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Die übertünchte Vergangenheit

Nur dank der Männerfreundschaft des russischen Präsidenten mit seinem tschetschenischen Verbündeten sei der Frieden dauerhaft gesichert, lautet die offizielle Botschaft im Nachkriegs-Tschetschenien. Stolz präsentiert das neu aufgebaute Grosny seine Fassaden. Doch hinter der Friedenskulisse brodeln die Fehden und Traumata der letzten 15 Jahre.

Von Barbara Lehmann | 03.03.2008
    Grosny im Winter: Menschen in Pelzmützen schliddern über Schneematsch und Eislöcher, manche fallen. Vor den wieder aufgebauten hellen administrativen Bauten an der Allee des Friedens wehen rot-weiß-gestreift die Nationalfahnen. Kaum noch ist das russische Blau vom tschetschenischen Grün zu unterscheiden. Dreieinig prangen die Porträts von Putin, Medwedjew und ihrem tschetschenischen Verbündeten, dem jungen Präsidenten Ramsan Kadyrow, auf den Plakaten für die Präsidentschaftswahlen.

    Nur dank der Männerfreundschaft zwischen Putin und Ramsan Kadyrow, so die Botschaft, sei im Nachkriegs-Tschetschenien der Frieden dauerhaft gesichert. Die Erinnerung an die zwei blutigen russischen Tschetschenienfeldzüge bleibt in den Loyalitätsbekundungen an Moskau ausgeblendet. Und wie um das Bild vom neuen Tschetschenien und seiner eisernen Partnerschaft zum einstigen Gegner Russland im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen zu bekräftigen, marschiert Bauminister Achmed Gechajew, flankiert von strahlenden Bauarbeitern, in den Fernseh-Nachrichten immer wieder durch die Kulisse des dank russischer Hilfe neu aufgebauten Grosnys:
    "Alle Pläne wurden vom Zentralen Stadtplanungsinstitut in Moskau abgesegnet. Für den Wiederaufbau alter Gebäude haben wir unsere besten Spezialisten herangezogen. Daneben bauen wir aber auch neue Hochhäuser, in denen die vielen Flüchtlinge unterkommen sollen, die bislang noch in Heimen wohnen. Die historische Stadtansicht soll erhalten bleiben, allerdings mit zeitgenössischen Elementen. Wer keine Vergangenheit hat, für den wird es auch keine Zukunft geben. Nur so kann unser Volk seine Eigenheit erhalten."

    Noch vor drei Jahren erinnerte die tschetschenische Hauptstadt mit ihren in den Himmel wachsenden Häuserskeletten an das Nachkriegsberlin. Jetzt zeigt sich die Flaniermeile Grosnys in neuem Glanz: mit weißen Fassaden und Stuckgirlanden. Auf der Brache der wegbombardierten Regierungsgebäude erhebt sich der Rohbau einer monumentalen Moschee für zehntausend Besucher. Allerdings wirken die in den Himmel schießenden leer stehenden Bauten an der Achmad-Kadyrow-Allee oft einsturzgefährdet. Manchmal sind die abgerissen Ruinen nur Ödflächen gewichen.

    "Krieg ohne Spuren" heißt das Programm des 31-jährigen Ramsan Kadyrow. Als Protegé Putins wählte ihn das Parlament im März 2006 zum tschetschenischen Präsidenten. Einstimmig. Nun peitscht er auf Weisung des russischen Freundes und Dienstherren den Wiederaufbau voran mit Krediten und Arbeiterkolonnen.

    Zu Hungerlöhnen müssen sie malochen und manchmal monatelang auf ihr Salär warten. Drei Schichten gibt es, rund um die Uhr wird gearbeitet. Die Gelder für den Wiederaufbau fließen nur unregelmäßig aus Investitionen, Krediten und Einnahmen aus dem sogenannten Nationalfonds Achmad Kadyrows, benannt nach dem Vater des Präsidenten, der 2004 bei einem Terroranschlag im Stadion von Grosny ermordet wurde.

    Manche munkeln, dass der Fonds sich vor allem aus von der Bevölkerung erpressten Geldern speise. Auch über den Verbleib der russischen Wiederaufbau-Milliarden gibt es keine verlässlichen Statistiken und Quellen. Doch ungeachtet aller Undurchsichtigkeit bei der Finanzierung ist die erste Etappe des Wiederaufbaus - die Errichtung der städtischen Gebäude und Regierungsdomizile - weitgehend abgeschlossen. Eine beachtliche organisatorische und menschliche Leistung. Dennoch sehnen sich manche Einwohner im "neuen" Grosny nach dem alten. Zum Beispiel die Schauspielerin Suleih Bogalova:

    "Mir fehlt mein Stadion, zu dem ich früher freien Zutritt hatte. Heute ist dort nur die Kadyrow-Jugend zugelassen. Diese neue Elite hat die Kaste der Politiker des unabhängigen Tschetschenien abgelöst. Ich sehne mich nach der Sowjetzeit zurück. Damals konnte ich zu jeder Tages- und Nachtzeit ins Stadion gehen, meine Kinder konnten dort Gymnastik machen, Kampfsport und Boxen betreiben. Alles war kostenlos. Ich konnte dort morgens joggen. Und im Theater war nicht Agitprop auf die neuen Herrscher zu sehen, sondern tschetschenische Stücke und die Klassiker des Welttheaters."

    Noch vor kurzem wies das mehrstöckige Wohnhaus von Suleih Bogalova im Zentrum von Grosny Spuren eines Bombeneinschlags auf. Im Zuge des Wiederaufbaus haben die Baumannschaften des zuständigen Ministers Achmad Gechajew den ehemaligen Wohnsitz von Grosnys künstlerischer und politischer Elite äußerlich instand gesetzt - doch die Arbeiten im Innern den oftmals exilierten Bewohnern überlassen.

    Suleih Bogalova, die einstige Bühnendiva, haust in einem Zimmer ohne Heizung und zentrale Wasserversorgung. Im Bad stehen Plastikbottiche für Wasser, für die Toilettenspülung sorgt ein Eimer. Fotos von der Freundin Anna Politkowskaja, der ermordeten russischen Journalistin, schmücken die frisch geweißten Wände.

    Die Bühnenschönheit mit den noch immer glatten Gesichtszügen hat die Agitprop-Anstalt des Dramatischen Theaters inzwischen verlassen und sich zur unscheinbaren Mutter Theresa gewandelt, ungeschminkt und mit Kopftuch.

    Derzeit rennt Bogalova von Behörde zu Behörde, da man ihr den Anspruch auf ihre Einzimmerwohnung streitig macht. Ihr Sohn muss sich als Tagelöhner auf den Baustellen verdingen. Mit der von ihr initiierten Hilfsorganisation "Lam", der Berg, versucht Bogalova indes, Kriegsopfern zu helfen und die Reste des Kulturerbes zu schützen. Auch vor den neuen Zeiten:

    "Die Fräuleins, Madames und Messieurs aus Ramsan Kadyrows Heimatdorf Chosi Jurt geben jetzt den Ton an! Das ganze Dorf ist eine Festung, dort residieren der Präsident und seine Vertrauten. Uns Städter versetzt man mit diesem Chosi Jurt in Angst und Schrecken. Alles ist schön. Es gab keinen Krieg. Dafür gibt es jetzt die ewiggleichen Plastikfenster und -Balkone und davor die Porträts des Präsidenten und seiner Familie. Drei Männer auf dieser Erde bestimmen seit jeher die Geschichte der Menschheit: Putin, Achmad-Chadschi Kadyrow und sein Sohn Ramsan. Andere Männer hat es nie gegeben!"

    Hinter dem Aufbau-Furor und der Friedenskulisse des neuen Tschetschenien köcheln die Traumata und Fehden der letzten fünfzehn Jahre. Gegnerschaften und Allianzen wechseln ständig in undurchsichtigen politischen Spielen. Ramsan Kadyrows Programm "Krieg ohne Spuren" ist auch ein Krieg gegen das Erinnern. Keiner will sich heute noch auf den nationalen Begeisterungstaumel besinnen, als sich das tschetschenische Volk unter dem sowjetischen Fliegergeneral Dschochar Dudajew 1991 für unabhängig erklärte.

    Auch der erbitterte Widerstand gegen den Panzereinmarsch der russischen Kolonialherren im Dezember 1995 scheint vergessen, ebenso die überraschende Wiedereroberung des ausgebombten Grosnys durch die Widerstandskämpfer und der Friedenschluss von Chasawjurt im August 1996. Damals wurde die Republik in eine fragile Unabhängigkeit entlassen.

    Die anschließenden drei Jahre der Zwischenkriegszeit in der tschetschenischen Republik Itschkeria unter dem frei gewählten Präsidenten Aslan Maschadow waren, so die heutige offizielle Lesart, geprägt von Entführungen, Korruption und Chaos. Die nationale Euphorie wich dem realpolitischen Kater.

    Beim zweiten russischen Tschetschenienfeldzug in den Jahren 1999 bis 2000 kam es dann zu neuen Allianzen: Abtrünnige Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung, darunter auch der Clan des heute herrschenden Präsidenten Kadyrow, kämpften Seite an Seite mit den Russen.

    Heute werden die beiden Tschetschenien-Kriege, denen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen ein Fünftel der Bevölkerung zum Opfer fiel, vom Kreml und der Kadyrow-Regierung als Anti-Terrormaßnahme deklariert. Weder die Moskauer Führung noch ihre tschetschenischen Verbündeten wollen die Verantwortung übernehmen.

    Der ehemalige Verteidigungsminister der unabhängigen Interims-Republik Itschkeria und heutige Abgeordnete Magomed Chambijew trägt schwer an den politischen Rollenwechseln, die aus Unabhängigkeitskämpfern Parteigänger der Russen machten:

    "Natürlich werde ich niemals die beschuldigen, mit denen ich jahrelang gemeinsam gekämpft habe, also die ehemaligen tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew und Aslan Maschadow. Ich achte sie sehr. Aber heute erkenne ich auch die Leistungen von Ramsan Kadyrow an, obwohl gerade er früher mein größter Feind war. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass wir beide einmal Freunde werden könnten."

    Magomed Chambijew sitzt in seinem schmalen Zimmer im neu aufgebauten tschetschenischen Parlament. Für seine ehemaligen Gesinnungsgenossen im Widerstand ist der Mann mit der Halbglatze ein Verräter. Auch Anna Politkowskaja hat ihn als speichelleckenden Feigling beschrieben.

    Doch der legendäre, einst für seine Tapferkeit berühmte Divisionsgeneral, ist vor allem eine tragische Figur: 2004, nachdem zahlreiche seiner Verwandten entführt und gefoltert worden waren, stellte er sich der Moskau-treuen tschetschenischen Regierung.

    Seitdem steht er loyal zu Ramsan Kadyrow. Sein Bruder Umar, ein Chirurg, der im Krankenhaus von Benoj arbeitete, war unter Präsident Maschadow im unabhängigen Tschetschenien Gesundheitsminister. Seit 2000 lebt er im Exil – und ist weiterhin Mitglied der Untergrundbewegung. Der Riss, der die tschetschenische Gesellschaft entzweit, geht inzwischen mitten durch die Familien – und lässt die Gesellschaft nicht zur Ruhe kommen.

    "Mein Bruder Umar ist der liebste Mensch, den ich habe. Er sagt, dass ich als Privatmann richtig gehandelt habe, doch als Politiker der Unabhängigkeitsbewegung hätte ich mich nicht stellen dürfen. Von der aktuellen Situation in Tschetschenien hat Umar keine Ahnung."

    Die einstige Frontziehung zwischen den Kämpfern für ein unabhängiges Tschetschenien und der gemeinhin pauschal als pro-russisch titulierten Kadyrow-Regierung ist längst Geschichte. In den letzten Jahren wurde mit zahlreichen Amnestien ein Großteil der Separatisten ins zivile Leben eingemeindet. Ramsan Kadyrow hat – wie schon sein Vater Achmad – die einstigen Weggenossen unter seinen persönlichen Schutz gestellt, und sie damit zunächst dem Zugriff der russischen Staatsanwaltschaft entzogen.

    Die Mehrzahl der Amnestierten bestimmt inzwischen den politischen Alltag – und hat so dem Rest der Widerstandsbewegung das Wasser abgegraben. Ihr jetziger Führer Doku Umarow genießt wenig Rückhalt in den eigenen Reihen. Umarow und sein im westlichen Ausland weilender Chefideologe Mawladi Udugow haben daraus kürzlich die Konsequenzen gezogen: Umarow legte sein Amt als Präsident der unabhängigen Republik Itschkeria nieder und ernannte sich in einer Videobotschaft zum Emir, der den gesamtkaukasischen Dschihad gegen die Ungläubigen in Russland, Amerika, Israel und England anführe.

    Damit verbindet sich die Hoffnung, die gelichteten tschetschenischen Bataillone durch Unzufriedene aus den krisengeschüttelten Nachbarrepubliken zu füllen und gleichzeitig die klamme Kriegskasse durch Finanzspritzen aus den arabischen Ländern aufzubessern.

    Achmed Sakajew, der Außenminister der Untergrundregierung, ließ sich daraufhin im Londoner Exil per Telefonabstimmung zum Premierminister Itschkerias küren. Auf diese Weise hofft er, mit seinen exilierten Gesinnungsgenossen die Ideen der Unabhängigkeitsbewegung am Leben zu erhalten. Sein einstiger Weggefährte, Magomed Chambijew, der heute im Parlament von Grosny sitzt, beansprucht für sich ebenfalls, die Idee der Unabhängigkeit weiter zu tragen:

    "Ich bin nicht zur Marionette Russlands und zum Verräter geworden. Auch jetzt, als ehemaliger Politiker des Widerstandes, erkläre ich, dass ich für die Unabhängigkeit Tschetscheniens eintrete. Ich habe Achtung vor all jenen, die in den Wäldern für die Unabhängigkeit sterben. Doch ich verachte jene, die mit weißen Handschuhen im Ausland sitzen und von dort aus Befehle erteilen."

    Neben Chambijews Computer liegt eine Akte mit nahezu dreitausend Namen: Die offiziell registrierten Vermissten seit 1999, dem Beginn des Zweiten Tschetschenien-Krieges. Auch Chambijews Bruder Ali, der wie Umar im Krankenhaus von Benoj arbeitete, ist darunter. Datum und Ort der Entführung sind bekannt, oft auch die Namen, Dienstgrade und Einheiten der Entführer. Doch keines der Opfer ist aufgefunden worden.

    Vor kurzem hat Chambijew eine Parlaments-Kommission ins Leben gerufen, die helfen soll, das Schicksal der Vermissten zu klären. Doch noch erlauben weder die Russen noch die eigene Regierung die Öffnung von Massengräbern. Beide Seiten stehen nicht zu ihren Kriegsverbrechen. Moskau dringt zwar einerseits auf die Bestrafung der tschetschenischen Kriegsverbrechen. Aber die russischen Kriegsverbrechen blieben fast alle ungesühnt, meinen Menschenrechtsorganisationen und auch die tschetschenische Regierung.

    Im Pulverfass Tschetschenien kann die kleinste Erschütterung aus den politischen Partnern von heute wieder Feinde machen. Momentan herrscht Freundschaft zwischen dem loyalen Kadyrow und Noch-Präsident Putin, doch die russischen Präsidentschafts-Wahlen sind ein Unsicherheitsfaktor – denn bislang ist nicht absehbar, ob und welche Kursänderungen der Kreml nach der Wahl vornimmt.

    Hinzu kommen auch Ressentiments und Rachegelüste einiger russischen Militärs gegenüber den Tschetschenen, die jederzeit zur Krise führen können. Außerdem gilt im – von archaischen Traditionen geprägten – Tschetschenien nach wie vor die Blutrache. Das erhöht die Gefahr, dass alte Fehden jederzeit wieder aufbrechen können.

    "Die letzten Kämpfer sind jetzt in der Defensive. Sie haben weder Kräfte noch Mittel, um größere Operationen durchzuführen. Schon morgen allerdings können ihre Reihen wieder erstarken. Unser Territorium ist klein, auch die Berge sind nicht so weitläufig, wie im übrigen Russland. Man muss ständig daran denken, wie man einen sicheren Ruheplatz findet, um zu essen. Von überall her wird geschossen.

    Nur die Hoffnung hat uns am Leben gehalten: dass beispielsweise die Deutschen für uns eintreten werden oder das amerikanische Volk sich an uns erinnert und für uns eintritt. Wir haben dafür gebetet. Dann allerdings habe ich verstanden, dass weder der Westen noch Russland daran interessiert sind, diesen Konflikt zu lösen."

    Ortswechsel. Ein Bergplateau im Süden Tschetscheniens, 40 Kilometer entfernt von der georgischen Grenze. Der Itumkalinskij Rayon, einer von 19 Verwaltungsbezirken Tschetscheniens, ist durch Wachtposten vom übrigen Tschetschenien abgeriegelt, die südliche Grenzzone von mehreren tausend russischen Soldaten besiedelt.

    Vom Haus des Gemeindevorstands von Guchoj, des unterhalb in der Ebene gelegenen Dorfes, ist nach einem Überfall der tschetschenischen Widerstandskämpfer nur noch ein verkohltes Gerippe übrig, davor liegen ausgebrannte Wagen und Gerätschaften. In die Talsenke schmiegen sich die einst fruchtbaren Kartoffel- und Maisfelder von Guchoj, auf denen jetzt nur noch Heuschober stehen. Zu den Dörfern in den Höhen führen bislang keine Wege. Bezirksleiter Risaudin Terlojew beschreibt die instabile Sicherheitslage:

    "Die Rebellen aus den Bergen sind in der Nacht gegen 21 bis 22 Uhr gekommen und haben die Schule und das Haus des Gemeindevorstands von Guchoj umzingelt. In der Familie war nur der Neffe bewaffnet. Er hat sich ihnen in den Weg gestellt und wurde getötet. Beim Weggehen haben sie das Haus angezündet. Alles ist verbrannt: das Inventar, die Kleider und sämtliche Dokumente."

    Dank Terlojew, dessen Ahnen von hier stammen, haben die 13 Dörfer des Bergbezirkes innerhalb von zwei Monaten Straßen und Wege, Bushaltestellen und Wegweiser bekommen. Vor dem sonnenverbrannten Mann mit der Baseballkappe und den Sportklamotten türmen sich die Probleme: Der Boden liegt brach, ist teilweise vermint und durch den sowjetischen Tabakanbau ausgelaugt.

    Die Bewohner, die wie das ganze tschetschenische Volk unter Stalin nach Kasachstan deportiert wurden und erst in den 90er Jahren hierhin zurückkehren durften, haben keine Arbeit. Der Tourismus wäre eine Einnahmequelle, doch die täglich patrouillierenden russischen Panzer machen diesen Gedanken zur Illusion.

    Psychisch und physisch sind die Menschen vom Krieg gezeichnet, sie brauchen medizinische, soziale und psychologische Hilfe. Doch es gibt weder russische noch internationale Hilfsprogramme. Zudem kommt es wegen fehlender Koordinierung oft zu Zusammenstößen mit den tschetschenischen Sicherheitskräften, die von den Russen für Aufständische gehalten werden.

    Bezirksleiter Terlojew lebt mit seinen Leibwächtern spartanisch in einem nahezu leeren Backsteinhaus auf Eisenbetten und Matratzen, bislang ohne Wasser und Toilette. Nur die 2000-Dollar-Anzüge im Spind des gemeinschaftlichen Schlafzimmers erinnern noch an sein früheres Leben als Geschäftsmann in Moskau, zehn Jahre hat er dort im Exil verbracht:

    "Kein westlicher Staat hat uns jemals geholfen. Während der Kriege hat man uns einfach unserem Schicksal überlassen. Wir sind arm und ungebildet. Aber früher oder später werden wir etwas erreichen. Mein Großvater hat mir gesagt: Du kannst nur auf die eigenen vier Wände zählen.

    Früher waren unsere Türen weit geöffnet. Jetzt sind wir gezwungen, sie zuzumachen. Wir werden unseren eigenen Weg gehen müssen. Wir wollen diese Landschaft wiedererwecken. Wenn wir die Mittel hätten, würden wir hier ein Paradies erschaffen. Keine Schweiz und kein Finnland können mit unseren Bergen mithalten."