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Die Stimme Spaniens

Spanien trauert um Francisco Umbral. Der Schriftsteller starb im Alter von 72 Jahren in seiner Heimatstadt Madrid. Umbral galt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren seines Landes.

Von Kersten Knipp |
    80 Bücher hat er geschrieben. Es könnten aber auch 100 sein. Die schwankende Zahlen, mit denen die spanischen Zeitungen die Produktivität Francisco Umbrals in ersten Nachrufen zu messen suchten, teilen vielleicht besser als jeder noch so ausgeklügelte Kommentar etwas über den Charakter seines Werkes mit, die ästhetischen Vorlieben des Autors und die Vorstellungen, der er von Sinn und Zweck des literarischen Schreibens hegte.

    80 Bücher, vielleicht aber auch 100. Die Zahl schwankt, denn Francisco Pérez Martínez - Francisco Umbral, wie er sich seit den frühen 1960er Jahren nannte - ließ nahezu alles, was er schrieb, am Ende zwischen zwei Buchdeckel pressen. Eine ganze Reihe Romane kam dabei heraus, aber auch eine Unzahl von gesammelten Chroniken, Essays, Kolumnen und Artikeln, kleinen Formen also, die das fortsetzten, was er schon in den großen so meisterhaft beherrschte: die geistreiche Causerie, den leichten Stil, die sprachliche Eleganz, der alles überragende Wunsch, seine Leser zu unterhalten.

    Diese Fähigkeit, verbunden mit einem entsprechenden Absatz seiner Bücher, trug ihm, nachdem er 1996 bereits den Prinz-von-Asturien-Preis für Literatur erhalten hatte, im Jahr 2000 den Cervantes-Preis ein. Die Auszeichnung war allerdings heftig umstritten. Kritiker der Entscheidung monierten, die Auszeichnung wäre ihm ohne Unterstützung der großen, ihren Autoren ausgesprochen tatkräftig verbundenen spanischen Medienkonzerne kaum verliehen worden. Von Absprachen hinter den Kulissen berichteten die Kritiker - Vorwürfe, auf die Umbral nicht konkret einging, sondern auf die er in dem ihm eigenen hohen Ton der historischen Evokation, der vergangenen Größe Spaniens, antwortete.

    Worte wie diese zeigen, was Umbral am meisten kennzeichnete: hohes Sprachbewusstsein. Wie wenig andere war sich der Autor darüber klar, dass der Stil die Botschaft ist, es mehr auf die Form als den Inhalt ankommt, der Modus der Artikulation über dem Wert der Nachricht steht. Leicht gingen dem 1935 geborenen Autor die Texte von der Hand - zu leicht, fanden zumindest die strengeren unter den spanischen Kritikern, die seine stilistischen Qualitäten zwar durchaus anerkannten, aber darüber hinaus nicht recht wussten, was sie von ihm halten sollten, oder es vielleicht doch wussten, es aber im gerade bei den großen Namen eher auf Hymnen denn auf Verrisse setzenden spanischen Feuilletonbetrieb lieber doch nicht offen sagen wollten.

    Umbral, beschrieb die Kritik sein Werk, vereine in sich die Stilformen zahlloser Vorgänger: den spöttischen Ton eines Quevedo, die Musikalität eines Valle-Inclán, den Lyrismus eines Ramón Jiménez. Die geballte Sprachkunst der Jahrhunderte nutzte er, um die Welt zu besingen, mehr aber noch sich selbst. "Selbstmystifizierung", "Selbsterfindung", "andauernder Selbstentwurf" - Beschreibungen wie diese tauchen auch in akademisch gehaltenen Literaturgeschichten auf. Der Stil ist der Herr der Welt, und so schrieb Umbral über nahezu alles: seine Jugend unter der Francoherrschaft, den Bürgerkrieg, später die Auflösung des Regimes, schließlich das zeitgenössische Spanien. Doch immer wieder überwog die Lust am Stil auf Kosten der erzählerischen Struktur, ließ die opulente Sprache die Handlung straucheln, nicht recht vorankommen. Aber gerade mit seiner Sprachlust empfahl er sich dem großen Publikum, als Kolumnist zunächst der Tageszeitung "El País" und anschließend, seit 1989, des Konkurrenzblattes "El Mundo".

    Dort veröffentlichte er seine Glossen bis kurz vor seinem Tod. Die letzte erschien genau vor einem Monat, am 28. Juli. In seinen Beiträgen schrieb Umbral über nahezu jedes denkbare Thema, von der ETA über den spanischen Präsidenten bis zur Politik des Vatikans. Vor allem aber widmet er sich dem diesjährigen Sommer, der großen Hitze, die er zuletzt auf Ibiza atmete, der Insel, der eine der letzten Glossen gewidmet ist. Auskosten bis zum Ende konnte er den großen Sommer nicht: Am frühen Dienstagmorgen ist Francisco Umbral an einer Störung des Herz-Atmungs-Apparats gestorben.