, die sie gestürzt haben, sagt Stefanski grimmig.

    " Es fällt leichter, gegen eine Diktatur zu sein, denn ich kenne meinen Feind. Jetzt macht dieser rote Kadaver dasselbe, was er früher getan hat. Aber er hat die Farbe gewechselt. Früher haben die Kommunisten gewarnt, dass man sich nach dieser kommunistischen Zeit noch sehnen wird. Ich bin wirklich sauer, dass diese Zeit gekommen ist. Früher gab es pünktlich Lohn, es gab Arbeit, jetzt gibt es das nicht mehr. Ich bin wütend, dass die Kommunisten Recht behalten, obwohl ich sie nicht mag."

    Stefanski gehörte zur so genannten Putztruppe der "Solidarnosc" und ihrer Vorläufer. Mit Fäusten haben sie ihre Interessen vertreten, mit Streikwachen und dort, wo die politische Polizei zuschlug. In dieser Wut, mit der Stefanski spricht, spürt man, dass es nicht bloß um Lohnerwerb geht. Die Danziger Werft ist ein Symbol. Stefanskis Onkel hat hier gearbeitet und seine Tante, seine Mutter und Schwester und sein Vater natürlich auch.

    " Als ich noch im Kindergarten war, kam ich sehr oft mit meinem Vater in die Werft und habe mir die Arbeiter angesehen. Ich fand es großartig, wie sie aussahen: ein bisschen gebeugt und müde, aber stark und stolz. Dieses Bild hat sich mir eingeprägt. Schon damals wusste ich, dass ich hier arbeiten würde."

    Stefanski lächelt nett bei diesen Worten, die dichten Augenbrauen und sein Schnauzer fahren nach oben, an den Enden bilden sich Grübchen. Doch nie bleibt das Lächeln stehen, eigentümlich rasch wird Stefanskis Gesicht wieder ernst.

    " Zuerst bin ich hier in die Betriebsschule gegangen und dann eben geblieben. Es fällt schwer, sich nicht emotional an diese Werft zu binden. Ich habe schon den Streik von 1976 hier erlebt, und ich habe gelernt, für sie zu kämpfen. Anders geht es nicht."


    Am Hafenbecken der Mottlau zittert die Erde, als ein Kran losrollt. Das zweifüßige Monstrum klingelt Arbeiter von den Gleisen. Über die Köpfe hinweg hebt sein Arm ein riesiges Zahnrad und setzt es bei einer Gruppe von Reparateuren ab, die neben der Montagehalle im Kreis stehen und rauchen.

    " Ich habe keine Ahnung, wie hoch die Kräne sind, aber von oben sieht alles so klein aus. Als Jaruzelski `81 den Kriegszustand ausrief, haben wir in der Nacht Transparente an diese Kräne gehängt, damit die Leute morgens die Botschaften der Freiheit lesen können: So was wie 'Solidarnosc', 'Wir geben nicht auf', 'Die Werft kämpft'."


    Nach dem Ausnahmezustand 1981 kam Stefanski für zwei Jahre ins Gefängnis; schon bei früheren Streiks saß er mehrere Monate, kurz vor der Wende dann noch mal.

    " Ich wurde öfter vom Sicherheitsdienst verfolgt, verhaftet, verhört. Es wurde mir vorgeschlagen, auszureisen und ins Exil zu gehen. Ich habe geantwortet: "Wer soll mit Euch Scheißkerlen kämpfen, wenn ich ins Ausland gehe?" Jetzt tut es mir manchmal leid, nicht weggegangen zu sein damals. Durch die Prügel des Sicherheitsdienstes habe ich eine Niere verloren. Meine Kollegen haben mich gefragt, was ich davon habe, dass ich soviel gekämpft habe; andere haben gute Posten erhalten, und ich habe nichts. Meine Antwort ist: Ich habe die Hoffnung beibehalten, dass man was ändern kann."

    Diese Hoffnung allerdings ist schwer herauszuhören bei dem 45-jährigen. Er hat wohl zu viele Arbeiter gehen sehen.

    " Dort drüben soll ein Geschäftszentrum entstehen, mit Cafés und Läden und Hotels. Mir platzt wirklich der Kragen, wenn ich daran denke! Wir von der Solidarnosc waren ja nicht dagegen, wir haben zugesagt, dass dieses Gelände verkauft wird. Denn wir rechnen auch damit, dass wir nach dem Beitritt zur EU weniger Leute brauchen und hier weniger Schiffe bauen können. Aber wenn man Leute entlässt, muss man zuerst andere Arbeitsplätze für sie schaffen. Und nicht umgekehrt."