Archiv


Die Überlebenskünste eines Kindes

Das Regie-Duo David Siegel und Scott McGehee zeigt in "Das Glück der großen Dinge" wie die kleine Maisie, gespielt von Onata Aprile, zum Spielball ihrer egozentrischen Eltern wird. Außderdem neu im Kino: "Adieu Paris" von Franziska Buch, "An ihrer Stelle" von Rama Burshtein und "Die Unfassbaren – Now you see me" von Louis Leterrier.

Von Jörg Albrecht |
    "Adieu Paris"

    "Eines haben alle der zurzeit sieben Milliarden Menschen auf der Welt gemeinsam: Keiner von uns weiß, wohin das Leben uns führen wird und dass das Leben selbst den besten Weg oft besser kennt als wir."

    Kaum zu glauben, dass diese banal-peinlichen Gedanken von einer Autorin stammen sollen, deren Debütroman sie zum Shooting Star der deutschsprachigen Literaturszene gemacht hat. Aber genau mit diesen Gemeinplätzen führt der Film "Adieu Paris" die von Jessica Schwarz gespielte Patricia Munz ein. Auf dem Niveau einer Rosamunde-Pilcher-Schmonzette wird die Geschichte einer Frau und eines Mannes erzählt, die sich während eines Flugs nach Paris begegnen. Ihm, einem Investmentbanker, wird das vermeintliche Geschäft seines Lebens zum Verhängnis. Ihr, der Schriftstellerin, steht ein Abschied bevor. Der Mann, den sie liebt, befindet sich nach einem Verkehrsunfall im irreversiblen Koma. Am Krankenbett trifft die Geliebte auf die Ehefrau.

    "Es geht darum, ihm einen würdigen Tod zu ermöglichen. Der Mann, den wir geliebt haben, gibt es nicht mehr."
    "Aber wir können ihn doch nicht einfach abschalten."
    "Doch – das können wir."

    Das ist der Stoff, aus dem Trivialliteratur ist. Selbst, wenn sie – wie bei "Adieu Paris" – in hübschen Kinobildern und mit fähigen Darstellern aufbereitet worden ist: Die menschlichen Schicksale werden hier abgedroschen und geistlos geschildert. All das, was Menschen allenfalls in Groschenromanen sagen würden, formuliert Regisseurin Franziska Buch in "Adieu Paris" hemmungslos aus. Enttäuschend.

    "Das Glück der großen Dinge"

    "Du siehst ja niemanden außer dir selbst."
    "Halt den Mund!"
    "Sei still!"

    Die Stimmen hallen durch das ganze Haus. Wieder einmal streiten sich die Eltern der sechsjährigen Maisie. Ihre Trennung ist längst beschlossene Sache. Und so geht es für beide nur noch um eines: Wer bekommt das Sorgerecht für die Tochter?

    "Hör mal, warum gehen wir Zwei nicht und trinken einen schönen doppelten Espresso."
    "Mit Mami?"
    "Nein, diesmal nur wir zwei Hübschen. Das wird lustig."
    "Herrgott noch mal! Was soll das werden? Sie nach Argentinien zu verschleppen? ... Komm mit, Baby! Daddy wird dich nicht mehr abholen."
    "Ist schon okay. Ich bin ja nur ihr Vater."

    Konsequent schildert das Regie-Duo Scott McGehee und David Siegel die veränderte Familiensituation aus der kindlichen Perspektive. Die kleine Maisie steht im Mittelpunkt dieses subtil erzählten Dramas, das nie so belanglos ist, wie sein deutscher Titel "Das Glück der großen Dinge" vermuten lässt. Wie ein Kind zum Spielball zweier egozentrischer Menschen wird – das würde manch anderer Film in Rührseligkeiten ertränken. Doch "Das Glück der großen Dinge" schlägt einen oft unerwartet heiteren, warmherzigen Ton an. Und mit der kleinen Onata Aprile hat der Film eine erstaunliche Hauptdarstellerin gefunden. Empfehlenswert.

    "An ihrer Stelle"

    "Ich glaube, das Beste wird sein, wenn wir ehrlich sind. Was verwirrt dich denn am meisten?"

    Verwirrt ist Shira, seit ihre Eltern die Idee haben, sie mit Yochay zu verheiraten. Denn Yochay ist der Mann von Shiras Schwester Esther, die bei der Geburt ihres Kindes gestorben ist. Überhaupt ist ursprünglich ein ganz anderer Ehemann für sie ausgewählt worden.

    "Ich bin Esthers kleine Schwester."
    "Du bist gar nicht mehr so klein. Du bist schön."
    "Wie bitte? Ist das denn etwa Grund genug?"
    "Ich glaube, dass du Mordechai eine fabelhafte Mutter sein kannst."

    Auch der israelische Film "An ihrer Stelle" erzählt eine Familiengeschichte. Angesiedelt ist diese in einer orthodoxen jüdischen Gemeinde in Tel Aviv. Das macht aus dem Regiedebüt der aus New York stammenden Filmemacherin Rama Burshtein eine Reise in eine abgeschlossene Gesellschaft mit von Frömmigkeit geprägten Traditionen. "An ihrer Stelle" ist eine behutsame, vorurteilsfreie Annäherung an diese Welt, für die die Regisseurin atmosphärisch dichte Bilder findet. "An ihrer Stelle": Empfehlenswert.

    "Die Unfassbaren – Now you see me"

    Als Steven Soderbergh seinen Rückzug vom Regiestuhl bekannt gab mit der Begründung, dass sich die Filmstudios immer mehr auf leicht verdauliche Ware fokussierten, mag mancher gedacht haben: Moment mal! Hat Soderbergh nicht auch die harmlosen "Ocean's"-Gaunerkomödien gedreht? Hat er. Aber was er mit seiner Kritik am Studiosystem meint, kann man jetzt perfekt an "Die Unfassbaren – Now you see me" erkennen – einem Film, der an die "Ocean'"s"-Reihe erinnert.

    "Effekthascherei und Theatralik. Wenn ein Zauberer mit der Hand wedelt und sagt: Seht her! Hier findet der Zauber statt, geschieht der wahre Trick woanders."

    Ein Quartett aus Magiern, Illusionisten und Taschenspielern raubt Banken aus und spielt Robin Hood. Abrakadabra und Simsalabim! Der Budenzauber entpuppt sich schnell als aufgeblasenes und an den Haaren herbeigezogenes, albernes und lautes Spektakel.

    "Das ist Gas."
    "Entspann dich! Das ist Trockeneis."

    Und so behält auch hier die alte Fernsehweisheit recht: Wenn der Regisseur nicht weiter weiß, nimmt er Feuerwerk und Trockeneis. "Die Unfassbaren": ärgerlich.