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Die Umkehrung des Hörspiels

Der Komponist Mauricio Kagel, der am 24. Dezember seinen 75. Geburtstag feiert, gilt als einer der Erneuerer des Hörspiels. Mit Arbeiten wie "Hörspiel (ein Aufnahmezustand)" läutete er Ende der Sechziger Jahre die Ära des "Neuen Hörspiels" ein. Wie es dazu kam, habe ich den Musikwissenschaftler Rudolf Frisius gefragt.

Moderation: Frank Olbert |
    Olbert: Wie kam der Komponist Mauricio Kagel zum Hörspiel?
    Frisius: Das hängt mit der Verwandlung der damaligen Hörspielszene zusammen, an der Klaus Schöning maßgeblichen Anteil hatte. Zu den ersten Pionieren gehörte Kagel. Es war offensichtlich nicht nur Schönings Idee, experimentierfreudige junge Schriftsteller anzusprechen, sondern auch Komponisten.
    Olbert: Was hat Kagel in dem "Hörspiel (ein Aufnahmezustand)" denn dann gemacht?
    Frisius: Die Hauptidee war, dass er das Produktionsprinzip völlig umkehren wollte. Das Normale war, dass man ins Studio ging, viel produzierte und dann kam etlicher Bandsalat in den Papierkorb. Damals im Analogstudio war das auch noch schön materiell greifbar. Das, was übrig bleibt, die richtigen Versionen, ist dann die Produktion. Das ist ja nicht nur im Hörspiel so, das ist in jeder Sendung so. Bei Kagel war es nun genau die umgekehrte Version: Man nimmt alles auf und schmeißt die gelungenen Versionen weg. Die Idee ist also, den Prozess, wie ein Hörspiel zustande kommt und die Suche nach Versionen zu dokumentieren und dann alles Aufgenommene zum Kunstobjekt zu machen. Die Illusion, es werde irgendeine Geschichte erzählt, wird völlig beiseite geräumt. Diese Umkehrung war das Entscheidende.
    Olbert: Er richtet damit die Aufmerksamkeit auf das Medium und auf die Materialwerdung des Hörspiels selbst War das auch ein Kennzeichen dieser neuen Richtung im Hörspiel?
    Frisius: Ja, das war die Einsicht, dass das Medium die traditionellen Kunstsparten sprengt. Das hat er sehr früh gesehen. Das Hörspiel ist eben keine literarische Gattung und keine musikalische Gattung, sondern eine akustische Gattung unbestimmten Inhalts. Diese Integration war, was er auf diese Weise am besten dargestellt hat, denn man hat eben so produziert, dass all das entstand.

    Mauricio Kagels Hörspielwerk ist nun auf CD zu haben. Aus Anlass seines 75. Geburtstages widmet der WDR ihm eine umfangreiche Edition. Auf zwei CDs sowie einer DVD wurden Schlüsselwerke im Schaffen und Wirken Kagels versammelt. Natürlich fehlt das soeben mehrfach zitierte, im Jahr 1969 vom WDR produzierte "Hörspiel (Ein Aufnahmezustand)" nicht. Die Mauricio Kagel -Edition erscheint in Zusammenarbeit mit der WDR mediagroup und dem Verlag Winter&Winter und bietet neben den Hörwerken auch ein 60-seitiges Begleitheft mit historischen Fotografien, Zeichnungen und Manuskripten des Komponisten.