Samstag, 27. April 2024

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Die Treuhändler

Die Werbung verspricht einen Wirtschaftskrimi. Mit gemeinen Abzockern, hinterhältigen Gaunern und strahlenden Helden. Aus Politik und Wirtschaft. In Michael Jürgs neuem Buch "Die Treuhändler" sind die Politiker und ihren Administratoren aber eher bemüht. Und die Wirtschaftsbosse sind zerknirscht. Und mehr nicht. Letztere werden übrigens bei Jürgs in Patrioten und Nicht-Patrioten unterteilt.

Brigitte Neumann | 01.01.1980
    Zum Beispiel Harald Eckes, Deutschlands größter Safthersteller. Er ist ein Patriot, denn er hilft Gunter Heise vom VEB Rotkäppchen auf die Beine, indem er 40prozentiger Teilhaber wird. Und die Geschichte zeigt: Es lohnte sich:

    "Sie haben es bereits im ersten Geschäftsjahr geschafft, verkaufen inzwischen auch im Westen und nicht nur im Osten, wo sie den Markt dank Nostalgie und Image sowieso beherrschen, rund dreißig Millionen Flaschen pro Jahr, nicht mehr nur das süße Gebräu, sondern herben Rieslingsekt made in East Germany. Zum erstenmal Gewinn 1994, und das beste Ergebnis in der 140jährigen Firmengeschichte ein Jahr danach. Verscherbeln getreu der Marketingstrategie, daß ihr Name einen Substanzwert hat, Mützen und T-Shirts mit dem Rotkäppchen-Signet, bieten Musikern wie #Justus Frantz# in ihrere renovierten alten Fabrikhalle einen akustisch eindrucksvollen Konzertsaal, füllen gern auch Tagesausflügler ab, denen die Gewölbe und Riesenfässer gezeigt werden. Aktivitäten, die immerhin die Zahl der Festansgestellten auf 74 wachsen läßt, und deshalb ist alles erlaubt.

    Ost-Rotkäppchens Erfolg über die gierigen West-Wölfe ist für die ganze Gegend ein Sieg, wo ohne ABM-Maßnahmen die Arbeitslosigkeit vierzig Prozent betragen würde, denn außer der Hoffnung auf Tourismus gibt es in der Idylle nicht viele Alternativen. Die üblichen Videotheken und Sonnenstudios, die nach der Einheit in jedem Kaff gegründet wurden, auch hier, sind längst wieder pleite. Soviel Bräune braucht kein Mensch. Deshalb ist Rotkäppchens Sieg in der Marktwirtschaft ein großer Sieg fürs Selbstbewußtsein."

    Ein Selbstbewußtsein, an dem, meinen andere, die Westmanager kein großes Interesse hatten. Der Unternehmensberater Albrecht Graf Matuschka, sagte: "Der arme Verwandte wurde kolonialisiert und hatte von Anfang an keine Chance. Die Treuhandanstalt sollte Unternehmen liquidieren, die für die westdeutsche Wirtschaft hätten zu gefährlichen Konkurrenten vor allem im Osten werden können. Die Einheit ist von den Treuhändern schlecht gemanagt worden, die Chancen, die es gab, einen wirklichen Neuanfang zu machen, sind geradezu fahrlässig vergeigt worden."

    Dieses Matuschka-Zitat stammt zwar aus Michael Jürgs Buch, aber der Tenor auf 480 Seiten ist anders: "Die Treuhand hat sich angesichts einer extrem schwierigen Materie tapfer geschlagen. Sie ist von den Politikern als Watschenmann und Sündenbock benutzt worden."

    Stimmt, die Materie ist schwierig, so schwierig, daß auch dem Leser manchmal die Augen zufallen - Zahlen, Umtauschkurse, globale Vernetzungen, Bilanzen - und manchmal ein freches Jürgs-Sätzchen eingestreut. Öfter aber auch ein mißlungenes. Wie dies hier: "Was lange gärt, wird zwar endlich Wut, aber dann ist es auch wieder gut."

    Die Materie ist schwierig. Aber Jürgs ist nicht der geniale Vereinfacher, der er gerne wäre. Nicht bei diesem Thema.

    Worum geht es? Die DDR, die offiziell als zehntgrößte Industrie-Nation galt, ist in Wirklichkeit pleite: Ein Grund für die Wiedervereinigung. Die Bürgerrechtler schlagen vor, daß alles was die DDR an Besitz hat, den Bürgern in Anteilsscheinen vermacht wird. Dafür wird die Treuhandanstalt gegründet. Die Gründung ist die letzte Amtshandlung von Regierungschef Hans Modrow. Sechs Monate später ist die Treuhand fest in westdeutscher Hand. Denn: Die Ossis haben keine Controller, keine Marketingspezialisten - nicht die richtigen Leute. Die Privatisierung des DDR-Besitzes hat 68 Milliarden Mark gebracht. Im Gegenzug gehen in den letzten 6 Jahren etwa 1000 Mrd. Mark Steuergeld von West nach Ost. Das sind pro Ostbürger etwa 62 500 Mark. Wäre da nicht zu viel Geld in die falschen Taschen geflossen, hätte man im Osten mehr aufbauen können als eine Arbeitslosigkeit von 25 Prozent. Apropos "falsche Taschen": Zum Beispiel gibt es ja die von der Polizei oft geäußerte Vermutung, Mafiosi, die in Westdeutschland ihre Ruhedomizile haben, hätten über die Treuhandanstalt ihr schmutziges Geld weißgewaschen. Nichts dazu in Jürgs Buch: "Das fehlt sicher", erklärt Michael Jürgs, "weil die Recherche ergeben hat, daß das zwar gut klingt und auch eine tolle Geschichte ist, und vielleicht macht Herr Lindlau was für sein Theaterstück über St. Pauli draus. Aber meine Recherchen haben dafür keine Beweise ergeben und ich wollte eigentlich nach dem alten Prinzip, immer auch die andere Seite zu hören, nur Sachen schreiben, die ich belegen kann. Gerade bei einem solchen Thema müssen Sie für alles Belege haben, weil sonst kommen die Klagen zuhauf. Gerade weil wir damit rechnen mußten, daß bei einigen Namen,die genannt wurden, bei einigen Summen, die genannt werden und bei einigen Akten, die entblättert wurden, Klagen kommen könnten."

    Und Jürgs hat dieses Buch ganz genau von seinem Anwalt lektorieren lassen. Vielleicht deshalb der unscharfe Gesamteindruck der Treuhandanstalt nach Lektüre des Buches. Viele Männer und eine Frau entscheiden jeden Tag Gewichtiges. Sachzwänge säumen ihren Weg. Und das Ergebnis ist nicht schön. Alles ist irgendwie sperrig. Das sowohl-als-auch dominiert.

    Manchmal spricht Jürgs aber auch unverhofft und voller Emphase und Mitleid von den Opfern, den Arbeits- und Hoffnungslosen drüben. Da wird es plötzlich interessant.

    Ab und zu hatte Jürgs Anwalt aber offenbar auch nichts dagegen, knallhart Schuldige zu nennen. Zum Beispiel an der Ermordung des Treuhandchefs Rohwedder. Die RAF hat den Mord ausgeführt. Regine Hildebrand hat dazu angestiftet, indem sie nämlich "Rohwedder" Tage vor seinem Tod in einer Talkshow so fertig gemacht hat, daß er arrogant wirken mußte und dann ist es passiert.

    Das Buch ist Flickwerk - stilistisch und inhaltlich, und es quält den Leser. Wie ist Michael Jürgs, der ja in seiner langen Jounalistenkarriere um Wirtschaftsthemen immer einen Bogen gemacht hat, auf dieses Thema gekommen? "Ich war irgendwann mal in Amerika", erzählt Jürgs. "Und da habe ich das Buch von Günter Grass gelesen. >>Ein weites Feld <<. Und dieses Buch hat mich fasziniert. Ich habe das Grass auch gleich gesagt. Ich hab ihn angerufen aus Amerika. Er war völlig verstört, weil einer aus Amerika anruft, und sagt, wie gut das Buch ist. Und da sagte ich mir, da müßte eigentlich noch ein Sachbuch möglich sein. Und fing an zu recherchieren und zu graben. Richtig einzugraben in 150 000 Seiten Archiv, was nicht immer ein Vergnügen war, wie sie sich vorstellen können. Und dann loszureisen und mit den Menschen zu reden und das zu erzählen."

    Die Leute aus Ost und West sind sich nicht grün. Das hat Jürgs auf seinen 40 000 Kilometern Recherchetour duch die neuen Bundesländer erfahren. Daß Prominente Westautoren rübermachen und von den Ossis erzählen, ist das Gebot der Stunde. Vielleicht könnte Michael Jürgs den Human-touch-Teil übernehmen und ein anderer den Job, nach dem vielen Geld zu suchen, das in den falschen Taschen gelandet ist.