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Die Text-Profiler

Erpresserbriefe, Bombendrohungen, Bekennerschreiben - solche Texte landen beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden auf dem Schreibtisch von Dr. Sabine Ehrhard. Sie sucht nicht nach Fingerabdrücken auf dem Papier oder der Herkunft der Tinte. Die Linguistin spürt die sprachlichen Besonderheiten der Verbrechertexte auf, um Hinweise auf die Täter zu finden.

Von Cajo Kutzbach |
    "Die Texte, die wir untersuchen sind so genannte inkriminierte Texte. Das heißt der Text selbst kann eine Straftat darstellen. Das ist der Fall bei Erpresserschreiben, bei Bedrohungen, bei Beleidigungen. Und inkriminierte Texte sind Texte, die im Kontexte einer Straftat relevant sind. Das sind Bezichtigungen, Selbstbezichtigungen oder Beschuldigungen anderer. Es können aber auch Bekennerschreiben sein, Positionspapiere sein zur Darstellung einer politischen Ideologie, die sich im Bereich des Extremismus bewegt beispielsweise."

    Bei der Untersuchung geht es nun nicht um Fingerabdrücke auf dem Papier oder ähnliches, sondern nur um den Text:

    "Das beginnt bei Interpunktion, also Satzzeichensetzung, geht über Orthografie; schreibt der Autor richtig oder falsch - also da kann man wirklich mit richtig und falsch hantieren, weil es da unser amtliches Regelwerk den Duden gibt. Die Analyse von grammatischen Besonderheiten gehört dazu aber auch das Vokabular und natürlich auch stilistische Sachen. Welche Wahl hat der Autor an sprachlichen Mitteln getroffen, um sich auszudrücken. Also man muss natürlich versuchen zu unterscheiden, was ist denn tatsächlich eine bewusste Wahl sprachlicher Merkmale und was ist beispielsweise vorgegeben durch die Textsorte."

    Und weil mancher Verbrecher sich besonders gewählt ausdrücken möchte, gibt es hin und wieder auch was zu lachen, eben unfreiwillige Komik:

    "Beispielsweise der Satz: 'Wir bekommen sie schon weich und außerdem bekommen wir immer, was wir kriegen!' In einem anderen Text versucht ein Autor sich möglichst förmlich auszudrücken. Also er schrieb: 'In den folgenden Filialen habe ich die aufgeführten Lebensmittel mit einem Beipackzettel kontaminiert!'."

    So lustig das für Sabine Ehrhard ist, so verrät es doch, dass der Schreiber kein Könner der deutschen Sprache ist. Aber wer versucht, sich als Dummerchen darzustellen, wird ebenfalls entlarvt:

    "So leichte Fälle, wo jemand wirklich nur die Kommasetzung verändert, sind natürlich noch leicht aufzuspüren. Aber es gibt dann auch noch bisschen kniffligere Sachen, wo ein Autor versucht sich als Schreiber des Deutschen als Fremdsprache auszugeben. Nichtsdestotrotz wird dann nur so ein bisschen Kommasetzung, Orthografie und Syntax verändert. Was aber selten verändert wird, ist das Vokabular, idiomatische Wendungen werden nicht verändert. Überhaupt sind die Autoren immer sehr darauf bedacht, dass das Verständnis des Textes nicht beeinträchtigt wird, und das ist häufig ein Hinweis auf Verstellung, denn diese Möglichkeit hat ein tatsächlicher Nichtmuttersprachler natürlich nicht, darauf zu achten, dass ein Text möglichst gut verständlich ist, weil er die Sprache ja nur unzureichend beherrscht."

    Ideal wäre, wenn man so was wie einen sprachlichen Fingerabdruck machen könnte, aber das geht nicht:

    "Nein, das kann man nicht. Also ein Fingerabdruck hat eine besondere Bedeutung, dass er einzigartig ist und das kann man für unser Sachgebiet auf jeden Fall nicht so sagen, also das gibt es nicht. Das ist eine Diskussion, die schon sehr lange geführt wird, seit den Anfängen der Autorenerkennung, die immerhin schon Ende der 70er Jahre liegt. Dafür ist einfach Sprache nicht gemacht, um mit solchen Mitteln, wie wir sie anwenden, also die Analyse von Fehlern und stilistischen Merkmalen, wirklich das Sprachprofil eines Autors zu erkennen in dem Sinne, dass es ihn zweifelsohne von anderen unterscheiden kann. Das funktioniert so nicht."

    Es ist eher so: Man hört ein unbekanntes Musikstück und meint, das klingt nach Gregorianisch, Mittelalter, Bach oder Chopin. Und wie bei der Musik kann die Sprache manchmal auch etwas über die Herkunft oder das Alter des Schreibenden verraten. Wer ältere Worte, wie Halbstarker oder Schnulze gebraucht, ist vermutlich älter. Wer Ausdrücke benutzt, die nur in Norddeutschland oder nur in Süddeutschland gebräuchlich sind, hat wahrscheinlich dort längere Zeit gelebt.

    "Wir versuchen, sprachliche Besonderheiten eines Textes zu interpretieren im Hinblick auf biografische Aspekte eines Autors. Das heißt, wir versuchen den Autor zu kategorisieren. Da kann natürlich so was wie Dialekt mit reinspielen, wobei das im Geschriebenen nicht so häufig eine Rolle spielt. Aber auch grobe Einschätzung des Alters oder des Bildungsgrades und natürlich die Einschätzung, ob es ein Muttersprachler oder ein Nichtmuttersprachler ist, gehören in diese Kategorie."

    Neben der möglichst genauen Beschreibung des Autors und seines Lebens muss Sabine Ehrhard aber auch Texte vergleichen. Stammen die vom selben Autor oder von verschiedenen Schreibern?

    "Da ist es wesentlich, die sprachlichen Eigenheiten von Texten zu vergleichen, um dann sagen zu können, ob es derselbe Autor ist. Das spielt häufig eine Rolle, wenn verschiedene Straftaten zusammengeführt werden sollen, um beispielsweise die Ermittlungen voran zu bringen. Oder auch, wenn man konkrete Verdächtige hat und denen eine Beteiligung an einer Straftat nachweisen will, können wir versuchen, das linguistisch zu untermauern."

    Dabei spielt es keine Rolle, ob der Autor sich die Mühe machte, alle Worte aus Zeitschriften auszuschneiden, oder den Text handschriftlich oder mit dem Computer verfasste. Es ist verblüffend, was man alles herausbekommen kann. Bei Texten aus einem Computer kann Sabine Ehrhard manchmal sagen, ob der Autor das Korrekturprogramm benutzt hat, um Fehler zu vermeiden.

    Natürlich benützt Sabine Ehrhard ebenfalls einen Rechner beim Verwalten und Auswerten der Sammlung derartiger Texte:

    "Wir führen die nationale Sammlung inkriminierter Schreiben. Und die wird unter anderem über eine Software verwaltet. Also jeder rein kommende Text wird mit einer Sammlungsrecherche überprüft, ob sich vielleicht schon Tat- oder Autorzusammenhänge feststellen lassen von vornherein. Also das wird routinemäßig durchgeführt."

    Die rund 4500 Schriftstücke kann man aber auch benutzen um nach typischen Merkmalen bestimmter Texte zu suchen. So kann sie zum Beispiel prüfen, ob Erpresser bestimmte Worte besonders häufig benutzen, diese Worte also wenig mit der Person zu tun haben, oder ob eine ungewöhnliche Redewendung in mehreren Schreiben vorkommt, was dann auf einen Täter hinweisen würde:

    "Das Gleiche gilt für jedes sprachliche Merkmal. Wir nehmen alles in unsere Sammlung auf, also auch feinste sprachliche Merkmale werden analysiert und in der Sammlung gespeichert und wir können die Sammlung halt wirklich nach Kommafehlern durchsuchen."

    Ein Täter könnte sich also im dümmsten Fall sogar durch seine Kommafehler verraten.

    Die schwierigsten Texte für Sabine Ehrhard sind entweder sehr kurze Texte, aus denen sich wenig heraus lesen lässt, oder aber Texte, die ein Gemeinschaftswerk verschiedener Autoren sind, so dass man sie nicht eindeutig einer Person zuordnen kann, sondern nur einer Gruppe.

    Insgesamt genießt Sabine Ehrhard ihren Beruf als forensischer Linguist, weil sie ständig mit ungewöhnlichen Texten zu tun hat. Nur über die Kriminalfälle an denen sie mitwirkt, erfährt sie wenig:

    "Es fehlt halt immer die Auflösung, oder in den meisten Fällen."