Einer nationalen Kunst scheint dies nicht in vollem Maße vergönnt gewesen zu sein, der amerikanischen, denn ein weitverbreitetes Klischee will, das die verhältnismäßig jungen USA ihre Kunst einst aus Europa importierten und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs künstlerisch am Tropf des alten Kontinents hingen. Erst dann begann die Abnabelung.
Ein Kolloquium, veranstaltet im Pariser Louvre und betitelt mit "Die Unabhängigkeit der amerikanischen Kunst", versprach, diesem Sachverhalt auf den Grund gehen zu wollen. Was musste also geleistet werden? Zunächst natürlich die Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt erstmals eine genuin amerikanische Kunst sich abzuzeichnen beginnt. Olivier Meslay, Konservator am Louvre, gelang es präzise den recht paradoxen Werdegang des um 1800 hochangesehenen amerikanischen, neoklassizistischen Künstlers und Leiters der Londoner Royal Academie Benjamin West zu rekonstruieren. Obwohl fast ausschließlich in England tätig widmet sich West auch Themen der heroischen Geschichte seiner Heimat. Wests Renommee reicht bis nach Paris und sein Einfluss ist bis hin zu den französischen Romantikern spürbar. Seine einflussreiche Stellung als Hofmaler Edwards III. wird im republikanisch gesinnten Amerika aber missbilligt und sein Nachlass, von den Erben den USA angeboten, abgelehnt.
Amerikanische Kunst, auch wenn von einem Landsmann geschaffen, kann eben nicht in England entstehen. Timothy Barringer, Kunsthistoriker aus Yale, durfte dann die Trumpfkarte echter amerikanischer Kunst der Frühzeit ins Spiel bringen: die Landschaftsmalerei. Erhellend die Gegenüberstellung der idealen, idyllischen europäischen Landschaften eines Constable und die dramatisch um einzigartige Naturgewalten kreisenden, durchkonstruierten Szenerien eine Thomas Cole, in dem Amerika seinen nationalen Meister findet und dies obwohl Cole eigentlich aus England stammt.
Mit ihren Landschaften, noch von ursprünglicher Wildheit geprägt, können sich die USA von europäischen Maltraditionen absetzen und künstlerische Eigenständigkeit behaupten. In der Thematik und nicht im Stil liegt also der Schlüssel für die nationale Identität. Zwei amerikanische Künstler, die diesen Zwängen zu entfliehen verstehen, indem sie als bekennende Kosmopoliten in Europa arbeiten, stellte Christine Savinel, Pariser Professorin für Kunstgeschichte, im fundiertesten Beitrag des Kolloquiums vor: John Singer Sargent und James Whistler. Sargents erotisch aufgeladene Frauenportraits fügen sich ins Decadence-Klima des späten 19. Jahrhunderts in Europa, stoßen jedoch auf Empörung im puritanischen Amerika. Whistler, der bald alles Anekdotische aus seinen Bildern verbannt, da ihm der Malakt wichtiger erscheint als die Darstellung von Inhalten, muss mit seiner radikalen Modernität ebenfalls auf Unverständnis in seiner Heimat stoßen. Nationale Identität kann er mit seiner Kunst eben nicht stiften. So wenig sich die USA als offen gegenüber der modernen Kunst vor dem Zweiten Weltkrieg zeigen, der Schock der Armory Show von 1913 sitzt tief und eine echte amerikanische Avantgarde hat es schwer, im eigenen Land Fuß zu fassen, um so radikaler wendet die junge Künstlergeneration um Jackson Pollock nach dem Weltkrieg das Blatt zugunsten Amerikas.
Eric de Chassey, Kunsthistoriker aus Tours, entschlüsselte ihr Vorgehen hierbei. Medial wirkungsvoll in Szene gesetzt wird Pollock zur Leitfigur einer "neuen amerikanischen Malerei", an der sich auch folgende Generationen zu orientieren haben. Beinahe lässt sich von einer Akademiebildung reden. Der den "Abstrakten Expressionismus" prägende gewaltsame Malakt, den Pollock so gekonnt zelebriert, geht jedoch allmählich verloren. Dabei scheint Actionpainting so genuin amerikanisch zu sein wie die Wildnis auf den Landschaftsbildern einhundertfünfzig Jahre zuvor.
Andy Warhol, dem Phänomen der Massenkultur und schließlich der land art galten weitere Beiträge, von der in den letzten Jahren in den USA selbst geführten Diskussion, ob die Frage nach einer nationalen Kunst in einem derart multikulturell strukturierten Land wie den Vereinigten Staaten nicht überhaupt heute obsolet sei, wurde leider erst in der Schlussrunde, und auch hier nur am Rande, gesprochen. Vielmehr erhitzte die Gemüter Frankreichs Verhältnis zur amerikanischen Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Gut war dieses nicht, schließlich erwarb Frankreich als letztes europäisches Land amerikanische Kunst für seine öffentlichen Sammlungen. Somit lieferte die Schlussrunde vor allem Einblicke in das offenbar nach wie vor tiefsitzende französische Trauma von der Dominanz amerikanischer Kunst nach 1945. Doch danach hatte das Kolloquium eigentlich gar nicht gefragt.
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889.html
Ein Kolloquium, veranstaltet im Pariser Louvre und betitelt mit "Die Unabhängigkeit der amerikanischen Kunst", versprach, diesem Sachverhalt auf den Grund gehen zu wollen. Was musste also geleistet werden? Zunächst natürlich die Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt erstmals eine genuin amerikanische Kunst sich abzuzeichnen beginnt. Olivier Meslay, Konservator am Louvre, gelang es präzise den recht paradoxen Werdegang des um 1800 hochangesehenen amerikanischen, neoklassizistischen Künstlers und Leiters der Londoner Royal Academie Benjamin West zu rekonstruieren. Obwohl fast ausschließlich in England tätig widmet sich West auch Themen der heroischen Geschichte seiner Heimat. Wests Renommee reicht bis nach Paris und sein Einfluss ist bis hin zu den französischen Romantikern spürbar. Seine einflussreiche Stellung als Hofmaler Edwards III. wird im republikanisch gesinnten Amerika aber missbilligt und sein Nachlass, von den Erben den USA angeboten, abgelehnt.
Amerikanische Kunst, auch wenn von einem Landsmann geschaffen, kann eben nicht in England entstehen. Timothy Barringer, Kunsthistoriker aus Yale, durfte dann die Trumpfkarte echter amerikanischer Kunst der Frühzeit ins Spiel bringen: die Landschaftsmalerei. Erhellend die Gegenüberstellung der idealen, idyllischen europäischen Landschaften eines Constable und die dramatisch um einzigartige Naturgewalten kreisenden, durchkonstruierten Szenerien eine Thomas Cole, in dem Amerika seinen nationalen Meister findet und dies obwohl Cole eigentlich aus England stammt.
Mit ihren Landschaften, noch von ursprünglicher Wildheit geprägt, können sich die USA von europäischen Maltraditionen absetzen und künstlerische Eigenständigkeit behaupten. In der Thematik und nicht im Stil liegt also der Schlüssel für die nationale Identität. Zwei amerikanische Künstler, die diesen Zwängen zu entfliehen verstehen, indem sie als bekennende Kosmopoliten in Europa arbeiten, stellte Christine Savinel, Pariser Professorin für Kunstgeschichte, im fundiertesten Beitrag des Kolloquiums vor: John Singer Sargent und James Whistler. Sargents erotisch aufgeladene Frauenportraits fügen sich ins Decadence-Klima des späten 19. Jahrhunderts in Europa, stoßen jedoch auf Empörung im puritanischen Amerika. Whistler, der bald alles Anekdotische aus seinen Bildern verbannt, da ihm der Malakt wichtiger erscheint als die Darstellung von Inhalten, muss mit seiner radikalen Modernität ebenfalls auf Unverständnis in seiner Heimat stoßen. Nationale Identität kann er mit seiner Kunst eben nicht stiften. So wenig sich die USA als offen gegenüber der modernen Kunst vor dem Zweiten Weltkrieg zeigen, der Schock der Armory Show von 1913 sitzt tief und eine echte amerikanische Avantgarde hat es schwer, im eigenen Land Fuß zu fassen, um so radikaler wendet die junge Künstlergeneration um Jackson Pollock nach dem Weltkrieg das Blatt zugunsten Amerikas.
Eric de Chassey, Kunsthistoriker aus Tours, entschlüsselte ihr Vorgehen hierbei. Medial wirkungsvoll in Szene gesetzt wird Pollock zur Leitfigur einer "neuen amerikanischen Malerei", an der sich auch folgende Generationen zu orientieren haben. Beinahe lässt sich von einer Akademiebildung reden. Der den "Abstrakten Expressionismus" prägende gewaltsame Malakt, den Pollock so gekonnt zelebriert, geht jedoch allmählich verloren. Dabei scheint Actionpainting so genuin amerikanisch zu sein wie die Wildnis auf den Landschaftsbildern einhundertfünfzig Jahre zuvor.
Andy Warhol, dem Phänomen der Massenkultur und schließlich der land art galten weitere Beiträge, von der in den letzten Jahren in den USA selbst geführten Diskussion, ob die Frage nach einer nationalen Kunst in einem derart multikulturell strukturierten Land wie den Vereinigten Staaten nicht überhaupt heute obsolet sei, wurde leider erst in der Schlussrunde, und auch hier nur am Rande, gesprochen. Vielmehr erhitzte die Gemüter Frankreichs Verhältnis zur amerikanischen Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Gut war dieses nicht, schließlich erwarb Frankreich als letztes europäisches Land amerikanische Kunst für seine öffentlichen Sammlungen. Somit lieferte die Schlussrunde vor allem Einblicke in das offenbar nach wie vor tiefsitzende französische Trauma von der Dominanz amerikanischer Kunst nach 1945. Doch danach hatte das Kolloquium eigentlich gar nicht gefragt.
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