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Die Tigerin von der Tatra

Jubel in den Parteizentralen der slowakischen Konservativen: Ihr kollektiver Wahlsieg bedeutet für die Slowakei eine kleine Revolution. Iveta Radicova, Spitzenkandidatin der christlich-liberalen SDKU, tritt am Morgen nach der Wahl vor die Kameras und kann es selbst nicht fassen:

Von Christina Janssen |
    "Mein Wunsch ist es, dass dieses Land wieder zu dem wird, was es einmal war: ein europäischer Tigerstaat. Vor einigen Wochen hätte daran kaum jemand geglaubt. Ich halte es für ein herrliches Wunder dieses Wahlmorgens, dass eine Alternative nicht nur möglich ist, sondern dass die Bürger sie auch gewählt haben."

    Mit Iveta Radicova hätte bis vor kurzem niemand gerechnet: Die 53-jährige Soziologieprofessorin wechselte erst vor fünf Jahren in die Politik – damals holte der konservativ-liberale Premier Mikulas Dzurinda die Forscherin in sein Kabinett. Im vergangenen Jahr stand sie erneut im Rampenlicht: Als Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen unterlag sie nur knapp Amtsinhaber Gasparovic. Bei den Intellektuellen und dem jüngeren städtischen Publikum kommt die liberale Politikerin gut an. Sie gilt als undogmatisch und unbelastet von Affären. Ehrlichkeit – ihr Credo im Wahlkampf:

    "Ich bin aufrechten Ganges und mit einer sauberen Weste in die Politik gegangen, und genau so werde ich sie auch wieder verlassen."

    Zuerst aber will die ruhig und freundlich wirkende Sozialexpertin der Slowakei wieder auf die Beine helfen. Vier Jahre lang hat in Bratislava der Linkspopulist Robert Fico regiert – seine skandalträchtige Koalition mit zwei nationalistischen Schmuddelparteien machte vornehmlich durch Korruptionsaffären und unflätige Pöbeleien von sich Reden. Nun verspricht Iveta Radicova eine neue Sachlichkeit. Gemeinsam mit ihren drei Koalitionspartnern will sie das Land auf den früheren Wachstumskurs zurückführen.

    "Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche - wegen der Wirtschaftskrise und der Energiekrise. Deshalb sind die Themen Wachstum, Beschäftigung, Einkommen und die Bildung von Arbeitsplätzen wieder zur absoluten Priorität geworden. Mir wurde oft vorgeworfen, dass ich als Soziologin zu sehr in der Sozialpolitik verwurzelt bin - doch genau das wird mir jetzt zum Vorteil."

    Iveta Radicova steht vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss die nötigen Reformen anpacken, darf dabei aber die Sozialschwachen nicht aus den Augen verlieren. Denn sie weiß aus Erfahrung, welche Folgen das haben kann: Die neoliberalen Reformen der Jahre 2002 bis 2006 bildeten die Basis für den slowakischen Boom. Ausländische Investoren strömten in das einst bettelarme Land und schufen neue Arbeitsplätze. Trotzdem protestierten Hunderttausende gegen die teils drastischen Einschnitte und verpassten den Reformern prompt einen Denkzettel. 2006 wurde die Regierung Dzurinda abgewählt. – Diesmal will Iveta Radicova es besser machen, mehr auf die Menschen zugehen, vermitteln, erklären:

    "Ich lächle gern – und ich versuche zu helfen. Darin sehe ich den Sinn meiner Position in dieser Gesellschaft. Und was mich ansonsten auszeichnet: Selbstbewusstsein, Sachlichkeit und die Fähigkeit zu argumentieren."

    Die wird sie auch brauchen: Sollte Iveta Radicova tatsächlich bald als neue slowakische Premierministerin vereidigt werden, muss sie ein Kabinett aus vier Parteien bändigen. Außerdem hat sie es mit einer starken Opposition zu tun: Der scheidende Premier Robert Fico ist trotz aller Affären enorm populär. Er dürfte keine Gelegenheit auslassen, das neue Regierungsbündnis zu torpedieren, meint der Politologe Grigorij Meseznikov:

    "In den vergangenen vier Jahren hat hier eine Koalition regiert, die an die Reformen der Ära Dzurinda nicht angeknüpft hat. Seit 2006 hat sich hier ein konfrontativer politischer Stil etabliert, mit aggressiven Attacken auf politische Gegner, auf unabhängige Medien und die nationalen Minderheiten, ein Stil, der von Klientelismus und Korruption geprägt war."

    Das ist nun vorbei, hoffen Radicovas Anhänger. Dafür droht an anderer Stelle Ungemach: Die künftigen slowakischen Regierungsparteien wollen das europäische Hilfspaket für Griechenland platzen lassen – daraus könnte ein handfester Streit mit der EU werden:

    "Paradox daran ist, dass ein Großteil dieser Parteien entscheidend zur Mitgliedschaft der Slowakei in der EU beigetragen hat, das war für sie immer eine klare Priorität. Aber es sieht ganz danach aus, als würde die neue Koalition bei ihrer Ablehnung des Rettungspaketes bleiben – und das wäre wohl kein guter Anfang."

    Bei der großen Mehrheit der Slowaken käme ein solcher Schritt gut an. Es wäre zumindest eine populäre Maßnahme, bevor die künftige Reformregierung in Bratislava den Rotstift ansetzt.