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Die unheimliche Welt der Alltagsgegenstände

Der amerikanische Künstler Robert Gober hat es sich immer zur Aufgabe gemacht, den Dingen unserer Umgebung das Heimelige, Vertraute wegzunehmen: Er benutzte nicht die Dinge selbst, er baute sie nach, aber immer mit einem Defekt, einem Trick, der sie absolut unbrauchbar machte. 40 Skulpturen und fünf Installationen sind jetzt auf eine Gober-Retrospektive in Basel zu sehen.

Von Christian Gampert |
    Die Ausstellung besticht schon durch ihre Präsentation: wer von oben, aus der Eingangshalle, in das weiträumige Kellergeschoß des Schaulagers blickt, der guckt in ein nur minimal bestücktes absurdes Bühnenbild mit ein paar lose verteilten Möbeln, Körperfragmenten und einigen Requisiten. Ein Bett, ein Apfel-Arrangement mit geschmolzenem Gewehr (als Tell-Paraphrase), diverse Pissoirs und Spülbecken, aus denen manchmal Holz wächst, bisweilen garniert mit schlauchähnlichen Gliedmaßen, die aus dem Nichts kommen, aus der Wand, und über den Beckenrand und in den Ausguss hängen: Menschsein im 21.Jahrhundert.

    Robert Gober hat immer das Unheimliche von Alltagsgegenständen wahrgenommen: so wie Hofmannsthals Lord Chandos die Worte im Munde zerfielen wie modrige Pilze, so zerfallen die Dinge unter dem Blick des Robert Gober. Sie zerfallen, um sich wieder zusammenzusetzen, als Repliken, als Nachbauten der Wirklichkeit, dieser täuschend ähnlich, aber eben minimal verrückt, von ihr unterschieden, einen kleinen Spalt weit entfernt von der Realität, die dem Betrachter nun fremd und irgendwie beliebig erscheint, so wie ein Angsttraum, in dem die Dinge ihre feste Form verlieren und flüssig werden und uns damit bedrohen, und man möchte gern aufwachen und kann nicht.

    Robert Gober ist also der bessere Magritte: während bei diesem das Surreale gewollt und hergestellt wirkt, kommt es bei Gober wie auf Katzenpfoten herein, minimalistisch bescheiden und konzeptuell. Und es ist dreidimensional präsent: als Skulptur, als Installation an der Wand, als gebautes Ambiente, als nicht nur architektonischer Innenraum, und das ist in seiner Doppelbedeutung wörtlich zu nehmen.

    Zum ersten Mal bekommt Robert Gober eine große Retrospektive, die die Arbeiten des heute 53jährigen seit Mitte der 1970iger Jahre resümiert. Leit-Metapher der Ausstellung ist das Wasser: gleich zu Beginn schaut man durch eine (sic!) nur einen Spalt breit geöffnete Tür in ein Badezimmer, um dort den Eindruck eines Unterkörpers, der Beine eines Mannes zu erhaschen. Der sitzt Zeitung lesend in der Badewanne, lautstark läuft das Wasser und wird gleich überlaufen, aber im Sinne einer Rainer-Escher-artigen Anfangs- und End-Losigkeit sind Wasser-Zufuhr und -Abfluss natürlich als Kreislauf geregelt und währen scheinbar ewiglich. Seitenverkehrt sieht man dasselbe Arrangement dann mit einem Frauen-Torso. Dieses Zyklische wird auch in allen anderen Wasser-Installationen auftauchen, bei der großen Treppe, auf der Wasser in einen Gulli herabrinnt und vor der - in einem sakralen Arrangement - eine von einem Abflussrohr durchbohrte Madonna steht, seitlich flankiert von geöffneten Reisekoffern; und darunter rauscht das Wasser in unterirdischen Brunnen.

    Robert Gober hat in den siebziger Jahren mit Bleistiftzeichnungen von Sonnenbrillen, Reiseweckern, Geschirrspülmitteln und anderen wichtigen Sachen angefangen - und hat sich dann konsequent vorgearbeitet bis zur ins Museum hineingebauten Raum-Installation, deren Wände aus Waldprospekten bestehen....in denen wiederum Waschbecken montiert sind und an denen Rattengift steht und stapelweise alte Zeitungen, als Reflex der Mediengesellschaft. Türen winden sich um Zimmerecken, Männer-Rümpfe werden mit Noten, Löchern oder Kerzen versehen, Kinderlaufställe sind zu absurden Mustern gestaucht, im Kamin glimmen Kinderbeine wie Holzscheite: das häusliche, das hässliche Leben. Das Modell eines Landhauses ist nur hüfthoch, während eine Packung Mehl als zwei Meter hoher Bauklotz daherkommt. Dieses Spiel mit den Dimensionen und der Destruktion der Zeichen erreicht seinen Höhepunkt mit einem Bienenwachs-Torso, der aus der Form eines Kissens heraus entwickelt ist, demselben Oberkörper aber eine weibliche und eine männliche Brust andichtet. Eine ganz neue Geschlechterverwirrung.

    In einem Kabinettraum legt Gober offen, an wem sich sein Blick schulte: an Degas, Delacroix, Lucio Fontana, zum Beispiel. Besucher der "ART Basel" sollten sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen: sie ist eine Tür in eine andere Welt.