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"Die Szene hält dicht"

In diesen Tagen jährt sich zum dritten Mal die Enthüllungen des belgischen Radsport-Masseurs Jeff d'hont: Er schilderte die Dopingpraktiken beim Team Telekom und die Rolle von Sportmedizinern des Freiburger Universitätsklinikums - und trat damit eine Lawine los. Doch seit geraumer Zeit ist aus Freiburg gar nichts mehr zu hören - weder von der Staatsanwaltschaft noch aus der Universität.

Von Grit Hartmann | 02.05.2010
    Im Mai 2007 wurde zur Gewissheit, wofür schon seit den 70er-Jahren reichlich Indizien vorlagen: Zwar betreuten Freiburger Mediziner Generationen von Spitzenathleten aus vielen Sportarten, zwar fielen einige als Doper auf - aber die blütenweiße Reinheit bundesdeutscher Ärztekittel schien jeden dieser Fälle zu überblenden. Erst die Causa Telekom belegte, dass sich im Schutz einer Universität, an der renommiertesten sportmedizinischen Abteilung des Landes, eine Doktorenschaft etablieren konnte, die Doping nicht nur wissenschaftlich analysierte, sondern auch systematisch praktizierte. Weil das mit Steuergeldern geschah, steht Freiburg seither als Synonym für die westdeutsche Parallele zum DDR-Staatsplan 14.25.

    Gemessen an der öffentlich finanzierten Schluck- und Spritzhistorie, die damit auf den Prüfstand gehört, haben die Aufklärungsbemühungen nur magere Ergebnisse gezeitigt. Gewiss, vor einem Jahr dokumentierte eine dreiköpfige Untersuchungskommission der Universität in ihrem Abschlussbericht, welche Telekom-Fahrer die Ärzte Andreas Schmid und Lothar Heinrich zwischen 1995 und 2006 wie dopten. Wenig glaubhaft schien allerdings die These, dass diese beiden Einzeltäter waren. Ihren universitären Mentor Joseph Keul, Doyen der deutschen Sportmedizin und bis zu seinem Tod im Jahr 2000 oberster Olympiaarzt, stufte der Bericht nur als Verharmloser ein.

    Ergiebigeres zur Gesamtaffäre lassen auch die Ermittlungen der Freiburger Staatsanwaltschaft nicht erwarten. Der zuständige Oberstaatsanwalt Christoph Frank bedauert das offenkundig. Anders ist sein Hinweis auf eine Selbstverständlichkeit jedenfalls kaum zu deuten: Er könne, formuliert Frank, "nur im Rahmen des Strafgesetzbuches ermitteln". Außen vor bleibt deshalb auch Georg Huber, der zweite mit vielen Sportverbänden liierte Olympiaarzt, dopinggeständig nur für den Radsport und nur für den strafrechtlich nicht relevanten Zeitraum.

    Zehn Ermittlungsverfahren will die Staatsanwaltschaft "in den nächsten Wochen" dem lange angekündigten Abschluss zuführen. Die Verzögerung erklärt Frank damit, dass der Bericht des Bundeskriminalamtes zur Causa Telekom erst am 15. April eingetroffen ist. Viel Neues wird in den Anklageschriften nicht stehen. "Die Szene", sagt Staatsanwalt Frank, "hält dicht".

    Anklage soll gegen die früheren Telekom-Teamärzte Schmid und Heinrich erhoben werden - nicht nur wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, sondern auch wegen versuchter Körperverletzung. Vier weitere Mediziner müssen sich wegen Vorteilsnahme verantworten. Beschuldigt wird außerdem die Hauptlieferantin der Doktoren, eine Apothekerin. Überraschender ist, dass die Ermittler auch drei einstige Telekom-Führungskräfte belangen wollen, und zwar wegen Beihilfe beziehungsweise Anstiftung zur Körperverletzung: Olaf Ludwig, der mit seiner GmbH formal Arbeitgeber der Radprofis war, dazu die Betreuer Mario Kummer und Rudy Pevenage.

    Letzterer stellt sein "Know-How" derzeit einem Profistall in den USA zur Verfügung. Dort arbeitet auch Lothar Heinrich. Die deutsche Firma SRM, die Radler und Triathleten mit Messtechnik beliefert, führt den Doping-Doktor für ihre Filiale in Colorado Springs als "Special Operations Manager". Fragen dazu ließ das Unternehmen unbeantwortet. Andreas Schmid arbeitet in einer Privatklinik in Bad Krozingen.

    Verantwortlich dafür, dass beide Mediziner unbehelligt praktizieren, ist das Stuttgarter Regierungspräsidium. Nach Auskunft eines Sprechers verwiesen die Anwälte der Doktoren auf "die strafrechtliche Unschuldsvermutung". Die ist massiv erschüttert - aber der Behörde reichte das, um selbst die Verfahren zum vorläufigen Approbations-Entzug auf Eis zu legen.

    Bleibt die zweite Gutachter-Kommission der Universität. Sie wurde im Sommer 2007 vom Rektor eingesetzt, um die gesamte Tätigkeit der sportmedizinischen Abteilung zu evaluieren - mithin ist sie zuständig für brisante historische Fragen. Obgleich ihr bekannt hartnäckige Experten wie der Heidelberger Zellforscher Werner Franke oder die Kriminologin Britta Bannenberg angehören, wurden Arbeitsergebnisse bisher nicht publik. Die Universität sah sich außerstande, auf Fragen des Deutschlandfunks dazu kurzfristig zu antworten.

    Deren wichtigste: Wie unabhängig können die Gutachter tatsächlich arbeiten, wird ihnen uneingeschränkter Zugang zu relevanten Unterlagen gewährt? Kenner zweifeln daran. Einerseits verweisen sie auf die Interessenlage des organisierten Sports. Er nutzte die ärztliche Leistungsförderung auf ethischem Minimalniveau über Jahrzehnte für seine Medaillenziele; Mediziner aus der Freiburger Schule sitzen als geschätzte Betreuer in diversen Gremien. Andererseits nährt die landespolitische Gemengelage Skepsis.

    Dem Aufsichtsrat des Uniklinikums steht beispielsweise Klaus Tappeser vor, Ministerialdirektor im Wissenschaftsministerium. Der CDU-Mann ist zugleich Präsident des Württembergischen Sportbundes und Vize des Landessportbundes. Dieses Amt teilt er sich mit seinem Parteifreund Gundolf Fleischer. Der trat nach Korruptionsvorwürfen im Februar zwar als Finanzstaatssekretär zurück; die Sportskameraden im Badischen Sportbund kürten ihn vor einer Woche aber erneut zu ihrem Präsidenten. Er führt auch den Trägerverein des Olympiastützpunktes Freiburg, wo der Konferenzraum den Namen "Joseph Keul" trägt. Fleischer, seit 34 Jahren in der Landespolitik, reagierte im Jahr 2007 prompt auf die Enthüllungen. Er kontaktierte Innenminister Wolfgang Schäuble. Sein Anliegen: Schutz der Freiburger Sportmedizin gegen "pauschale Verurteilungen".