"Die Türken kommen!" Mit dickem Ausrufezeichen flattert das Spruchband über dem Portal des Koblenzer Mittelrhein-Museums am historischen Florinsmarkt. Der Schreckensruf hallte einst durch die Gassen Wiens, als gegen Ende des 17. Jahrhunderts das gewaltige Heer der Osmanen zum Sturmangriff ansetzte. Frei wäre der Weg nach Europa gewesen, hätte nicht die heilige Jungfrau in letzter Minute die Invasion der Muslime zum Halten gebracht. Die kriegerische Madonna trägt den Brustpanzer Kaiser Karls. Golden schimmert das geschnitzte Lindenholz, so glänzend poliert wie die Metallhaut des Kriegselefanten, der einen Uhrturm trägt, auf dem Türken im Kreise tanzen und an Glocken die Stunden schlagen. Der kostbare Automat stammt aus der Sammlung der Fürsten Esterházy, und einer von ihnen, die an vorderster Front kämpften, liegt auf einem Ölbild erschlagen am Boden, mit einer klaffenden Wunde im Schädel.
Aber vielleicht ist es ein Irrtum, das Transparent als Angstschrei zu lesen. Die Koblenzer jedenfalls jubelten, als sie riefen: "Die Türken kommen!" Das war 1867: Damals empfing der preußische König Wilhelm I. den türkischen Sultan mit seinem Gefolge in der Stadt an Mosel und Rhein. Der erste und einzige Staatsbesuch eines osmanischen Herrschers in Deutschland sollte die Allianz mit den Hohenzollern begründen. Sie hielt bis zum Ersten Weltkrieg, der beide Reiche verschlang. Das türkische Zelt, in dem Wilhelm II. orientbegeistert als Knabe spielte, hat das Museum in seinem niederländischen Exilort Doorn ausgeliehen.
Auf den zweiten lokalpatriotischen Anlass der Koblenzer Türkenschau fällt nun aber nicht der leistete Schatten der Weltgeschichte. Am 23. November 1787 wurde das neue Hof- und Bürgertheater in Anwesenheit des Kurfürsten mit Mozarts "Entführung aus dem Serail" eingeweiht. Wie schon bei der Wiener Uraufführung raste das Publikum vor Vergnügen. Als Janitscharen verkleidet, zogen die kurfürstlichen Musiker malerisch kostümiert mit türkischen Instrumenten über die Bühne. In der Gestalt des edlen Bassa, der großmütig seine blonde Odaliske aus dem Harem entlässt, hatte die Türkenbegeisterung im empfindsamen Rokoko ihren Höhepunkt erreicht.
Der Plot zu den Alla-turca-Klängen, an dem sich auch Gluck und Haydn versuchten, spiegelt den Stimmungsumschwung der Zeit. Nach dem Sieg der Reichsritter vor Wien hatte sich die Türkenfurcht in Faszination verwandelt. Die Turquerie infizierte epidemisch Adelshöfe und Bürgerhäuser. In den Salons und Cafés wurde der duftende Türkentrank gereicht. Anatolische Tulpen blühten in den Gärten. Regierende Fürsten ließen Ihre Thronfolger mit Turban und Pluderhosen malen, die Pozellanmanufakturen machten aus dem einstigen Erzfeind des Abendlandes zierliche Tischdekoration. Die am Fließband komponierten Türkenopern ließen vergessen, dass die infernalische Janitscharenmusik der osmanischen Militärelite einst Himmel und Erde erbeben ließ. Sehr authentisch war die Anverwandlung der exotischen Reize wohl kaum. "Ist nicht türkisch", bemerkte 1736 der Gesandte der Hohen Pforte in Berlin, als man ihm einen "türkischen" Marsch vorspielte.
Der Diplomat urteilte streng, denn nur wenige Europäer hatten das Sehnsuchtsland im Osten, die Mär von Luxus und Sinnenrausch mit eigenen Augen gesehen. Einer der wenigen zuverlässigen Zeugen ist der flämische Maler Jean-Baptist Vanmour, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts am Sultanshof in Istanbul tätig war. Seine großformatigen Innenansichten vom prachtvollen Leben der osmanischen Oberschicht glänzen denn auch im Zentrum der mit 240 Exponaten breitgefächerten Schau.
Bescheiden mutet dagegen der Textband der Lady Montague an. Doch die Erinnerungen der britischen Botschaftergattin an ihre Haremserlebnisse bargen den Stoff, aus dem die wildesten Träume sind. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bildeten die verschlossenen Frauengemächer die ideale Projektionsfläche für erotische Phantasien der Europäer. Am Ende des Rundgang versinkt die Türkenmode in den Kitschorgien leicht bekleideter Haremsdamen aus den populistischen Manufakturen der Salonmalerei.
Bemerkenswert, dass die zahlreichen Wandtexte der Ausstellung auch in türkischer Sprache aufgehängt sind. Der Service kann nur bedeuten: Die Türken kommen nicht, sie sind längst da. Auch der im Rheinland lebende türkische Regisseur Ertan Erdogan, der im Rahmenprogramm sein filmisches Schaffen zur Diskussion stellen wird. Da geht es nicht mehr um die magische Anziehungskraft der osmanischen Vorfahren, sondern um die belebende Wirkung der kontrastierenden Kulturen von heute.
"Die Türken kommen!" Exotik und Erotik - Orient-Sehnsucht im Mittelrhein-Museum Koblenz bis zum 18.2.2007
Aber vielleicht ist es ein Irrtum, das Transparent als Angstschrei zu lesen. Die Koblenzer jedenfalls jubelten, als sie riefen: "Die Türken kommen!" Das war 1867: Damals empfing der preußische König Wilhelm I. den türkischen Sultan mit seinem Gefolge in der Stadt an Mosel und Rhein. Der erste und einzige Staatsbesuch eines osmanischen Herrschers in Deutschland sollte die Allianz mit den Hohenzollern begründen. Sie hielt bis zum Ersten Weltkrieg, der beide Reiche verschlang. Das türkische Zelt, in dem Wilhelm II. orientbegeistert als Knabe spielte, hat das Museum in seinem niederländischen Exilort Doorn ausgeliehen.
Auf den zweiten lokalpatriotischen Anlass der Koblenzer Türkenschau fällt nun aber nicht der leistete Schatten der Weltgeschichte. Am 23. November 1787 wurde das neue Hof- und Bürgertheater in Anwesenheit des Kurfürsten mit Mozarts "Entführung aus dem Serail" eingeweiht. Wie schon bei der Wiener Uraufführung raste das Publikum vor Vergnügen. Als Janitscharen verkleidet, zogen die kurfürstlichen Musiker malerisch kostümiert mit türkischen Instrumenten über die Bühne. In der Gestalt des edlen Bassa, der großmütig seine blonde Odaliske aus dem Harem entlässt, hatte die Türkenbegeisterung im empfindsamen Rokoko ihren Höhepunkt erreicht.
Der Plot zu den Alla-turca-Klängen, an dem sich auch Gluck und Haydn versuchten, spiegelt den Stimmungsumschwung der Zeit. Nach dem Sieg der Reichsritter vor Wien hatte sich die Türkenfurcht in Faszination verwandelt. Die Turquerie infizierte epidemisch Adelshöfe und Bürgerhäuser. In den Salons und Cafés wurde der duftende Türkentrank gereicht. Anatolische Tulpen blühten in den Gärten. Regierende Fürsten ließen Ihre Thronfolger mit Turban und Pluderhosen malen, die Pozellanmanufakturen machten aus dem einstigen Erzfeind des Abendlandes zierliche Tischdekoration. Die am Fließband komponierten Türkenopern ließen vergessen, dass die infernalische Janitscharenmusik der osmanischen Militärelite einst Himmel und Erde erbeben ließ. Sehr authentisch war die Anverwandlung der exotischen Reize wohl kaum. "Ist nicht türkisch", bemerkte 1736 der Gesandte der Hohen Pforte in Berlin, als man ihm einen "türkischen" Marsch vorspielte.
Der Diplomat urteilte streng, denn nur wenige Europäer hatten das Sehnsuchtsland im Osten, die Mär von Luxus und Sinnenrausch mit eigenen Augen gesehen. Einer der wenigen zuverlässigen Zeugen ist der flämische Maler Jean-Baptist Vanmour, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts am Sultanshof in Istanbul tätig war. Seine großformatigen Innenansichten vom prachtvollen Leben der osmanischen Oberschicht glänzen denn auch im Zentrum der mit 240 Exponaten breitgefächerten Schau.
Bescheiden mutet dagegen der Textband der Lady Montague an. Doch die Erinnerungen der britischen Botschaftergattin an ihre Haremserlebnisse bargen den Stoff, aus dem die wildesten Träume sind. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bildeten die verschlossenen Frauengemächer die ideale Projektionsfläche für erotische Phantasien der Europäer. Am Ende des Rundgang versinkt die Türkenmode in den Kitschorgien leicht bekleideter Haremsdamen aus den populistischen Manufakturen der Salonmalerei.
Bemerkenswert, dass die zahlreichen Wandtexte der Ausstellung auch in türkischer Sprache aufgehängt sind. Der Service kann nur bedeuten: Die Türken kommen nicht, sie sind längst da. Auch der im Rheinland lebende türkische Regisseur Ertan Erdogan, der im Rahmenprogramm sein filmisches Schaffen zur Diskussion stellen wird. Da geht es nicht mehr um die magische Anziehungskraft der osmanischen Vorfahren, sondern um die belebende Wirkung der kontrastierenden Kulturen von heute.
"Die Türken kommen!" Exotik und Erotik - Orient-Sehnsucht im Mittelrhein-Museum Koblenz bis zum 18.2.2007