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Die türkische Zeitung Taraf im Visier der Armee

Seit Montag steht in der Türkei das ultranationalistische Netzwerk "Ergenekon" unter anderem wegen eines geplanten Putsches vor Gericht. Das netzwerk besteht aus früheren Offizieren, Politikern, prominenten Anwälten und Professoren. Dass der Prozess überhaupt möglich wurde, ist unter anderem das Resultat mutiger Journalisten. Die linke türkische Zeitung Taraf macht seit ihrer Gründung vor knapp einem Jahr mit Enthüllungsgeschichten über die rechtsnationalistischen Kreise und über das Militär auf sich aufmerksam. So sehr, dass die nervös gewordene Armee der Zeitung nun mit juristischen Schritten droht. Aus Istanbul berichtet Gunnar Köhne:

    Yasemin Congar hat viele Jahre als Korrespondentin in Washington gelebt und gesehen wie die amerikanischen Journalistenkollegen mit investigativer Recherche auch dem eigenem Militär respektlos zusetzten - Stichworte: Abu Ghraib und Guatanamo. Wieder zurück in Istanbul gründete Congar mit Freunden vor elf Monaten die Tageszeitung Taraf, was soviel wie Standpunkt heißt.

    In ihren Artikeln und Kommentaren wollten sie fortan einen klaren Standpunkt einnehmen, weit entfernt von den mächtigen Medienholdings, den politischen Parteien und nicht zuletzt mit großem Abstand zu den allmächtigen Generälen. Das scheint Taraf nach nicht einmal einem Jahr so sehr gelungen zu sein, dass sich das Blatt den bebenden Zorn des neuen Generalstabschefs Ilker Basbug zugezogen hat:

    "Wer die Taten einer Terrorgruppe als erfolgreich darstellt, wird für jeden vergossenen Tropfen Blut verantwortlich gemacht werden. Die in den vergangenen Tagen zunehmenden publizistischen Angriffe auf die türkischen Streitkräfte werden deren Entschlossenheit nur stärken! Darum rate ich jedem, vorsichtig zu sein!"
    Was war geschehen? Taraf hatte Dokumente veröffentlicht, die nahe legen, dass die Militärführung über einen geplanten Angriff der PKK auf den entlegenen Grenzposten Akütün an der irakischen Grenze informiert war. 17 Soldaten ließen dabei Anfang des Monats ihr Leben. Taraf druckte auf ihrer Titelseite Luftaufnahmen von Aufklärungsdrohnen, auf denen die PKK-Trupps Stunden vor dem Überfall im Anmarsch zu sehen seien sollen. Außerdem zitiert das Blatt ausführlich aus militärischen Geheimdienstprotokollen, die ebenfalls vor einen bevorstehenden Angriff warnen. Ein ungeheuerlicher Verdacht: Haben die Generäle die meist jungen Rekruten wissentlich so gut wie schutzlos den kurdischen Rebellen ausgeliefert - vielleicht um sicher zustellen, dass das Parlament die Erlaubnis zu grenzüberschreitenden Operationen im Nord-Irak in der darauf folgenden Woche verlängert? Die Wut im Generalstab über die Veröffentlichung war groß, die Dementis halbherzig. Die Dokumente scheinen echt zu sein, und nicht das erste Mal fragen sich viele in der Türkei, woher Yasemin Congar und ihre Kollegen das brisante Material her haben. Doch da hält sich die stolze Chefredakteurin bedeckt:

    "Wir haben Quellen innerhalb des Militärs. Und wann immer so etwas passiert, dann gehen wir zu denen und fragen: Habt ihr dazu etwas für uns? Wir stehlen sie nicht oder tun sonst etwas Illegales. Taraf ist jetzt bekannt als das Blatt, das mutig genug ist, solche Dinge auch zu publizieren. Darum kommen unsere Informanten auf uns zu - und nicht zu anderen Journalisten, weil sie wissen, dass die das ja doch nicht veröffentlichen."
    Da reiben sich viele am Bosporus verwundert die Augen: Sollte es in den hermetisch abgeschirmten Kasernen neuerdings abweichende Meinungen geben, gar eine kritische Opposition? Die Offensive der kleinen linksliberalen Taraf scheint jedenfalls auf andere Journalisten ansteckend zu wirken. So zeigten sich fast alle Zeitungen des Landes empört darüber, dass der Luftwaffenchef am Tage des blutigen PKK-Überfalls Golf spielen war - und den Schläger auch nicht aus der Hand legte, als die Fotos der 17 gefallenen Soldaten schon im Minutentakt auf Fernsehbildschirmen zu sehen waren. Keine Frage, sagt der Politologe Soli Özel, das Militär genießt keine öffentliche Immunität mehr:

    "Das Besondere unseres Systems war ja lange Zeit, dass wir über unsere Regierenden einerseits an den Wahlurnen abstimmen konnten, andererseits aber Einmischungen des Militärs in die Politik als völlig legitim angesehen wurden. Doch das hat sich geändert und die Zeit der Militärputsche in der Türkei ist endgültig vorbei. Und das sollte ein Grund zur Freude sein."

    Nicht nur in der Berichterstattung, sondern auch vor dem Richter genießen Offiziere in der Türkei keine Immunität mehr. In dem gestern begonnenen Prozess gegen das geheime nationalistische Netzwerk "Ergenekon" stehen auch zwei Ex-Generäle vor Gericht. Noch vor Jahren wäre das undenkbar gewesen - und selbst in diesem Fall hat die Zeitung Taraf mit geheimen Unterlagen aus dem Innersten des Generalstabes die Ermittlungen vorangetrieben.

    Ein Militärstaatsanwalt hat der Zeitung mittlerweile mit Konsequenzen gedroht, falls sie noch einmal geheime Militärinformationen abdrucken sollte. Für Yasemin Congar bloß ein Ansporn:

    "Wir unterstehen dem zivilen Presserecht der Türkei, nicht der Militärgerichtsbarkeit. Wir werden mit unserer Arbeit weiter machen wie bisher. Und wenn auch andere Kollegen, andere Medien unserem Weg folgen, dann werden sich die zivilen und militärischen Offiziellen unseres Landes an die Normalität einer demokratischen Gesellschaft gewöhnen müssen."