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Die Stimme Gottes

Sie begann als Kind im Kirchenchor, zog nach Chicago und hatte mit "Move On Up A Little Higher" ihren ersten Hit. Doch als Mahalia Jackson in den 50er-Jahren ein Star wurde, erfuhr sie den Rassismus des weißen Amerikas.

Von Michael Kleff | 26.10.2011
    "Was für eine prächtige Stimme. Ihre Atemtechnik – unvorstellbar. Wie sie ein Stück von Anfang bis Ende aufbaute. Das war sogar in ihrem Gesicht abzulesen."

    schreibt der Musikwissenschaftler Horace Clarence Boyer über die Gospel-Königin Mahalia Jackson – die Stimme Gottes und die Stimme des anderen Amerika.

    Als Mahalia Jackson am 26. Oktober 1911 in New Orleans geboren wurde, bestimmte die Rassentrennung das Land. Und auch als Amerika die goldenen 20-er feierte, war die Welt für Schwarze von Armut geprägt.

    Mahalia Jacksons Vater war Hafenarbeiter. Sonntags hielt er als Priester in einer Baptistengemeinde den Gottesdienst ab. Schon mit vier Jahren sang Mahalia im Kirchenchor. Sie war jedoch auch vertraut mit dem Blues von Ma Rainey oder Bessie Smith. Dem sich die tief religiöse Sängerin selbst später jedoch verweigerte:

    "Der Blues ist Teil unserer besten Musiktradition. Aber er bringt keine Erlösung. Es ist wie mit einem Mann, der trinkt. Am Ende ist er betrunken, aber er hat immer noch seine Probleme."

    Mit 16 ging Mahalia Jackson nach Chicago. Sie verdiente sich mit Gelegenheitsarbeiten ihren Lebensunterhalt; dann führte sie einen Kosmetiksalon und einen Blumenladen. Ihr Zuhause wurde die Greater Salem Baptist Church, wo sie bald als Solistin im Chor sang. Ab 1937 nahm Mahalia Jackson Platten auf. Noch gab es kaum ein Publikum für Gospelmusik. Und ihre Anhänger waren zu arm, um sich Schallplatten leisten zu können.

    Ihr erster großer Erfolg kam 1947: "Move On Up A Little Higher". Anderthalb Millionen Mal wurde diese Aufnahme verkauft. 1950 öffneten sich Mahalia Jackson die Türen der Carnegie Hall. Und ein Jahr später machte sie sich auf, Europa zu erobern. Die Sängerin war jetzt ein Star. Aber sie erfuhr auch jeden Tag, was Schwarzsein in Amerika bedeutete. Fernsehproduzenten ließen im Süden keine schwarze Musikerin auftreten. Mahalia Jackson erlebte, wie Weiße Morddrohungen gegen sie aussprachen und die Fensterscheiben ihres Hauses in Chicago zerschossen:

    "Auf der Bühne und im Fernsehen lieben mich die Weißen. Sie sagen mir, wie wundervoll ich bin. Auf der Straße erkennen sie mich jedoch nicht. In einem Laden im Süden bekomme ich kein Sandwich, kein Getränk – und draußen nicht einmal ein Taxi."

    Mahalia Jackson war keine politische Kämpferin. Aber sie trat zur Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung im Süden des Landes auf. Und im August 1963 erhob sie ihre Stimme vor 200.000 Menschen beim legendären Marsch auf Washington, um mit Martin Luther King für ein Leben in Gleichheit und Brüderlichkeit zu werben. Der 2008 verstorbene Schriftsteller und Rundfunkjournalist Studs Terkel erinnert sich:

    "Es war ein wunderbarer Moment. Ein Hubschrauber drehte direkt über uns lautstark seine Kreise. Sie blickte nur kurz auf – und überstimmte dann mit ihrem Gesang die Maschine."

    Zwei gescheiterte Ehen und die endlosen Tourneen zehrten an den Kräften der Sängerin. Krankheiten fesselten sie immer wieder ans Bett. 1972 starb Mahalia Jackson. Obwohl sie selber immer wieder sagte, das Wesentliche in ihren Liedern sei nur die Religion gewesen, war ihr Beitrag für die Bürgerrechtsbewegung viel größer als häufig dargestellt. Martin Luther King sagte einmal:

    "Ach, könnte ich reden, wie diese Frau singt."