Die EU hat noch immer kein schlüssiges Konzept für die dauerhafte Befriedung der Region entwickelt. Weder für Bosnien noch für Kosovo wurden tragfähige politische Lösungen gefunden. Noch immer ist der Status dort ungeklärt. Die Zeit drängt. Denn der Druck wächst.
Fast überall nehmen die Spannungen wieder zu. Der Krieg hat die Länder auch wirtschaftlich um Jahrzehnte zurückgeworfen – und der Friede hat unter dem Strich zu wenig Dividende gebracht. Die Menschen werden ungeduldig.
Schließlich ist die Bereitschaft gering, sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. Viele Kriegsverbrecher wurden noch immer nicht an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert. Und vom Willen zur Versöhnung ist nicht viel zu spüren. Die einen können nicht vergeben. Und die anderen wollen ihre Schuld nicht eingestehen.
So bleiben die Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung bis heute ein Tabu: Die gesellschaftliche Verrohung. Das kollektive Trauma. Die psychische Verarmung.
Die Region um Leskovac liegt im tiefsten serbischen Süden. Dieser Landstrich wird für sein gutes Essen gerühmt. Anderes ist weniger bekannt, weil niemand gern darüber redet: Während des Kosovo- Konflikts wurden die wehrfähigen Männer aus der gesamten Region mobilisiert. Die Spuren der anderen, nicht erklärten Kriege führen weiter zurück: Slowenien, Kroatien, Bosnien – Soldaten aus der Gegend von Leskovac waren immer dabei, rund 40.000 sollen von hier aus in den Krieg gezogen sein, manche immer wieder. Novicas Krieg war am 4. November 1991 vorbei, doch sein Kampf hat an diesem Tag eigentlich erst begonnen:
"Es scheint", sagt er, "als habe Gott nicht alle in den Himmel holen wollen, so überlebte ich". Dieser Satz könnte pathetisch wirken, wäre Novica kein Krüppel. Der Körper des 44jährigen ist von Narben übersät, trotz vieler plastischer Operationen.. Zunächst hatten die Ärzte Novica mit Stromstößen wieder beleben müssen. Dann haben sie ihm ein Bein amputiert.
Novica saß in einem Panzer der Jugoslawischen Volksarmee. Er und die anderen Soldaten sollten im kroatischen Karlovac Männer und Gerät aus der JVA-Kaserne "Logorischte" wegbringen. Im November 1991 hatte sich Kroatien längst von Belgrad gelöst und zur unabhängigen Republik erklärt. Soldaten der kroatischen Armee blockierten die Kaserne und versuchten den Abzug der Panzer zu verhindern, 30 Menschen sind an diesem Tag in Karlovac gestorben, 90 wurden verletzt- viele durch Beschuss aus den eigenen Reihen. An diesem 4. November, sagt Novica, als ich verwundet worden bin, haben Himmel und Erde gebrannt. An diesem 4. November, als ich verwundet worden bin, haben Himmel und Erde gebrannt.
Beim Verlassen der Kaserne wurde ein Panzer von einer Rakete getroffen und ein junger Soldat, 19 Jahre alt, blieb wimmernd drinnen. Ich konnte ihn bergen, aber im gleichen Augenblick hat eine zweite Rakete, den Panzer getroffen und meinen ganzen Körper in Brand gesetzt, das Bein weggerissen, die Hände und das Gesicht verbrannt.
Fast zwei Jahre in verschiedensten Krankenhäusern. Zunächst kam Novica nach Sarajevo, später sollte die Stadt von serbischen Truppen belagert werden, da war er längst fort. Es folgten an die 20 Operationen. Der frühere Soldat der Jugoslawischen Volksarmee ist inzwischen 44 Jahre alt, er sagt, die körperlichen Schmerzen seien leichter zu ertragen, als das psychische Leid. In den Kliniken war er unter Invaliden und damit unter seines gleichen, zuhause aber nicht mehr:
Bei der Ankunft zu Hause, stieß ich zunächst auf Unverständnis. Ich habe das als große Ungerechtigkeit empfunden. Ich zog los, um Häuser von anderen zu verteidigen - 700 Kilometer von meinem eigenen Haus entfernt. Doch dann übernahm jemand meinen Arbeitsplatz, der genau aus dieser Gegend geflohen war. Er ist vor dem Krieg geflüchtet und arbeitet an meiner Stelle. Das schmerzte.
Seine Frau, die Tochter, der Sohn – alle mussten sich psychologisch behandeln lassen. Novica sagt, seine gesamte Familie sei traumatisiert, viel stärker als er selbst - wie die Ärzte versichern - obwohl er das kaum begreifen kann. Novica traut sich kaum hinaus, flieht in die Isolation:
Dieses Etikett des Kriegers ist eine Narbe der Seele. Das sind eigentlich Söhne, Geschwister, das sind unsere Bürger diese Kriegsteilnehmer. Sie sind weder besser noch schlechter als die anderen. Sie wurden unglücklich in den Krieg geworfen, sie selbst wollten keinen Krieg.
Wenn man hierher zurückkehrt, traut man sich nicht mehr in die Öffentlichkeit - in die Stadt, in die Kneipe, weil man befürchtet, dass man verletzt wird, dass jemand auf deinen Wunden herumtrampelt - Ich meine die seelische Wunde.
Aber da ist noch etwas anderes: Wie andere Kriegsveteranen dämmerte es Novica, dass nicht er allein in eine Sackgasse geraten war. Der Ärger, die Wut über den Umgang der jugoslawischen und serbischen Führung mit den Veteranen mag dazu beigetragen haben, dass er mehr und mehr hinterfragte: Aus Belgrader Sicht hatte er im kroatischen Karlovac bestenfalls an einem Manöver teilgenommen, obwohl doch jeder wusste, was dort 1991 geschah:
Ich hatte einfach das Gefühl, dass der Staat uns loswerden wollte. Eine Zeit lang habe ich gedacht, dass uns jemand umbringen wird, damit wir niemandem zur Last fallen etwa den Institutionen der Republik....
Novica stieß auf eine Mauer des Schweigens. Er fühlte sich ausgestoßen, ausgelacht, betrogen und manipuliert:
Vorurteile wurden absichtlich geweckt, sie haben sich dann wie ein Virus verbreitet und diese ganze Region befallen. Vorurteile wurden in Kroatien gegenüber Serben geschürt und in Serbien gegenüber Kroaten.
Nationalisten gäbe es überall, sagt er, in jeder Gesellschaft, doch für ihn sei ein Mensch immer nur ein Mensch. Vielleicht war das nicht immer so:
Jemand hat mir vielleicht vor 10 oder 15 Jahren eine Gehirnwäsche verpasst und mir erzählt, wie schlecht jemand ist, weil er kein Serbe ist, sondern Albaner, Kroate, Moslem, Bosniake..... Das hatte großen Einfluss.
Novica versichert, es freue ihn jetzt, wenn einer sage, dass der Krieg das größte Übel sei. Andererseits weiß er, dass sich viele Menschen in Serbien an so etwas immer noch stören. Sorgen macht ihm das nicht. "Für mich ist es nicht wichtig, ob sie mich hassen", meint der Veteran, "ich verlange auch nicht, dass sie mich lieben".
Ich habe mir Vorwürfe gemacht, warum ich diese Rolle akzeptiert habe, ein Narr zu werden und wegen den Interessen anderer Krieg zu führen. Ich bin bis dahin gegangen, dass ich einen Schuldigen dafür suchte.
Namen nennt Novica nicht, zu weit will auch er nicht gehen, doch der Veteran sagt, dass die serbische Gesellschaft zu 90 Prozent traumatisiert sei. "Gefährliche Vorurteile", davon ist er überzeugt, werden für Serbien noch sehr lange ein Problem sein. Dass Novica über seine schrecklichen Erfahrungen überhaupt redet, hat nicht allein mit seinen psychischen Schwierigkeiten zu tun. Er fühlt sich von Ämtern, Behörden und "der Gesellschaft" schlecht behandelt. Viele der serbischen Veteranen haben Angst vor Ermittlungen des Haager Tribunals und davor in ihrer Heimat als Verräter zu gelten, und doch brechen sie mit der "Kultur des Schweigens".
Fast überall nehmen die Spannungen wieder zu. Der Krieg hat die Länder auch wirtschaftlich um Jahrzehnte zurückgeworfen – und der Friede hat unter dem Strich zu wenig Dividende gebracht. Die Menschen werden ungeduldig.
Schließlich ist die Bereitschaft gering, sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. Viele Kriegsverbrecher wurden noch immer nicht an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert. Und vom Willen zur Versöhnung ist nicht viel zu spüren. Die einen können nicht vergeben. Und die anderen wollen ihre Schuld nicht eingestehen.
So bleiben die Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung bis heute ein Tabu: Die gesellschaftliche Verrohung. Das kollektive Trauma. Die psychische Verarmung.
Die Region um Leskovac liegt im tiefsten serbischen Süden. Dieser Landstrich wird für sein gutes Essen gerühmt. Anderes ist weniger bekannt, weil niemand gern darüber redet: Während des Kosovo- Konflikts wurden die wehrfähigen Männer aus der gesamten Region mobilisiert. Die Spuren der anderen, nicht erklärten Kriege führen weiter zurück: Slowenien, Kroatien, Bosnien – Soldaten aus der Gegend von Leskovac waren immer dabei, rund 40.000 sollen von hier aus in den Krieg gezogen sein, manche immer wieder. Novicas Krieg war am 4. November 1991 vorbei, doch sein Kampf hat an diesem Tag eigentlich erst begonnen:
"Es scheint", sagt er, "als habe Gott nicht alle in den Himmel holen wollen, so überlebte ich". Dieser Satz könnte pathetisch wirken, wäre Novica kein Krüppel. Der Körper des 44jährigen ist von Narben übersät, trotz vieler plastischer Operationen.. Zunächst hatten die Ärzte Novica mit Stromstößen wieder beleben müssen. Dann haben sie ihm ein Bein amputiert.
Novica saß in einem Panzer der Jugoslawischen Volksarmee. Er und die anderen Soldaten sollten im kroatischen Karlovac Männer und Gerät aus der JVA-Kaserne "Logorischte" wegbringen. Im November 1991 hatte sich Kroatien längst von Belgrad gelöst und zur unabhängigen Republik erklärt. Soldaten der kroatischen Armee blockierten die Kaserne und versuchten den Abzug der Panzer zu verhindern, 30 Menschen sind an diesem Tag in Karlovac gestorben, 90 wurden verletzt- viele durch Beschuss aus den eigenen Reihen. An diesem 4. November, sagt Novica, als ich verwundet worden bin, haben Himmel und Erde gebrannt. An diesem 4. November, als ich verwundet worden bin, haben Himmel und Erde gebrannt.
Beim Verlassen der Kaserne wurde ein Panzer von einer Rakete getroffen und ein junger Soldat, 19 Jahre alt, blieb wimmernd drinnen. Ich konnte ihn bergen, aber im gleichen Augenblick hat eine zweite Rakete, den Panzer getroffen und meinen ganzen Körper in Brand gesetzt, das Bein weggerissen, die Hände und das Gesicht verbrannt.
Fast zwei Jahre in verschiedensten Krankenhäusern. Zunächst kam Novica nach Sarajevo, später sollte die Stadt von serbischen Truppen belagert werden, da war er längst fort. Es folgten an die 20 Operationen. Der frühere Soldat der Jugoslawischen Volksarmee ist inzwischen 44 Jahre alt, er sagt, die körperlichen Schmerzen seien leichter zu ertragen, als das psychische Leid. In den Kliniken war er unter Invaliden und damit unter seines gleichen, zuhause aber nicht mehr:
Bei der Ankunft zu Hause, stieß ich zunächst auf Unverständnis. Ich habe das als große Ungerechtigkeit empfunden. Ich zog los, um Häuser von anderen zu verteidigen - 700 Kilometer von meinem eigenen Haus entfernt. Doch dann übernahm jemand meinen Arbeitsplatz, der genau aus dieser Gegend geflohen war. Er ist vor dem Krieg geflüchtet und arbeitet an meiner Stelle. Das schmerzte.
Seine Frau, die Tochter, der Sohn – alle mussten sich psychologisch behandeln lassen. Novica sagt, seine gesamte Familie sei traumatisiert, viel stärker als er selbst - wie die Ärzte versichern - obwohl er das kaum begreifen kann. Novica traut sich kaum hinaus, flieht in die Isolation:
Dieses Etikett des Kriegers ist eine Narbe der Seele. Das sind eigentlich Söhne, Geschwister, das sind unsere Bürger diese Kriegsteilnehmer. Sie sind weder besser noch schlechter als die anderen. Sie wurden unglücklich in den Krieg geworfen, sie selbst wollten keinen Krieg.
Wenn man hierher zurückkehrt, traut man sich nicht mehr in die Öffentlichkeit - in die Stadt, in die Kneipe, weil man befürchtet, dass man verletzt wird, dass jemand auf deinen Wunden herumtrampelt - Ich meine die seelische Wunde.
Aber da ist noch etwas anderes: Wie andere Kriegsveteranen dämmerte es Novica, dass nicht er allein in eine Sackgasse geraten war. Der Ärger, die Wut über den Umgang der jugoslawischen und serbischen Führung mit den Veteranen mag dazu beigetragen haben, dass er mehr und mehr hinterfragte: Aus Belgrader Sicht hatte er im kroatischen Karlovac bestenfalls an einem Manöver teilgenommen, obwohl doch jeder wusste, was dort 1991 geschah:
Ich hatte einfach das Gefühl, dass der Staat uns loswerden wollte. Eine Zeit lang habe ich gedacht, dass uns jemand umbringen wird, damit wir niemandem zur Last fallen etwa den Institutionen der Republik....
Novica stieß auf eine Mauer des Schweigens. Er fühlte sich ausgestoßen, ausgelacht, betrogen und manipuliert:
Vorurteile wurden absichtlich geweckt, sie haben sich dann wie ein Virus verbreitet und diese ganze Region befallen. Vorurteile wurden in Kroatien gegenüber Serben geschürt und in Serbien gegenüber Kroaten.
Nationalisten gäbe es überall, sagt er, in jeder Gesellschaft, doch für ihn sei ein Mensch immer nur ein Mensch. Vielleicht war das nicht immer so:
Jemand hat mir vielleicht vor 10 oder 15 Jahren eine Gehirnwäsche verpasst und mir erzählt, wie schlecht jemand ist, weil er kein Serbe ist, sondern Albaner, Kroate, Moslem, Bosniake..... Das hatte großen Einfluss.
Novica versichert, es freue ihn jetzt, wenn einer sage, dass der Krieg das größte Übel sei. Andererseits weiß er, dass sich viele Menschen in Serbien an so etwas immer noch stören. Sorgen macht ihm das nicht. "Für mich ist es nicht wichtig, ob sie mich hassen", meint der Veteran, "ich verlange auch nicht, dass sie mich lieben".
Ich habe mir Vorwürfe gemacht, warum ich diese Rolle akzeptiert habe, ein Narr zu werden und wegen den Interessen anderer Krieg zu führen. Ich bin bis dahin gegangen, dass ich einen Schuldigen dafür suchte.
Namen nennt Novica nicht, zu weit will auch er nicht gehen, doch der Veteran sagt, dass die serbische Gesellschaft zu 90 Prozent traumatisiert sei. "Gefährliche Vorurteile", davon ist er überzeugt, werden für Serbien noch sehr lange ein Problem sein. Dass Novica über seine schrecklichen Erfahrungen überhaupt redet, hat nicht allein mit seinen psychischen Schwierigkeiten zu tun. Er fühlt sich von Ämtern, Behörden und "der Gesellschaft" schlecht behandelt. Viele der serbischen Veteranen haben Angst vor Ermittlungen des Haager Tribunals und davor in ihrer Heimat als Verräter zu gelten, und doch brechen sie mit der "Kultur des Schweigens".