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Die Straße als Bühne

Sie ist auf Stahlbrücken geklettert, hat Stühle an Häuserwände genagelt und alte Menschen draufgesetzt und eine U-Bahn-Station in einen Garten Eden verwandelt. Interventionen im öffentlichen Raum nennt die Künstlerin Angie Hiesl dies. Ihre aktuelle Arbeit "China hair connection Peking-Köln" hat die Künstlerin gemeinsam mit ihrem Kollegen Roland Kaiser im Kölner Eigelsteinviertel uraufgeführt: eine Performance, die in Zusammenarbeit mit dem Pekinger Living-Dance-Studio entstanden ist.

Von Nicole Strecker |
    Fast hätte man sie übersehen: Die Chinesin, die vor einem Asien-Artikelladen auf dem Boden kauert und in einem Eimer in Nudelteig herumknetet. Ein paar Meter weiter steht eine Europäerin auf einem Autodach und ruft mit fremdländischem Akzent den Passanten deutsche Alleinstellungsmerkmale zu: "Goethe-Institute", deklamiert sie, und "Wackeldackel". "Berlinale", "Tierfreunde" und "Schwarz-Wälder-Kirsch-Torte". Und wieder einige Schritte weiter sind die Bahnbögen neben dem Hauptbahnhof, sonst dunkle Siffecken und Treffpunkte für Junkies und Obdachlose, hell angestrahlt wie ein Schaufenster. In der kalten Betonhöhle liegt ein Haufen rot-leuchtender Riesenlampions. Eine Chinesin fährt mit einem alten Fahrrad im Kreis. Ein Mann singt ein wunderschön melancholisches Lied.

    Chinatown im spätsommerlichen Köln. Bei Hiesl und Kaiser präsentiert sich das klischeegemäße Chaos solcher Stadtteile hoch ästhetisiert. Erst auf den zweiten Blick offenbart die Schönheit ihre Schrecken: Im Bahnbogen zählt dann ein Chinese in Polizeiuniform Namen auf und hält dazu strähnige Haarteile triumphierend hoch, als seien sie Skalps seiner Opfer. Und in einem besonders dunklen Straßenabschnitt rennt ein Mann zwischen dröhnenden Megafonen auf und ab, prallt gegen Häuserwände, flieht panisch und wird doch unausweichlich von dem herrischen Sound verfolgt.

    In gewisser Weise ist das die Brutalität, die man in einem Stück über ein Land erwartet, das der kritische Bürger schließlich nicht nur mit seinen Wokgerichten, roten Laternen und Jackie Chan wahrnimmt. Teil zwei dieser Performance wird das Künstlerduo nach Peking führen. Die Verbindung zwischen den Stücken ist ein zartes Material: das menschliche Haar. Die Hornfäden, die dem Menschen aus der Haut sprießen, lassen Hiesl seit ihrem Erfolgsstück im Jahr 2006 nicht mehr los.

    Damals kippte sie 1,2 Tonnen Haar auf dem Fußboden einer riesigen Lagerhalle in Köln aus. Ein seidig-weicher Albtraum und fragwürdiger Import aus den Entwicklungsländern für die westlichen Extensions, für die Verlängerungen also des in den Industrienationen vergleichsweise schwach wachsenden Kopfschmucks.

    Grandios lotete Hiesl damals die Metaphorik des Haars aus, seine politischen, religiösen, sexuellen Dimensionen. China ist nun nicht das passendste Land für eine Fortsetzung der haarigen Welterfassung. Ein islamisches Land oder auch Indien hätte da sicher mehr Reibung provoziert. Doch der öffentliche Raum als Bühne bietet ohnehin wenig Möglichkeiten zu analytischer Tiefe. Dafür hat Hiesl in mittlerweile mehr als 30 Jahren Outdoor-Performances ihr Gespür für Charme und Chancen von bizarren Orten, auch ihre Methoden zur Steuerung der Zuschauer-Aufmerksamkeit perfektioniert. Langsam entfalten sich ihre Aktionen: Ein europäisches Haarmodell mit knielangem dunklem Haar rasiert einer blonden Barbiepuppe maliziös den Schopf.

    Und ein Chinese turnt auf einer Mauer wie ein parcourslaufender Superheld. Nur sein po-langer Zopf lässt ihn wie einen Mandschu-Krieger aus dem 17. Jahrhundert erscheinen. Ein Anachronismus, ein Multikulti-Geschöpf. Unsere globalisierte Gegenwart - beim Performanceduo Hiesl-Kaiser zeigt sie sich als eine zeit- und raumlose Märchen-Horror-Wunderwelt.