Es gibt Künstler, die ein quasi unterirdisches Dasein fristen. Von Zeit zu Zeit holt sie jemand heraus aus ihrem Erdloch, und dann merkt man, dass sie ganz wesentlich zum Wurzelwerk jener prachtvollen Bäume gehören, die wir ständig in großen Retrospektiven bewundern. Chaim Soutine ist so ein Künstler-Künstler, wichtig für die Kollegen, vom Kunstbetrieb eher vernachlässigt. Die Ausstellung, die das Kunstmuseum Basel ihm nun widmet, kann nicht wirklich eine Rückschau genannt werden, dazu ist sie nicht breit genug angelegt (und der Titel "Soutine und die Moderne" ist bei den wenigen Werken von Zeitgenossen, die hier aufgeboten werden, etwas übertrieben).
Aber man zeigt uns die drei für Soutine wesentlichen Sujets, Landschaft, Stillleben und Portrait immerhin bis etwa Ende der 1920iger Jahre, und an diesen drei Brennpunkten lässt sich nachvollziehen, warum so unterschiedliche Künstler wie der extrem gestisch-abstrakte Willem de Kooning oder der Drehmoment-Verzerrungs-Perspektivist Francis Bacon sich auf Soutine berufen, warum andererseits Soutine selber sich im Paris der kubistischen und surrealistischen Moderne bewegen konnte, ohne Teil einer Schule zu werden. Er war einfach ein Außenseiter, der sich von Chagall, Modigliani oder Braque ein paar Elemente nahm, hier das Märchenhafte, dort ein bisschen flächige Glätte, da die Raumverbiegung, und ansonsten seinen eigenen Weg ging - gerade die kubistisch gesplitterten Braque-Bilder, die als Vergleichsmaterial die Ausstellung befruchten, beweisen Soutines Eigenständigkeit: bei ihm bekamen die südfranzösischen Landschaften etwas Fallsüchtig-Stürzendes, hier ist die Welt wirklich aus dem Lot, ohne sich gleich ins Abstrakte zu retten. Was bei van Gogh vor allem über die Farbe funktionierte, gerät bei Soutine in einen perspektivischen Strudel, der die Realität wirklich auseinanderreißt und das Subjekt aus dem Zentrum verbannt.
Soutine hat sich lebenslang nur in den (spätestens seit dem 17.Jahrhundert) etablierten Bildgattungen bewegt; das gab formalen Halt, während er innerhalb des Bildes dann an die Grenzen der Formauflösung gehen konnte. Die Portraits von Frauen, Hotelpagen, auf unheimliche Weise alt wirkenden Kindern bersten vor melancholischer Energie (die die Unruhe des Malers spiegeln, weniger des Modells), die Landschaften stürzen und kippen weg, als hätte der liebe Gott seiner Schöpfung die Füße weggezogen; und die Stillleben mit toten Tieren, eindeutiger Höhepunkt der Ausstellung, zeigen das Kreatürliche in einer solch widerlich-attraktiven Nacktheit, dass man mit fasziniertem Ekel vor diesen Fasanen, Hühnern oder Enten steht, die letztlich nur Varianten des Menschlichen sind. Das Jagd-Stillleben ist ein altes Sujet; Soutine führt es nach dem Ersten Weltkrieg in die Dimension der abstrakten Farbexplosion, so wie im Krieg die industriellen Waffen den Menschen zu einem Häuflein Nervenzittern machten. Das funkelnde Fleisch des abgehäuteten großformatigen Rinds ist ein Rückgriff auf Rembrandt, aber wir werden diese Schlachthöfe in ganz anderer, kapitalismuskritischer Variante später in diversen Faßbinder-Filmen wiedersehen, und die Tierleichen des Damien Hirst stehen in eben dieser Tradition.
Chaim Soutine, ein Jude aus einem weißrussischen Dorf, ausgebildet in Vilnius, unter die Avantgarde gefallen ab 1913 in Paris, überkritisch gegen sich selbst, hat ärmlich gelebt, bis er 1925 von dem amerikanischen Sammler Albert Barnes entdeckt wurde. Als es ihm finanziell besser ging, verdüsterte sich der politische Horizont, und ab 1940 ist er in Frankreich auf der Flucht. Dass dieser Mann 1943, mit 50 Jahren, in Paris an einem Magendurchbruch sterben musste, ist eine Schande und ein früher Verlust für die Kunstgeschichte. Die Basler Ausstellung, die von der eigenen Sammlung "im Obersteg" ausgeht, aber auch Vergleichsbilder von Picasso, Utrillo oder Modigliani beisteuert, bricht mit den 1920iger Jahren ab. Sie will uns nicht vollends deprimiert entlassen und schließt mit einigen stürzenden Landschaften, die wenigstens von der Farbgebung das Verschlingend-Algige der ganz frühen Bilder verlassen und mit optimistisch-poppigem Farbauftrag so etwas wie aufknospenden Lebensglanz verbreiten. Und trotzdem sind auch hier die Dörfer und Berge wie von einem Erdbeben hochgewirbelt, und auf den Wegen liegt manchmal ein Mann, mit ausgebreiteten Armen, wie ein Gekreuzigter.
Aber man zeigt uns die drei für Soutine wesentlichen Sujets, Landschaft, Stillleben und Portrait immerhin bis etwa Ende der 1920iger Jahre, und an diesen drei Brennpunkten lässt sich nachvollziehen, warum so unterschiedliche Künstler wie der extrem gestisch-abstrakte Willem de Kooning oder der Drehmoment-Verzerrungs-Perspektivist Francis Bacon sich auf Soutine berufen, warum andererseits Soutine selber sich im Paris der kubistischen und surrealistischen Moderne bewegen konnte, ohne Teil einer Schule zu werden. Er war einfach ein Außenseiter, der sich von Chagall, Modigliani oder Braque ein paar Elemente nahm, hier das Märchenhafte, dort ein bisschen flächige Glätte, da die Raumverbiegung, und ansonsten seinen eigenen Weg ging - gerade die kubistisch gesplitterten Braque-Bilder, die als Vergleichsmaterial die Ausstellung befruchten, beweisen Soutines Eigenständigkeit: bei ihm bekamen die südfranzösischen Landschaften etwas Fallsüchtig-Stürzendes, hier ist die Welt wirklich aus dem Lot, ohne sich gleich ins Abstrakte zu retten. Was bei van Gogh vor allem über die Farbe funktionierte, gerät bei Soutine in einen perspektivischen Strudel, der die Realität wirklich auseinanderreißt und das Subjekt aus dem Zentrum verbannt.
Soutine hat sich lebenslang nur in den (spätestens seit dem 17.Jahrhundert) etablierten Bildgattungen bewegt; das gab formalen Halt, während er innerhalb des Bildes dann an die Grenzen der Formauflösung gehen konnte. Die Portraits von Frauen, Hotelpagen, auf unheimliche Weise alt wirkenden Kindern bersten vor melancholischer Energie (die die Unruhe des Malers spiegeln, weniger des Modells), die Landschaften stürzen und kippen weg, als hätte der liebe Gott seiner Schöpfung die Füße weggezogen; und die Stillleben mit toten Tieren, eindeutiger Höhepunkt der Ausstellung, zeigen das Kreatürliche in einer solch widerlich-attraktiven Nacktheit, dass man mit fasziniertem Ekel vor diesen Fasanen, Hühnern oder Enten steht, die letztlich nur Varianten des Menschlichen sind. Das Jagd-Stillleben ist ein altes Sujet; Soutine führt es nach dem Ersten Weltkrieg in die Dimension der abstrakten Farbexplosion, so wie im Krieg die industriellen Waffen den Menschen zu einem Häuflein Nervenzittern machten. Das funkelnde Fleisch des abgehäuteten großformatigen Rinds ist ein Rückgriff auf Rembrandt, aber wir werden diese Schlachthöfe in ganz anderer, kapitalismuskritischer Variante später in diversen Faßbinder-Filmen wiedersehen, und die Tierleichen des Damien Hirst stehen in eben dieser Tradition.
Chaim Soutine, ein Jude aus einem weißrussischen Dorf, ausgebildet in Vilnius, unter die Avantgarde gefallen ab 1913 in Paris, überkritisch gegen sich selbst, hat ärmlich gelebt, bis er 1925 von dem amerikanischen Sammler Albert Barnes entdeckt wurde. Als es ihm finanziell besser ging, verdüsterte sich der politische Horizont, und ab 1940 ist er in Frankreich auf der Flucht. Dass dieser Mann 1943, mit 50 Jahren, in Paris an einem Magendurchbruch sterben musste, ist eine Schande und ein früher Verlust für die Kunstgeschichte. Die Basler Ausstellung, die von der eigenen Sammlung "im Obersteg" ausgeht, aber auch Vergleichsbilder von Picasso, Utrillo oder Modigliani beisteuert, bricht mit den 1920iger Jahren ab. Sie will uns nicht vollends deprimiert entlassen und schließt mit einigen stürzenden Landschaften, die wenigstens von der Farbgebung das Verschlingend-Algige der ganz frühen Bilder verlassen und mit optimistisch-poppigem Farbauftrag so etwas wie aufknospenden Lebensglanz verbreiten. Und trotzdem sind auch hier die Dörfer und Berge wie von einem Erdbeben hochgewirbelt, und auf den Wegen liegt manchmal ein Mann, mit ausgebreiteten Armen, wie ein Gekreuzigter.