Machiavelli – dieser Name des florentinischen Diplomaten steht auch nach fünfhundert Jahren noch für skrupellose Machtpolitik. Sein Credo war: Erfolg ist das Maß aller Dinge. Er rechtfertigt Grausamkeit, Lug und Betrug - sofern sie zur Macht führen. So zumindest ist das gängige Image von ihm. Und mit diesem Negativbild beginnt der Historiker Volker Reinhardt denn auch seine neue Machiavelli-Biografie. Kein Paukenschlag also? Weit gefehlt. Mit zahlreichen Hinweisen schon ab der zweiten Seite deutet der Historiker an, dass vieles, was Machiavelli bis heute nachgesagt wird, missverstanden oder aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Machiavelli sei es vielmehr um die Rettung und Einigung des damals völlig zerstrittenen Italiens gegangen:
Er war davon überzeugt, eine Mission zu erfüllen. Er sah seine Aufgabe darin, Italien aus der Talsohle der Geschichte zu neuen Höhen emporzuführen. Dadurch, dass er das zur politischen und moralischen Norm erhob, was die Mächtigen heimlich taten, brach Machiavelli (allerdings) ein Tabu.
Um die Irrtümer um Machiavelli als auch - wie Reinhardt sagt - dessen ätzende Ironie verstehen zu können, wird der Leser mit der Entwicklung des Charakters und der Denkweise des Florentiners Schritt für Schritt vertraut gemacht. Im zweiten Kapitel - betitelt mit "Die Kunst der Diplomatie" - geht es ganz um die Reisen im Auftrag der Republik Florenz: an den Hof des französischen Königs Ludwig XII., den er für geizig und egoistisch hielt, zu den Eidgenossen in die Schweiz, die sich nach Machiavellis Ansicht von französischem Geld haben bestechen lassen, nach Deutschland zu Kaiser Maximilian, den er als leichtgläubig und beeinflussbar kennenlernte, an den Hof des Papstes Julius II., dem er seine politische Geringschätzung nicht verhehlte. Und schließlich zu dem machthungrigen, hinterlistigen Herzog der Romagna, Cesare Borgia, für den er Bewunderung entwickelte und der ihm als Vorbild für sein späteres Werk "Der Fürst" diente.
Nach 14 Jahren im Dienste seiner Vaterstadt errang die Herrscherdynastie der Familie Medici erneut die Macht in Florenz und entließ Machiavelli 1512 aus dem diplomatischen Dienst, da er den Gegnern der Medici gedient hatte. Er wurde auf ein entferntes Landgut verbannt. Nach Hause zurückgekehrt unterzog er sich dann nach eigenen Worten einer Metamorphose:
Bricht der Abend herein, begebe (ich) mich in mein Arbeitszimmer, auf dessen Schwelle ich mein von Schlamm und Schmutz bedecktes Alltagskleid ausziehe, um Gewänder des Hofes und der Kanzlei anzulegen. Und so empfinde ich volle vier Stunden lang keine Langeweile, und habe ein Büchlein namens De Principatibus verfasst. Darin vertiefe ich mich in die Erörterung, was ein Fürstentum ist, welche Arten es davon gibt, wie man sie gewinnt, wie man sie erhält und warum man sie verliert.
In Machiavellis vielfach verteufeltem Werk, das auf Deutsch kurz "Der Fürst" genannt wird, geht es also nicht nur darum, dass in der Politik alle Mittel erlaubt sind und dass das höchste Ziel eines Staates nicht der Friede, sondern der Krieg sei, sondern auch, wie und warum ein Fürst die Macht wieder verlieren kann. Während der preußische König Friedrich der Große noch kurz vor seiner Thronbesteigung mit seiner Schrift "Antimachiavell" 1739 gegen die Ratschläge des Bösewichts wettert, indem er die Meinung vertrat, ein Fürst müsse vielmehr der erste Diener im Staat sein, hat etwa zur gleichen Zeit der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau die andere Seite Machiavellis entdeckt. Reinhardt belegt in seinem Ausblick eindrucksvoll, wie von Rousseaus Wahrnehmung ausgehend, Machiavelli sogar im 19. Jahrhundert als Vorbild für Volksbefreiungsbewegungen wahrgenommen wurde:
Für Rousseau war Machiavelli der verkappte Revolutionär, der Europa vor Augen führte, wie man sich der Tyrannen entledigen konnte. Die Tradition des "guten" Machiavelli griffen die preußischen Reformer wieder auf, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Mitteln und Wegen suchten, um die Hegemonie Napoleons zu stürzen. Unvermutet wurde der Florentiner auf diese Weise zum Vordenker des nationalen Befreiungskampfes gegen das übermächtige Frankreich. In Italien selbst wurde Machiavelli zum Propheten der nationalen Einigung erhoben.
Zur Klarstellung sei gesagt: Der Biograf Volker Reinhardt hat keine Weißwaschung Machiavellis vorgenommen, sondern weist sehr wohl nachdrücklich darauf hin, dass auch die Diktatoren des 20. Jahrhunderts, darunter der faschistische Duce Benito Mussolini, Machiavelli als einen Propheten heranzogen, der den totalitären Machtstaat vorausgedacht habe. Reinhardt plädiert jedoch dafür:
Gerecht wird man Machiavelli nur, wenn man ihn aus seiner eigenen Gegenwart heraus versteht: als einen brillanten intellektuellen Außenseiter, der Hilfsmittel gegen die Krisen seiner Zeit erfand, die zum Stein des Anstoßes für alle Zeiten geworden sind.
Die neue Biografie über Machiavelli zeigt wieder einmal, wie notwendig es ist, von Zeit zu Zeit gängige Vorstellungen historischer Größen zu überprüfen und der Gegenwart verständlich nahezubringen. Dies ist dem Geschichtsprofessor Volker Reinhardt in besonders überzeugender Weise gelungen. In einer ungewöhnlichen Mischung aus wissenschaftlichen Belegen und klaren, einfachen Kommentaren versteht es der Autor, den Leser an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen, ja er unterhält mit diesem Stil buchstäblich von der ersten bis zur letzten Seite. Auf diese Art möchte man scheinbar schwer verdauliches Geschichtswissen – und Machiavellis staatstheoretische Schriften sind darunter einzuordnen – häufiger erfahren.
Tom Goeller war das über: Volker Reinhardt: "Machiavelli oder die Kunst der Macht". Eine Biografie. Erschienen im Beck-Verlag, 400 Seiten für 24,95 Euro, ISBN: 978-3-406-63017-0.
Er war davon überzeugt, eine Mission zu erfüllen. Er sah seine Aufgabe darin, Italien aus der Talsohle der Geschichte zu neuen Höhen emporzuführen. Dadurch, dass er das zur politischen und moralischen Norm erhob, was die Mächtigen heimlich taten, brach Machiavelli (allerdings) ein Tabu.
Um die Irrtümer um Machiavelli als auch - wie Reinhardt sagt - dessen ätzende Ironie verstehen zu können, wird der Leser mit der Entwicklung des Charakters und der Denkweise des Florentiners Schritt für Schritt vertraut gemacht. Im zweiten Kapitel - betitelt mit "Die Kunst der Diplomatie" - geht es ganz um die Reisen im Auftrag der Republik Florenz: an den Hof des französischen Königs Ludwig XII., den er für geizig und egoistisch hielt, zu den Eidgenossen in die Schweiz, die sich nach Machiavellis Ansicht von französischem Geld haben bestechen lassen, nach Deutschland zu Kaiser Maximilian, den er als leichtgläubig und beeinflussbar kennenlernte, an den Hof des Papstes Julius II., dem er seine politische Geringschätzung nicht verhehlte. Und schließlich zu dem machthungrigen, hinterlistigen Herzog der Romagna, Cesare Borgia, für den er Bewunderung entwickelte und der ihm als Vorbild für sein späteres Werk "Der Fürst" diente.
Nach 14 Jahren im Dienste seiner Vaterstadt errang die Herrscherdynastie der Familie Medici erneut die Macht in Florenz und entließ Machiavelli 1512 aus dem diplomatischen Dienst, da er den Gegnern der Medici gedient hatte. Er wurde auf ein entferntes Landgut verbannt. Nach Hause zurückgekehrt unterzog er sich dann nach eigenen Worten einer Metamorphose:
Bricht der Abend herein, begebe (ich) mich in mein Arbeitszimmer, auf dessen Schwelle ich mein von Schlamm und Schmutz bedecktes Alltagskleid ausziehe, um Gewänder des Hofes und der Kanzlei anzulegen. Und so empfinde ich volle vier Stunden lang keine Langeweile, und habe ein Büchlein namens De Principatibus verfasst. Darin vertiefe ich mich in die Erörterung, was ein Fürstentum ist, welche Arten es davon gibt, wie man sie gewinnt, wie man sie erhält und warum man sie verliert.
In Machiavellis vielfach verteufeltem Werk, das auf Deutsch kurz "Der Fürst" genannt wird, geht es also nicht nur darum, dass in der Politik alle Mittel erlaubt sind und dass das höchste Ziel eines Staates nicht der Friede, sondern der Krieg sei, sondern auch, wie und warum ein Fürst die Macht wieder verlieren kann. Während der preußische König Friedrich der Große noch kurz vor seiner Thronbesteigung mit seiner Schrift "Antimachiavell" 1739 gegen die Ratschläge des Bösewichts wettert, indem er die Meinung vertrat, ein Fürst müsse vielmehr der erste Diener im Staat sein, hat etwa zur gleichen Zeit der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau die andere Seite Machiavellis entdeckt. Reinhardt belegt in seinem Ausblick eindrucksvoll, wie von Rousseaus Wahrnehmung ausgehend, Machiavelli sogar im 19. Jahrhundert als Vorbild für Volksbefreiungsbewegungen wahrgenommen wurde:
Für Rousseau war Machiavelli der verkappte Revolutionär, der Europa vor Augen führte, wie man sich der Tyrannen entledigen konnte. Die Tradition des "guten" Machiavelli griffen die preußischen Reformer wieder auf, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Mitteln und Wegen suchten, um die Hegemonie Napoleons zu stürzen. Unvermutet wurde der Florentiner auf diese Weise zum Vordenker des nationalen Befreiungskampfes gegen das übermächtige Frankreich. In Italien selbst wurde Machiavelli zum Propheten der nationalen Einigung erhoben.
Zur Klarstellung sei gesagt: Der Biograf Volker Reinhardt hat keine Weißwaschung Machiavellis vorgenommen, sondern weist sehr wohl nachdrücklich darauf hin, dass auch die Diktatoren des 20. Jahrhunderts, darunter der faschistische Duce Benito Mussolini, Machiavelli als einen Propheten heranzogen, der den totalitären Machtstaat vorausgedacht habe. Reinhardt plädiert jedoch dafür:
Gerecht wird man Machiavelli nur, wenn man ihn aus seiner eigenen Gegenwart heraus versteht: als einen brillanten intellektuellen Außenseiter, der Hilfsmittel gegen die Krisen seiner Zeit erfand, die zum Stein des Anstoßes für alle Zeiten geworden sind.
Die neue Biografie über Machiavelli zeigt wieder einmal, wie notwendig es ist, von Zeit zu Zeit gängige Vorstellungen historischer Größen zu überprüfen und der Gegenwart verständlich nahezubringen. Dies ist dem Geschichtsprofessor Volker Reinhardt in besonders überzeugender Weise gelungen. In einer ungewöhnlichen Mischung aus wissenschaftlichen Belegen und klaren, einfachen Kommentaren versteht es der Autor, den Leser an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen, ja er unterhält mit diesem Stil buchstäblich von der ersten bis zur letzten Seite. Auf diese Art möchte man scheinbar schwer verdauliches Geschichtswissen – und Machiavellis staatstheoretische Schriften sind darunter einzuordnen – häufiger erfahren.
Tom Goeller war das über: Volker Reinhardt: "Machiavelli oder die Kunst der Macht". Eine Biografie. Erschienen im Beck-Verlag, 400 Seiten für 24,95 Euro, ISBN: 978-3-406-63017-0.