Donnerstag, 18. April 2024

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Die tunesische Hafenstadt Monastir
Ruhe finden jenseits von Strand und Sonne

Lange galt Tunesien als beliebtes Urlaubsziel. Dann kam die Revolution gegen den Diktator Ben Ali 2011, später die Terroranschläge an typischen Orten des Fremdenverkehrs. Nun erholt sich der Tourismus langsam wieder, zögernd kommen die Menschen von Neuem nach Tunesien. Auch nach Monastir an der Ostküste.

Von Stefan May | 20.01.2019
    Ribat, die alte Festung von Monastir, an der Mittelmeerküste von Tunesien
    Ribat, die alte Festung von Monastir, an der Mittelmeerküste von Tunesien (dpa / robertharding)
    In der Markthalle von Monastir mischen sich Gerüche von Fisch und Kardamom. Die Händler rufen, preisen ihre Waren an. Auf Tresen aus Beton häufen sich die glitschigen Schätze des Meeres. Ein paar Meter weiter türmen sich Gewürze als pulvrige Pyramiden in Braun, Gelb und Rot, stehen Säcke mit diversen Sorten von Nüssen. Vor der Halle liegen verstreut ein paar Stände, die tunesisches Fastfood anbieten, zumeist in Fett herausgebackene Kringel oder klein gehacktes Hühnchen.
    Im Ausgabefenster eines dieser Stände stehen massige Schalen. In jeder von ihnen steckt ein Stück Baguette. Ein paar Männer bleiben stehen, nehmen jeweils ein Baguette und zerkleinern es in die Schale. Dann reichen sie es dem Mann hinter dem Fenster. Der gießt einen Schöpflöffel Suppe darüber, gibt mit gewandten Handgriffen eine rote Paste und Olivenöl dazu, streut Thunfisch-Stücke darüber, schlägt ein weiches Ei drauf und bröselt Gewürze über das Ganze. Schließlich schaufelt er alles mit zwei Löffeln durcheinander und reicht die Schüsseln den Wartenden durchs Fenster. Leblabi nennt sich die nahrhafte Speise und ist ein tunesisches Nationalgericht.
    "Die Kichererbsensuppe ist ein traditionelles tunesisches Gericht, sie ist in der Zeit von Atatürk aus der Türkei nach Tunesien gekommen. Heute ist sie 100prozentig tunesisch. Man isst sie vor allem im Winter. Wenn es sehr kalt ist, mit wenig Wärme, da ist sie heiß. Heiß ist sie und pikant ist sie. Und die Tunesier lieben das Pikante", sagt der Budenbesitzer Hakim Soudani. Weil gerade niemand bestellt, kommt er aus seinem Kochverschlag und stellt sich zu den Kunden, die gerade Leblabi löffeln. Dann erzählt er über seine Heimat und die schwierige Lage, in der sich sein Land nach der Revolution von 2011 befindet.
    Die Touristen kommen nur allmählich wieder
    "Viele Hotels wurden geschlossen, die Leute sind weggegangen, weil die Europäer gesagt haben, dass Tunesien kein sicheres Land mehr für Touristen ist. Leider gibt es viele Tunesier, die am Syrienkrieg teilgenommen haben, aber jetzt, seit 2015, vor allem aber seit Ende 2017 kommen die Touristen wieder zurück, die Engländer, die sind wichtig, weil es hier viele Engländer gibt, die Deutschen. Und es gibt viele Touristen aus Osteuropa, Russland, der Ukraine. Jetzt geht es, ein wenig."
    Ein Blick über die Hotelmeile am Strand zwischen Monastir und der nächsten großen Stadt Sousse bestätigt ihn: Immer wieder begegnen Hotelruinen oder Gebäuden, die im Bau stecken geblieben sind, wie eingefroren wirken. Manche der noch oder schon wieder geöffneten Anlagen tragen auch russische Beschriftungen. Überall hat man hat Platz, kann sich die Liege am Hotelpool aussuchen, ohne sich vom Nachbarn bedrängt zu fühlen. Laute Animation hält sich in Grenzen. Nach den Terroranschlägen der letzten Jahre ist Tunesien enorm auf Sicherheit bedacht. Den ein wenig zwiespältigen Eindruck, den die Fremdenverkehrssituation vermittelt, empfindet auch der Spanier Orestes, der für ein paar Tage hierhergekommen ist.
    "Monastir ist ein sehr schöner Platz, sehr touristisch. Jetzt, nach der Revolution von 2011, hat es etwas an Wert verloren, aber gleichzeitig überwindet es nun mit der Bewältigung der Krise und der Konsolidierung der Demokratie diese Zeit. Sie wollen wirklich die Fremden zufriedenstellen und zeigen, was sie haben. Natürlich haben sie viel Interessantes."
    Die Menschen zeigen fast um jeden Preis, was sie haben. Wie kaum anderswo können Touristen in Tunesien extrem günstig Urlaub machen. Außerhalb der Saison bekommt man in Monastir ein Zimmer mit Meerblick schon um 20, 30 Euro samt Frühstück.
    Eine Festung als Filmkulisse
    Auch das Ausgehen ist preiswert. Monastirs feinstes Abendlokal, das "Pirat", liegt etwas außerhalb des Zentrums und, wie schon der Name vermuten lässt, im alten Hafen. Es gibt allabendlich nur ein einziges Menu um 17 Euro, das die Kellner mit großer Grazie servieren: Fischsuppe, Vorspeisen in mehreren kleinen Schälchen, ganze gegrillte Fische, Fruchtkorb, Sorbet und Minztee. Das Lokal ist voll, mit Einheimischen, aber auch mit Touristen. Darunter Marika aus Griechenland.
    "Als Griechin bin ich zuerst an der Geschichte interessiert. Es gibt eine Menge Geschichte in Monastir und generell in Tunesien, denn Monastir und Sousse waren die ersten Städte, die im 8. Jahrhundert vor Christus von den Phöniziern besiedelt und kolonisiert wurden. Sie waren große Häfen von wirtschaftlicher Bedeutung, die wichtig waren für den gesamten Mittelmeerraum jener Zeit. Monastir ist auch berühmt für seine Festung, den Ribat, die größte Burg in Afrika, die dem Film 'Das Leben des Brian' als Kulisse für Nazareth diente. Es war wirklich schön, diesen Ort zu besuchen, und zu bewundern."
    Der Ribat ist eine stille Insel in der knapp 100.000 Einwohner zählenden Stadt. Die Sonne strahlt auf die wie blank gescheuerten Mauern. Der Wehrbau aus dem 8. Jahrhundert ist sauber bis in den letzten Winkel. Selbst die paar Schatten spendenden Bäume im großen Innenhof sind exakt gestutzt. Schmale Stiegen im Inneren führen verwinkelt von Etage zu Etage, eine Wendeltreppe sogar bis zur Spitze des einzigen erhalten gebliebenen runden Turmes. Zwischen seinen Zinnen tut sich der Blick auf die Palmen entlang der Strandpromenade ebenso auf wie auf die Hotelanlagen dahinter, auf die Altstadt mit ihren Moscheen und auf das pompöse Mausoleum von Staatsgründer Habib Bourguiba, das mitten in einen Friedhof hinein gesetzt wurde. Kuppeln und Minarette, eine Unzahl von Säulen, maurischen Bögen und viel Marmor umgeben die letzte Ruhestätte jenes Mannes, der 1956 Tunesien von einer französischen Kolonie zu einem souveränen Staat gemacht hat. Dementsprechend stolz sind die Bewohner von Monastir auf ihren großen Sohn. Er hat in seiner Heimatstadt Verwaltungsstrukturen eingeführt, die einzigartig im ganzen Land waren. Für Hichem Amri, der in der Monastir ein Institut für Demokratisierung leitet, ist das ein wesentlicher Punkt, der seine Heimatstadt von anderen unterscheidet.
    "Es ist eine Stadt mit politischer Tradition, mit vielen früheren Aktivisten, aber jetzt hat sie vielleicht ein wenig von ihrem Rang verloren. Monastir ist eine Stadt, wo es viele Nationalitäten gibt, die hier leben, Es gibt Fremde, die sich hier angesiedelt haben, weil es eine tolerante Stadt ist. Der Landkreis ist ein gleichsam städtisches Territorium. Er repräsentiert 31 Gemeinden. Mit dieser kommunalen Abdeckung ist er die Nummer eins in Tunesien."
    Ein Ort, um Ruhe zu suchen
    Eine Organisationsstruktur, die es bis vor Kurzem noch nirgends anderswo im Land gab. Zusätzlich geht es der Hafenstadt Monastir und der gesamten Region am Meer relativ gut. Hier hat noch jeder Arbeit. Ganz anders als im Rest von Tunesien, besonders im strukturschwachen Süden. Am Stand von Suppenkoch Hakim Soudani kommt ein Mann vorbei und wird vom Budenbesitzer freundschaftlich begrüßt: "Er ist Jude", sagt er und zeigt auf den Mittfünfziger in einer Lederjacke. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, doch Simon Slama gehört zur letzten jüdischen Familie, die noch in Monastir lebt. Bei den Gemeinderatswahlen vor einigen Monaten hat er just für die islamistische Partei Ennahda kandidiert, eine der beiden Regierungsparteien. Das hat ihm Medienecho von Associated Press über die Süddeutsche bis zur Jerusalem Post eingebracht.
    Simon Slama betreibt ein Nähmaschinen-Geschäft in der Medina, der Innenstadt von Monastir. Sie ist ein Gemisch von Alt und Neu, nur gebremst orientalisch. An Mauerwerk und Fenstern dominieren die Farben Weiß und Blau. Pferdekaleschen mit Fremden ziehen über deren Hauptstraße, Mopeds knattern vorbei. Es ist keine fremde Welt für sich wie in Fez oder Marrakesch in Marokko, sondern ein emsiges Treiben des Einzelhandels ohne Anspruch auf Kulturerbe-Status. Die Geschäftsleute sind weitaus nicht so zudringlich wie jene in Marokko oder gar Ägypten. Unter den Arkaden der niedrigen Bauten werden billig Schuhe und Gürtel angeboten, Kinderspielzeug und Elektronik verkauft. Was man so braucht im tunesischen Alltag, kaum Touristenramsch. Alles geht hier mit auffälliger Ruhe vonstatten, etwas, das offenbar auch Menschen von weither anzieht, wie Suppenkoch Hakim Soudani behauptet.
    "Es gibt viele französische, deutsche, englische Rentner, die hier leben, als Bewohner von Monastir. Lediglich, um die Ruhe zu suchen."
    Eine Ruhe, die nicht nur Monastir, sondern das ganze Land nach einem knappen Jahrzehnt der Aufregung, der Revolution und des Terrors, dringend sucht und benötigt.