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Die Stimme der Vernunft

In den USA wird um die Reform des Waffenrechts gestritten. Der US-amerikanische Journalist Craig Whitney nimmt sich in seinem Buch "Living with Guns" - zufällig einen Monat vor dem Amoklauf in Newtown erschienen - der Bedeutungsgeschichte von Waffen in Amerika an. Herausgekommen ist ein Plädoyer für einen Kompromiss.

Von Katja Ridderbusch |
    Columbine, Virginia Tech, Tuscon, Aurora, Oak Creek, Newtown.
    Orte, die für brutale Amokläufe in den USA stehen. Hollywoodstars wie Jamie Foxx, Cameron Diaz und Julianne Moore erheben ihre Stimme und fordern Politiker in einem Video auf, das Thema Waffenkontrolle auf die politische Agenda zu setzen.

    Zur gleichen Zeit werden in den USA so viele Waffen verkauft wie seit Jahrzehnten nicht mehr. 2,8 Millionen Amerikaner wollten allein im Dezember eine Waffe erwerben – wohl aus Furcht vor strengeren Gesetzen nach dem Schulmassaker von Newtown.

    "Es ist Angst, es ist Paranoia, und die amerikanische Waffenlobby tut alles, um diese Ängste zu ihrem Nutzen zu schüren. Leider mit Erfolg ."

    ... sagt der Journalist Craig Whitney, der das Buch "Living with Guns" geschrieben hat, mit Waffen leben. Der Titel ist brandaktuell - aktueller, als der Autor es wohl hat ahnen können. Denn: Das Buch erschien genau einen Monat und einen Tag vor dem Blutbad von Newtown. Doch Whitney will weder anklagen noch verurteilen. Er will vielmehr erklären, warum viele Amerikaner so leidenschaftlich am Second Amendment, dem zweiten Verfassungszusatz festhalten, der das Recht auf den Besitz und das Tragen von Waffen garantiert. 300 Millionen Waffen kursieren derzeit in den USA, rein statistisch heißt das: Fast jeder Amerikaner besitzt eine Waffe – zur Selbstverteidigung, weil er den staatlichen Ordnungskräften misstraut oder einfach, weil er gerne schießt.

    "Ich habe das Buch geschrieben, weil ich Amerikaner auf beiden Seiten dieses Kulturkampfes verstehen wollte. Und weil ich Argumente für einen Kompromiss sehe, damit solche Massaker in der Zukunft seltener passieren."

    Der Kulturkampf um das Waffenrecht in den USA: Auf der einen Seite steht die mächtige Waffenlobby, die National Rifle Association, kurz NRA. Deren Vorschlag nach dem Blutbad von Newtown lautet: noch mehr Waffen. Schulen sollten künftig von privaten Sicherheitsleuten bewacht werden, fordert die NRA:

    "The only thing to stop a bad guy with a gun is a good guy with a gun."
    Das Einzige, was einen bösen Typen mit einer Waffe stoppen könne, sei ein guter Typ mit einer Waffe, sagte NRA-Vizepräsident Wayne LaPierre. Auf der anderen Seite des Kulturkampfes stehen die radikalen Waffengegner, die am liebsten alle im Umlauf befindlichen Schnellfeuerwaffen sofort konfiszieren würden.
    Doch auch das sei unrealistisch, schreibt Whitney.

    "Waffen zu ächten, Waffen zu verbieten oder es für normale Bürger nahezu unmöglich zu machen, Waffen zu erwerben – das ist keine vernünftige Lösung des Waffenproblems."

    Whitney führt den Leser tief in die Geschichte Amerikas, in die Zeit der Kolonisierung, der Kämpfe gegen die Ureinwohner und des Krieges um die Unabhängigkeit. Der zweite Verfassungszusatz, 1791 verabschiedet, bezieht sich ursprünglich auf die Angehörigen von lokalen Milizen, Vorläufer der heutigen Nationalgarde. Es sei eben diese Geschichte, die das Verhältnis der Amerikaner zu Waffen geprägt habe, schreibt Whitney:

    Die Siedler haben das Land auf Gedeih und Verderb mit Waffengewalt gewonnen und verteidigt. Dieses Erbe formte die Vereinigten Staaten, und auch später sollte amerikanische Feuerkraft die Welt verändern.

    Der Autor, der übrigens selbst keine Waffe besitzt, schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, auf die sich Waffengegner wie Waffenbefürworter verständigen könnten. So müssten gefährliche Gesetzeslücken schnell geschlossen werden. Zum Beispiel: Viele Bundesstaaten liefern nur lückenhafte Informationen an die nationale Datenbank zur Überprüfung potenzieller Waffenkäufer. Außerdem: Bei privaten Waffenverkäufen – und die machen immerhin 40 Prozent des gesamten Geschäftes aus - sind derzeit keine Hintergrundchecks, also Sicherheitskontrollen der Käufer vorgeschrieben. Aber es gehe nicht um Waffenkontrolle allein, sagt Whitney.

    "Unser Gesundheitssystem ist nicht besonders effektiv, was die Behandlung psychisch Kranker betrifft. Wäre der Ausgang in Newtown ein anderer gewesen, hätte man den Amokschützen Adam Lanza fachgerecht behandelt? Ich weiß es nicht, aber wir müssen auch über solche Dinge nachdenken und nicht nur über Waffenkontrolle."

    "Living with Guns" ist ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte über Waffen, Waffenrecht und Waffenkontrolle in Amerika - spannend wie ein Historienkrimi, kühl wie ein Lehrstück – und nie der Versuchung erliegend, sich auf die eine oder andere Seite des politischen Grabenkrieges zu schlagen.

    "Eine Stimme der Vernunft", schrieb die "New York Times" über Craig Whitney.

    "Vielleicht gelingt es uns ja, wider unsere dunkle Natur und mit gutem Willen mehr Sicherheit zu schaffen. Denn daran dürfte allen Amerikanern gelegen sein, ob sie nun Waffen besitzen oder nicht. Wir können es uns nicht mehr leisten, gar nichts zu tun. Denn wenn wir nichts tun, ist das nächste Massaker nur eine Frage der Zeit."

    Craig Whitney:
    "Living with Guns. A Liberal's Case for the Second Amendment", Public Affairs. 304 Seiten, 20,95 Euro.

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