Dienstag, 16. April 2024

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Die überlebensgroße Katharina Blum

Als heute vor 30 Jahren "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ins Kino kam, löste er heftige Auseinandersetzungen aus. Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta hatten die 1974 erschienene Erzählvorlage von Heinrich Böll begradigt und zu einer realistischen Kinogeschichte mit starker emotionaler Wirkung umgearbeitet. In der Folge wurden - wie zuvor Autor Böll - auch die Regisseure von einem Teil der Presse als Terroristen-Sympathisanten diskreditiert. "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ist deshalb bis heute auch ein politisches Zeitdokument.

Von Marli Feldvoß | 10.10.2005
    "Wo is er?...Er ist weg...Das gibt's doch gar nicht...Wieso?...Das Haus wird seit gestern abend observiert. Wenn er nicht hier ist, weit kann er nicht sein. Aber wir kriegen den bald. Aber wenn Du nicht willst, daß er zum Krüppel geschossen wird, dann sag uns lieber gleich, wo er ist. Kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Los, los, los...Alles nach Waffen durchsuchen...Woher wissen Sie denn, daß er hier war?...Wann is er weg?...Ich bin vor ner halben Stunde aufgewacht, da war Ludwig schon gegangen...Ohne Abschied?...Ja!...Hat er Dich denn gefickt?...Ich würde es nicht so nennen."

    Der hysterisch aufgeladene Kommandoton, den Oberkommissar Beizmenne gegenüber der Verdächtigen Katharina Blum bei der Hausdurchsuchung an den Tag legt, ist nur der Auftakt zu einer beispiellosen Hetz- und Verleumdungskampagne, die dann von der Sensationspresse in Gang gesetzt wird. Die unbescholtene Hausangestellte wird der terroristischen Komplizenschaft verdächtigt, nur weil sie nach einer Karnevalstanzerei mit einem jungen Mann, dem gesuchten Bundeswehrdeserteur Ludwig Götten, die Nacht verbrachte.

    Als am 10. Oktober 1975 "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ins Kino kam, wagten es in der ersten Woche nur neun Kinos, den später erfolgreichen Publikumsfilm ins Programm zu nehmen. Die Angst war stärker, ebenso wie Autor Böll und seine Filmheldin ins politische Zwielicht zu geraten. Umso mehr, weil die Filmemacher Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta die Böllsche Erzählvorlage gestrafft und noch näher an die bundesdeutsche Wirklichkeit, sprich "flächendeckende Terroristenfahndung" jener Zeit, herangerückt hatten. Aber dann stellte sich heraus, dass die Geschichte auf der Leinwand nicht einmal so politisch, sondern hochmoralisch wirkte.

    Katharina Blum, das war auch die Entdeckung der Schauspielerin Angela Winkler für die Leinwand. Ihre sinnlich und moralisch glaubwürdige Darstellung, ihre "schöne Seele" einer verfolgten Kreatur stemmte sich - wiewohl der Film insgesamt wenig Raum für innere Seelenbilder ließ - erfolgreich gegen die Diffamierung als "eiskalt berechnendes Mörderliebchen."

    "Diese Katharina Blum hat etwas Überlebensgroßes in ihrer Kraft, in ihrer Ausstrahlung, in ihrem Verhalten. Sie hat noch eine Dimension von Traum. Sie ist so, wie man sein möchte und wie es einem meist nicht gelingt, zu sein. Sie ist deshalb eine Leitfigur, in der sicher viele Menschen sich wiedererkennen werden, zumindest, daß sie davon träumen so zu sein."

    Retrospektiv hat Volker Schlöndorff sein Interesse am Problemgehalt des Films gern zurückgestellt und die Jeanne d'Arc, die Opernheldin und damit das Überzeitliche der Figur und des Films unterstrichen. Gerade das haben ihm viele Kritiker jedoch abgesprochen und überwiegend auf die Bedeutung der aktuellen Parabel über "Ehre und Ohnmacht" abgehoben.

    Bölls Erzählung war aus Betroffenheit entstanden. Er verbarg seine Verstörtheit über die am eigenen Leib vor allem durch die Zeitschrift "Quick" und die "Bild-Zeitung" erfahrene Diffamierung hinter einem kauzigen Stil und der für ihn typischen Sprachkomik, die viele Zwischentöne bereit hielt. Auch in der Figur des Sensationsreporters Werner Tötges bleibt der eigentliche Böllsche Erzählanlass erhalten, aber auch diese Figur wurde im Film verflacht und begradigt. Die Rezeption schied sich in begeisterte Befürworter dieser "Chronologie der laufenden Ereignisse" und scharfe Kritiker des letztlich unpolitischen reißerischen Erzähltons, der nicht über die Schwarzweißzeichnung hinausreichte. Die finalen Schüsse der Katharina Blum haben - von der Kritik weitgehend unwidersprochen - das letzte Wort, um die Reinheit der besudelten "Heiligen Johanna" wiederherzustellen.