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Die Stimme kranker Bäume

Botanik. - Der Klimawandel macht Deutschlands Waldbäumen zu schaffen. Vor allem die zunehmend trockenen und heißen Sommermonate bringen für viele Bäume Stress. Trockenstress, der sie schleichend schädigt. Forstleute wollen diesen Stress erkennen, um kranke von gesunden Bäumen frühzeitig zu unterscheiden. Waldforscher der Landesforstanstalt Eberswalde haben gemeinsam mit einem Physiker der Universität Bonn eine neuartige Methode entwickelt, mit der man Stress bei Bäumen hören kann.

Von Maren Schibilsky | 14.12.2006
    Ein alter Eichenwald in Brandenburg. Waldforscher Ralf Kätzel schaut in die kahlen Kronen. Auf den ersten Blick sehen alle Bäume gesund aus. Keine abgestorbenen Äste, keine Pilzschäden am Stamm, keine abgefressene Rinde durch Schadinsekten. Und doch haben die extrem trockenen Sommer- und Herbstmonate Spuren hinterlassen. Unsichtbare. Ralf Kätzel befestigt eine manschettenartige Edelstahlkammer um einen Eichenstamm. Mit der will er ein Gas einfangen. Es heißt Ethylen und wird regelmäßig vom Baum über den Stamm abgegeben. Ein gasförmiges Pflanzenhormon. Eins von sechs Hormonen, die das Leben eines Baumes steuern. Kätzel:

    "Das Ethylen selbst gilt als Senezenzhormon, ein Alterungshormon. Manche nennen es Stresshormon. Das heißt, dass es in einem Baum oder einer Pflanze synthetisiert wird immer dann, wenn Stresszustände besonders stark auftreten."

    Waldforscher Ralf Kätzel will die Ethylenkonzentration an der Eiche messen. Über vier Tage. Das ist absolut neu. Zwar haben Charles Darwin und sein Sohn Francis bereits vor 125 Jahren dieses gasförmige Pflanzenhormon entdeckt und beschrieben. Aber noch immer ist es schwer nachzuweisen. Vor allem über längere Zeiträume. Ralf Kätzel von der Landesforstanstalt Eberswalde will ein Stressmuster der Eiche erstellen:

    "Uns interessieren - und dass kann man sich so ähnlich wie beim EKG vorstellen – Abweichungen in diesem Muster, das heißt, es gibt Muster, die die Ethylenkonzentrationen beschreiben. Und wir suchen nach Abweichungen, die uns dann etwas über den Stresszustand sagen."

    Um das zu realisieren, benutzt der Waldforscher ein Nachweisverfahren für Ethylen, das bereits in den 90er Jahren am Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn entwickelt wurde. Eigentlich für die Überwachung von Krankheiten im Obst- und Gemüseanbau. Den Physikern war es gelungen, Pflanzenstress hörbar zu machen. Sie wiesen an Früchten hohe Konzentrationen an Ethylen nach und wandelten die in ein photoakustisches Signal um. Zum industriellen Einsatz kam das Verfahren bislang nicht. Jetzt bekommt es im Brandenburger Wald eine neue Chance. Vom Eichenstamm ziehen sich lange Leitungen über den Waldboden bis zu einem Kleintransporter. Auf dem steht ein Laserspektrometer mit einem sogenanntem "In-vivo-Stress-Sensor". Der Bonner Physiker Ralf Gäbler hat es gebaut:

    "Wir strahlen mit einer bestimmten Frequenz auf die Gasprobe, die durch diesen Nachweissensor strömt. Es kommt zu einer selektiven Anregung, zu einer Molekülschwingung und dadurch erwärmt sich das Gas. Wenn man jetzt einfach den Prozess des Erwärmens moduliert, das heißt den Laser an und aus schaltet hat man eine periodische Modulation von dieser Temperaturerhöhung und periodischer Druck ist Schall, den man mit einem Mikrophon empfindlich nachweisen kann."

    Und so klingt Stress. Trockenstress einer Eiche. Je stärker, umso mehr Ethylen gibt der Baum ab. Ralf Kätzel von der Landesforstanstalt Eberswalde ist begeistert:

    "Wir haben sehr schöne Kurven bekommen, die uns einerseits zeigen, die täglichen Schwankungen der Ethylenkonzentrationen, dass Ethylen überhaupt in so großer Konzentration aus Stämmen, aus lebenden Baumstämmen ausgeschüttet werden. Und sie haben als drittes gezeigt, dass man zwischen geschädigten und vitalen Bäumen sehr gut unterscheiden kann."

    Ralf Kätzel möchte diese akustischen Stress-Messungen in die Waldschadensüberwachung integrieren. Angeschlagene Bäume könnten frühzeitig erkannt werden. Zu jeder Jahreszeit. Denn auch wenn das Klima wieder feuchter ist, wirkt der Trockenstress lange nach. Der Physiker Ralf Gäbler will für den regelmäßigen Einsatz ein Laserspektrometer in der Größe eines PCs bauen. Das Etylennachweisverfahren könnte so jeder Zeit in den Wald. Eine schnelle, unaufwändige Diagnosemethode für den Baum. Gabler:

    "Das ist halt der große Vorteil, dass wir mit einem Gasmessverfahren die Pflanze nicht verändern, sondern uns daneben stellen können und einfach den Verlauf – ähnlich einer Fieberkurve beim Menschen- über eine bestimmte Zeit sehen und Rückschlüsse ziehen können."