Die Todesstrafendebatte

Kaum ein anderes Thema führte bis in die 60er Jahre hinein zu so lebhaften Diskussionen in der Bevölkerung und im Bundestag, wie die Initiativen zur Wiedereinführung der Todesstrafe. In den ersten drei Legislaturperioden wurden sieben Anträge zu einer entsprechenden Verfassungsänderung eingebracht. Sie scheiterten zum Teil nur knapp.

Von Stephan Detjen |
    Für die meisten Westdeutschen war der Tag, an dem das Grundgesetz ihnen eine neue, freiheitliche Verfassung gab, nicht die Stunde Null. Ein knappes Jahr zuvor hatte bereits die Währungsreform für jedermann spürbar den Aufbruch in die Nachkriegsepoche eingeläutet. Die Menschen auf der Straße interessierten sich im Mai 1949 kaum für ihre neuen Grundrechte, Staatsprinzipien oder den Aufbau des Bundesstaates. Die neue Verfassung entstand nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

    Erst ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten wühlte zum ersten Mal auch eine Verfassungsdebatte die breitere Öffentlichkeit auf. Die kleine, mit nur 17 Abgeordneten im Deutschen Bundestag vertretene Bayernpartei hatte im Februar 1950 den ersten förmlichen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes eingebracht. Art. 102 sollte gestrichen und damit die Todesstrafe wieder eingeführt werden:

    Hermann Etzel: "Unsere Zeit und unserer Menschen schwanken zwischen Verwilderung und Erschlaffung. In einer solchen Epoche des Zusammenbruchs ehemals festgefügter sittlicher und gesellschaftlicher Ordnungen ist der Verzicht auf die Todesstrafe gefährlich und eine unverzeihliche Schwäche. Die Justitia hält nicht nur die Waage, sondern führt auch das Schwert."

    Der Bamberger Hermann Etzel, der den Antrag im Bundestag begründete, zielte mit seiner Argumentation weit über das populäre Thema Todesstrafe hinaus. Die Bayern Partei hatte vielmehr das Grundgesetz als Ganzes im Visier.

    Hermann Etzel: "Der Parlamentarische Rat war keine Volksvertretung (Zuruf: Sehr richtig!), sondern ein auf dem Besatzungsrecht beruhendes Sonder- und Zewcksgremium, das Geschöpf des Befehls der Sieger (Zuruf: Sehr gut!). Auch die Abstimmung über die Einführung des Grundgesetzes erfolgte nicht auf demokratische Weise durch das Volk selbst. Zwar behauptet die Präambel, das Deutsche Volk in den Ländern habe Kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt das Grundgesetz beschlossen. In Wahrheit aber hatten die Bevölkerungen in den beteiligten Ländern mit dem Zustandekommen, der Verabschiedung und Einführung des Grundgesetzes nicht das geringste zu tun."

    Die Bayern-Partei traf damit einen durchaus heiklen Punkt. Tatsächlich war das Grundgesetz dem Volk nie zur Abstimmung vorgelegt worden. Zum einen war die gesamte Verfassungsgebung von einem deutlichen Mißtrauen gegen die wankelmütigen Stiimungen der Bevölkerung und plebiszitäre Bürgerbeteiligung gepägt. Zum anderen sollte der Verzicht auf eine Volksbefragung zum Grundgesetz auch den provisorischen Charakter der Verfassung unterstreichen.

    In Sachen Todesstrafe glaubte die Bayern Partei nnun nachweisen zu können, daß sich der Parlamentarische Rat auch in der Sache selbst über den Willen der Bevölkerung hinweggesetzt habe.

    Der liberale Bundesjustizminister Hermann Dehler wies den Antrag auf Änderung der Verfassung deshalb auch nicht mir Argumenten gegen die Todesstrafe selbst zurück. Um so energischer aber verteidigte Dehler die Legitimität der neuen Verfassung:

    Thomas Dehler: "Man kann nicht verlangen, daß dieses Grundgesetz mit Liebe und Ehrfurcht angenommen wird, Dafür ist es zu jung, dafür sind die Umstände, unter denen es zustande gekommen ist, vielleicht zu wenig regulär gewesen. Aber eines darf man verlangen, wenn man nicht von vornherein die Axt an die Wurzeln unseres Staates legen will: Daß man diesem Grundgesetz mit Fairneß und mit Loyalität gegenüber tritt, daß man diesem jungen Staat die Möglichkeit des Lebens gewährt. Darin sehe ich die böse Tendenz dieses Antrages: Man will diese Autorität nicht anerkennen, man will diesem Grundgesetz nicht die Chance geben. Warum diese Überstürzung? Nur aus der Tendenz, die ich ihnen angedeutet habe. (Zwischenruf: Das Volk will es, Herr Minister!) Meine persönliche Überzeugung ... (Zwischenruf: 90 Prozent wollen es! weitere Zwischenrufe, Glocke)"

    Daß Thomas Dehler sich 1950 nicht auf das Für und Wider der Todesstrafe einließ, hatte auch taktische Gründe. Bei der Verteidigung des Grundgesetzes als Ganzes wußte er die Mehrheit der großen Parteien hinter sich. In der Frage Todesstrafe allerdings blieb das Parlament noch lange und weit über die Kreise konservativer Splitterparteien hinaus tief gespalten. Dem ersten gescheiterten Antrag zur Wiedereinführung der Todesstrafe folten deshalb bald weitere. Insgesamt sieben Mal wurde bis 1958 eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes beantragt. Bei einer namentlichen Abstimmung im Oktober 1952 sprach sich auch eine deutliche Mehrheit der CDU / CSU Fraktion für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Unter den Befürwortern waren prominente Politiker wie der erste Bundesarbeitsminister Anton Storch, Franz Josef Strauß und Richard Jaeger, der sich deshalb Bundesjustizminister den Spitznamen "Kopf-ab-Jaeger" einhandelte.