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Die Türkei im Nahost-Dilemma

Während der Proteste in Ägypten war der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan einer der ersten, der Mubaraks Rücktritt forderte. In der Syrien-Krise hält sich die Regierung bedeckt. Zwischen nationalen Egoismen und wirtschaftlichen Interessen hat die Türkei eine schwierige Vermittlerrolle.

Von Gunnar Köhne | 23.04.2011
    Am vergangenen Mittwoch stand in der New York Times zu lesen, die Aufstände im Nahen Osten und in Nord Afrika ähnelten den Revolutionen in Europa 1848 und 1989. Es seien Revolten im Namen universeller Freiheitsrechte – deren Ausgang gleichwohl noch ungewiss sei. Der Verfasser dieser Einschätzung ist der türkische Staatspräsident Abdullah Gül. Sein syrischer Amtskollege Baschar al-Assad wird über diesen Gastbeitrag aus Ankara wenig erfreut gewesen sein. Auch wenn Syrien nicht direkt erwähnt wird – die Türkei drängt Damaskus seit Beginn der Unruhen im Nachbarland, auf die Opposition zuzugehen. Der Sprecher des türkischen Außenministeriums, Selim Yenel:

    "Wir reden offen mit den Syrern – und sie hören sich unsere Bedenken auch an. Wir haben klar gemacht, dass uns daran gelegen ist, dass der Wandel in Syrien friedlich von statten geht – ohne Verlust von Menschenleben oder sonstiges Leiden für die Bevölkerung. Wir wissen, wie schwierig das ist angesichts der bereits geschehenen tragischen Ereignisse."

    Waren die Unruhen in Nord-Afrika noch relativ weit entfernt von Ankara, bereiten die Demonstrationen in Syrien der türkischen Regierung große Sorgen. Die beiden Staaten teilen sich eine 800 Kilometer lange Grenze, die erst im vergangenen Jahr durch eine vereinbarte Visumsfreiheit durchlässiger gemacht worden war. Auf syrischer Seite gibt es eine unterdrückte kurdische Minderheit, die mehr Rechte fordert und, so die türkische Befürchtung, der militanten PKK unter die Arme greifen könnte, wenn die Staatsordnung in Syrien zusammen brechen sollte. Die Istanbuler Nahostexpertin Nuray Mert über die türkischen Bedenken:

    "Das Kurdenproblem ist für die Türkei schon jetzt destabilisierend genug. Gibt es Unruhen in den kurdischen Gebieten Syriens, dann könnten diese auf die Türkei übergreifen. Und nicht zu vergessen: Syrien ist der letzte Verbündete des Iran in der Region. Wenn wir uns auch im Falle Syriens gemeinsam mit dem Westen auf die Seite der Opposition stellen, dann fordern wir den Iran heraus."

    Die Türkei steckt mit ihrer Nahostpolitik in einem Dilemma: Kontinuierlich hat sie ihren politischen und insbesondere wirtschaftlichen Einfluss in der Region ausgebaut: "Null Probleme mit den Nachbarn" lautet ihr Motto. Ob Ägypten, Tunesien, Libyen oder Syrien – mit allen diesen Ländern hat Ankara Visumsfreiheit und einen massiven Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen vereinbart.

    Doch Ankara will weder bei der arabischen Opposition als Freund der Despoten dastehen, noch bei den verbliebenen Alleinherrschern in der Region als Aufrührer oder bedingungsloser Alliierter des Westens. Also bietet sich die Türkei wieder und wieder als Vermittler an: Zwischen Israel und den Palästinensern, zwischen Israel und Syrien, zwischen den rivalisierenden Parteien im Libanon und in Palästina und jüngst zwischen Rebellen und Regierung in Libyen und auch zwischen der Opposition und Staatschef Assad in Syrien. Allein: Ein Erfolg dieser Bemühungen bleibt bislang aus.

    Auch sähe die regierende religiös-konservative AK-Partei ihr Land gerne als Vorbild: Ein mehrheitlich muslimisches Land mit parlamentarischer Demokratie, fest im Westen verankert und wirtschaftlich enorm erfolgreich. Doch das Interesse der arabischen Opposition an der Türkei fällt geringer aus als erhofft, noch ist keine Delegation aus Ägypten oder Tunesien in Ankara eingetroffen. Nahostexpertin Nuray Mert rät ihrer Regierung darum zu mehr Bescheidenheit:

    "Was man der türkischen Außenpolitik vorwerfen kann ist, dass sie zu ehrgeizig ist und ihre eigenen Möglichkeiten überschätzt. Sie hat in den letzten Wochen schmerzhaft die Grenzen ihres Einflusses zu spüren bekommen."