Walther: Ich mache das Ganze - um das auch zu erwähnen - mit einer Kollegin zusammen, die auch Autorin ist, aber eben auch sehr viel zeithistorisch gearbeitet hat, nämlich mit Ines Geipel. Bei uns beiden flossen jeweils DDR-Erfahrungen ein, aber auch der Wille und die Praxis, mit dieser Diktatur umzugehen und sie aufzuarbeiten.
DLF: Warum ist das wichtig, Herr Walther? Ist nicht, abgesehen von dem, was schon zu DDR-Zeiten im Westen publiziert wurde, inzwischen alles veröffentlicht worden, worauf man nach der Wende neugierig war?
Walther: Nein, es ist leider nicht so, dass die in der DDR unterdrückten Texte alle im Westen gelandet seien.
DLF: Alle nicht, aber vielleicht die interessanteren.
Walther: Auch das kann man nicht sagen. Die Restriktionen setzten ja bereits sehr früh ein. Das hieß bei der Staatssicherheit und bei den entsprechenden Stellen "vorbeugende Verhinderung". Man hat also sehr frühzeitig auf Talente, die sich regten, und auf kritische Geiste zugegriffen. Dann sind diese Schreibexistenzen im Ganzen vernichtet worden. Das ging hin bis zu Suiziden oder zu langen Gefängnisaufenthalten. Die Autoren sind dann in den Westen gekommen, irgendwie freigekauft, aber die Manuskripte waren weiterhin in der DDR, nämlich in den entsprechenden Archiven.
DLF: Sie betreiben so eine Art Archäologie. Wie machen Sie das? Wo suchen Sie? Wo können Sie was finden?
Walther: Unsere Quellen sind natürlich erst einmal die Autoren selbst, wo wir die entsprechenden Vor- oder Nachlässe heben. Das zweite ist aber auch dieses bereits genannte Archiv der Birthler-Behörde, früher Gauck-Behörde, wo noch alle Manuskripte versteckt lagern, die nach Ermittlungsverfahren und Haftverhängungen dort gelagert wurden. Dann gibt es aber in anderen Archiven auch noch Sub-Nachlässe. Es hat in der DDR einige Autoren gegeben wie zum Beispiel Franz Fühmann, die Mentorschaften über sehr viele junge Autoren übernommen hatten. Dort liegt auch noch einiges. Hinzu kommen entpolitisierte Teilveröffentlichungen in der DDR. Um nur ein Beispiel zu nennen: Inge Müller, die erste Frau von Heiner Müller, ist so ein Fall. Da sind zwar zwei Bücher in der DDR erschienen, aber es wurde alles eliminiert, was gewissermaßen nicht in das kulturpolitische oder insgesamt in das ästhetische Konzept der DDR passte.
DLF: Was die Stasi sammelte, Herr Walther, unterlag doch dem Kriterium der politischen Brisanz. Das ist also alles Beweismaterial. Ist es auch Literatur?
Walther: Das eine Kriterium ist, dass die Texte in der DDR zu Zeiten der DDR und auf dem Territorium der DDR geschrieben und dort nicht veröffentlicht worden sind. Das zweite Kriterium - wobei die Reihenfolge auch vertauschbar wäre - ist, dass es sich um Literatur handelt und nicht nur um politischen Pamphletismus, wo Leute ihren Unmut, ihren Frust gewissermaßen in Verse gegossen haben. Es muss also eine literarische Höhe haben. Nur dann kommen die Texte in das Archiv. Es handelt sich also um ein Literaturarchiv.
DLF: Glauben Sie, dass Sie noch große Texte, große Literatur finden werden?
Walther: Ja, absolut. Die haben wir ja schon gefunden. Das geht von lyrischen Frühbegabungen bis hin zu Oeuvres - so muss man das schon nennen -, die über dreißig Jahre fort geschrieben worden sind und Umfänge haben von 4.000 Seiten. Das ist Prosa, das sind aber auch Essays. Dort ist gewissermaßen dieser erdrückenden Realität eine Traum- oder ästhetische Gegenwelt entgegengesetzt worden. Das ist sehr interessant. Es ist auch auf einer ästhetischen und intellektuellen Höhe, die erstaunen wird.
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DLF: Warum ist das wichtig, Herr Walther? Ist nicht, abgesehen von dem, was schon zu DDR-Zeiten im Westen publiziert wurde, inzwischen alles veröffentlicht worden, worauf man nach der Wende neugierig war?
Walther: Nein, es ist leider nicht so, dass die in der DDR unterdrückten Texte alle im Westen gelandet seien.
DLF: Alle nicht, aber vielleicht die interessanteren.
Walther: Auch das kann man nicht sagen. Die Restriktionen setzten ja bereits sehr früh ein. Das hieß bei der Staatssicherheit und bei den entsprechenden Stellen "vorbeugende Verhinderung". Man hat also sehr frühzeitig auf Talente, die sich regten, und auf kritische Geiste zugegriffen. Dann sind diese Schreibexistenzen im Ganzen vernichtet worden. Das ging hin bis zu Suiziden oder zu langen Gefängnisaufenthalten. Die Autoren sind dann in den Westen gekommen, irgendwie freigekauft, aber die Manuskripte waren weiterhin in der DDR, nämlich in den entsprechenden Archiven.
DLF: Sie betreiben so eine Art Archäologie. Wie machen Sie das? Wo suchen Sie? Wo können Sie was finden?
Walther: Unsere Quellen sind natürlich erst einmal die Autoren selbst, wo wir die entsprechenden Vor- oder Nachlässe heben. Das zweite ist aber auch dieses bereits genannte Archiv der Birthler-Behörde, früher Gauck-Behörde, wo noch alle Manuskripte versteckt lagern, die nach Ermittlungsverfahren und Haftverhängungen dort gelagert wurden. Dann gibt es aber in anderen Archiven auch noch Sub-Nachlässe. Es hat in der DDR einige Autoren gegeben wie zum Beispiel Franz Fühmann, die Mentorschaften über sehr viele junge Autoren übernommen hatten. Dort liegt auch noch einiges. Hinzu kommen entpolitisierte Teilveröffentlichungen in der DDR. Um nur ein Beispiel zu nennen: Inge Müller, die erste Frau von Heiner Müller, ist so ein Fall. Da sind zwar zwei Bücher in der DDR erschienen, aber es wurde alles eliminiert, was gewissermaßen nicht in das kulturpolitische oder insgesamt in das ästhetische Konzept der DDR passte.
DLF: Was die Stasi sammelte, Herr Walther, unterlag doch dem Kriterium der politischen Brisanz. Das ist also alles Beweismaterial. Ist es auch Literatur?
Walther: Das eine Kriterium ist, dass die Texte in der DDR zu Zeiten der DDR und auf dem Territorium der DDR geschrieben und dort nicht veröffentlicht worden sind. Das zweite Kriterium - wobei die Reihenfolge auch vertauschbar wäre - ist, dass es sich um Literatur handelt und nicht nur um politischen Pamphletismus, wo Leute ihren Unmut, ihren Frust gewissermaßen in Verse gegossen haben. Es muss also eine literarische Höhe haben. Nur dann kommen die Texte in das Archiv. Es handelt sich also um ein Literaturarchiv.
DLF: Glauben Sie, dass Sie noch große Texte, große Literatur finden werden?
Walther: Ja, absolut. Die haben wir ja schon gefunden. Das geht von lyrischen Frühbegabungen bis hin zu Oeuvres - so muss man das schon nennen -, die über dreißig Jahre fort geschrieben worden sind und Umfänge haben von 4.000 Seiten. Das ist Prosa, das sind aber auch Essays. Dort ist gewissermaßen dieser erdrückenden Realität eine Traum- oder ästhetische Gegenwelt entgegengesetzt worden. Das ist sehr interessant. Es ist auch auf einer ästhetischen und intellektuellen Höhe, die erstaunen wird.
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