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Die unbekannten Wege des Virus

Der Vogelzug ist ein wesentliches Argument für die vorbeugende Stallpflicht in Deutschland, die das Vogelgrippevirus eindämmen soll. Doch dass vor allem Wildvögel H5N1 verbreiten, gilt unter Ornithologen keinesfalls als belegt. Illegaler Vogelhandel und der Vertrieb von Kot als Düngemittel in Asien sind aus ihrer Sicht eine große Gefahr.

Von Annette Eversberg | 06.03.2006
    Die Wildvögel stehen in Schleswig-Holstein unter Dauerbeobachtung. Besonders im Nationalpark. Und zwar bereits seit 25 Jahren. Solange gibt es das Zug- und Brutvogel-Monitoring, das heute von dem Ornithologen Bernd Hälterlein vom Nationalparkamt in Tönning geleitet wird:

    "Insbesondere die Wat- und Wasservögel, die mit der Vogelgrippe besonders in der Diskussion stehen, werden eigentlich an allen Gewässern alle zwei Wochen gezählt. Darüber hinaus wird auch nach toten Vögeln geguckt. Es gibt auch ein Totfund-Monitoring. Gerade an der Nordseeküste, an den Deichen, werden die Spülsäume kontrolliert, und bei den toten Vögeln ist es so, dass die Zahlen eher geringer sind als in anderen Jahren. Also die Situation ist im Moment völlig entspannt."

    Dass vor allem die Zugvögel das Virus H5N1 verbreiten, wie immer wieder gesagt wird, halten die Ornithologen für unwahrscheinlich. Bernd Koop, Regionalleiter der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg, verweist deshalb auf die bisherigen Fundstellen von infizierten Tieren:

    "Wir haben jetzt die Ausbreitung gehabt von Rügen, war der erste Fall in Deutschland, die nächsten Fälle waren in der Bodenseeregion und in Frankreich. Und das ist, wenn man sich die zeitliche Anordnung anguckt, natürlich eine Ausbreitung von Norden nach Süden, und wir haben mit dem beginnenden Vogelzug eine Wanderung von Südeuropa nach Nordeuropa. Völlig in die andere Richtung. Und das spricht natürlich dafür, dass die Zugvögel es nicht unbedingt sein können."

    Hermann Hötker vom NABU sieht aus diesem Grund auch keine Gefahr für die Störche, obwohl sie teilweise über die Türkei fliegen, wo die Vogelgrippe bereits aufgetreten ist. Auffällig ist für Hermann Hötker zudem die Situation in Australien:

    "Die Vogelgrippe ist ja vor allem in Südostasien aufgetreten, ein Gebiet, das von sehr vielen Zugvögeln überstrichen wird, vor allem von solchen, die dann weiter nach Süden, nach Australien fliegen. Dort ist keine Spur von Vogelgrippe zu beobachten."

    Dafür hat aus der Sicht des Vogelexperten der internationale Handel mit Vögeln ein Ausmaß erreicht, das kaum noch zu kontrollieren ist:
    "Sie müssen einfach wissen, dass der illegale Vogelhandel eine Größenordnung hat, die dem illegalen Waffenhandel und auch dem Rauschgifthandel weltweit nicht ganz unähnlich ist. Das sind Milliarden von Dollar, die dort umgesetzt werden. Das sind Informationen von Interpol, die dieses Geschehen natürlich weiter betrachten."

    Als ein ideales Reservoir für eine Ausbreitung des Vogelgrippevirus gilt unter den Experten inzwischen die Massentierhaltung in Asien. Auch hier werden Hühner vor allem in Käfigen gehalten. Der Kot, der dabei anfällt, wird weltweit gehandelt. Legal und illegal. Bernd Koop:

    "In einer Haustierhaltung mit einer unheimlichen Dichte von Haustieren kann sich ein hoch pathogener Virus viel besser ausbreiten. Das heißt, im Moment müssen wir befürchten, dass über den Export von Geflügelkot, der ja als Dünger eine hohe Bedeutung hat, es zu einer Ansteckung von Wildvögeln durch Haustiere kommt."

    Das Virus kann im Vogelkot bis zu 35 Tagen überleben. Als Dünger in der Landwirtschaft gelangt es in die Umwelt und kann dann von Vögeln aufgenommen werden, zum Beispiel von Höckerschwänen, die auf Rügen betroffen waren. Es entspricht ihrem Fressverhalten, auf Feldern nach Nahrung zu suchen. Die Welternährungsorganisation FAO hat sogar den Handel mit Kot als Dünger in südostasiatischen Fischteichen unterstützt, um die Erträge zu steigern, berichtet der Ornithologe Klemens Steiof bei der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt von einer kürzlichen Reise in die Region. Für ihn erklärt dies auch, warum vor allem Wasservögel wie Enten in Asien mit dem Vogelgrippevirus H5N1 infiziert wurden. Der Kieler Zoologe Sievert Lorenzen verweist zudem darauf, dass Hühnerhaltungen keineswegs geschlossene Systeme sind, wie immer gesagt wird, und dadurch selbst aufgestallte Hühner Wildvögel erstmalig infizieren können:

    "Das Geflügel ist ja nicht nur im Stall und dann ohne Kontakt zur Außenwelt, sondern sie müssen Frischluft von draußen kriegen, verbrauchte Luft geht nach draußen, von solchen dichten Ansammlungen kann alles Mögliche nach außen gelangen und dann von anderen Vögeln, die völlig unschuldig sind, verbreitet werden."