Doch zunächst lehrt die Geschichte, dass Utopien vornehmlich Albträume geboren haben. Nationalsozialismus und Sozialismus formten die Wirklichkeit nach ihrem Bilde und vergewaltigten sie darüber, brachten im Namen einer besseren Zukunft millionenfachen Tod. Und darum, so Jörn Rüsen, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, ist es immer heikel, von Utopien zu sprechen. Denn die Vergangenheit hat eines sehr nachdrücklich nachdrücklich gelehrt, nämlich
dass Utopien kein Wirklichkeitsverlust sein sollen, sondern Möglichkeitsgewinn. Ein Möglichkeitsgewinn, der aber umstandslos das Mögliche glaubt verwirklichen zu können - und da genau liegt die Grenze -, der ist verheerend.
Aber wird jeder kühne Traum zwangsläufig zum Albtraum? Die Postmoderne hat es so gesehen und darum das Ende aller Utopien als letzten Schluss der Weisheit gefeiert. Wer keine großen Vorstellungen hat, kann sie anderen auch nicht aufzwingen. Doch auch Nüchternheit hat ihren Preis, und in der postmodernen Variante lag er in einer Anerkennung des Faktischen, die sich zunehmend in lähmenden Kleinmut verwandelte. Ungeheuer scheint derzeit der Druck der Sachzwänge, und entsprechend bescheiden gibt sich die Politik. An Morgen und Übermorgen wagt sie kaum zu denken, die großen Visionen überlässt sie der Kultur. Sie pflegt nüchternen Pragmatismus, für den der Berliner Soziologe Claus Offe durchaus Verständnis aufbringt. Denn was wäre auch eine utopisch angereicherte Politik? Im Alltag jedenfalls wird sie sich so leicht nicht verwirklichen lassen:
Das ist harte, realistische, sachliche Arbeit - das Bohren dicker Bretter wird da angesprochen - und zugleich Leidenschaft, Augenmaß und Leidenschaft, Sachlichkeit und das Eintreten für eine Idee, nicht wahr. Diese beiden, und ich denke, man kann beobachten, dass diese beiden Dinge nicht zusammenkommen heute. Sondern dass eine soziale Arbeitsteilung stattfindet zwischen den Machthabern und den im günstigsten Fall Einflusshabern.
Und doch: recht voran kommt auch der Pragmatismus nicht mehr. Angesichts kaum zu schließender finanzieller Engpässe wagt die Politik an morgen und übermorgen kaum zu denken. "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen": Dieser trocken formulierte Pragmatismus hat zwar einiges für sich. Neue Energien wird er indes kaum entfalten. Eben darum, so Rüsen, ist die Zeit für Utopien reif, darf man auch den Konjunktiv, die Spekulation auf bloß Mögliches, wieder stark machen. Denn nur er, so Rüsen, entfalte den Schwung, den es zur Überwindung der Sachzwang eben auch braucht.
Es macht schon einen Unterschied, ob sie unter bestimmten Bedingungen handeln, in einem sehr engen Horizont, in dem dann letztlich nur die sogenannt Realität den Horizont bestimmt, oder ob sie diese Realität in einem Sinnhorizont wahrnehmen und deuten, in dem eben auch unerschlossene, unerhörte, andere Möglichkeiten ebenfalls eine Rolle spielen.
Aber helfen Utopien wirklich weiter? Nur dann, wenn sie sich bescheiden geben, sich strikt an das Machbare halten, sich selbst disziplinieren. Gehen sie darüber hinaus, so der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma, führen sie nicht weiter, enden wenn nicht in der Katastrophe, dann zumindest als politische Blindläufer. Von Utopien möchte er darum im Grunde nicht viel wissen.
Jedenfalls dann nicht, wenn man unter Utopie das versteht, was die klassischen Verteidiger utopischen Denkens - nennen wir Adorno, nennen wir Bloch - formuliert haben, dass das also etwas ist, was jenseits des Verwirklichbaren steht und was eigentlich von Versuchen der Verwirklichung nur desavouiert werden kann. Dass diese Art utopischen Denkens heute keine Fürsprecher mehr hat, halte ich für einen großen Vorteil.
Man möchte Reemtsma recht geben. Die Vorschläge für konkrete Utopien kamen in Hagen merkwürdig flach daher: So warnte man vor den katastrophalen Folgen der entfesselten Märkte, der neuen Außenpolitik der Bush-Regierung, dem Schwinden kultureller Unterschiede in globalisierten Zeiten. Derartige Plattitüden vermochten noch den letzten utopischen Schwung zu vertreiben. Der Beitrag der Kulturwissenschaft zur Entfaltung utopischen Potentials, so das wohl wichtigste Fazit dieses Kongresses, steht weiter aus. Und die platten Vorschläge zur Konkretisation lehrten ein weiteres: Am besten, man vergisst das Thema.
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268.html
dass Utopien kein Wirklichkeitsverlust sein sollen, sondern Möglichkeitsgewinn. Ein Möglichkeitsgewinn, der aber umstandslos das Mögliche glaubt verwirklichen zu können - und da genau liegt die Grenze -, der ist verheerend.
Aber wird jeder kühne Traum zwangsläufig zum Albtraum? Die Postmoderne hat es so gesehen und darum das Ende aller Utopien als letzten Schluss der Weisheit gefeiert. Wer keine großen Vorstellungen hat, kann sie anderen auch nicht aufzwingen. Doch auch Nüchternheit hat ihren Preis, und in der postmodernen Variante lag er in einer Anerkennung des Faktischen, die sich zunehmend in lähmenden Kleinmut verwandelte. Ungeheuer scheint derzeit der Druck der Sachzwänge, und entsprechend bescheiden gibt sich die Politik. An Morgen und Übermorgen wagt sie kaum zu denken, die großen Visionen überlässt sie der Kultur. Sie pflegt nüchternen Pragmatismus, für den der Berliner Soziologe Claus Offe durchaus Verständnis aufbringt. Denn was wäre auch eine utopisch angereicherte Politik? Im Alltag jedenfalls wird sie sich so leicht nicht verwirklichen lassen:
Das ist harte, realistische, sachliche Arbeit - das Bohren dicker Bretter wird da angesprochen - und zugleich Leidenschaft, Augenmaß und Leidenschaft, Sachlichkeit und das Eintreten für eine Idee, nicht wahr. Diese beiden, und ich denke, man kann beobachten, dass diese beiden Dinge nicht zusammenkommen heute. Sondern dass eine soziale Arbeitsteilung stattfindet zwischen den Machthabern und den im günstigsten Fall Einflusshabern.
Und doch: recht voran kommt auch der Pragmatismus nicht mehr. Angesichts kaum zu schließender finanzieller Engpässe wagt die Politik an morgen und übermorgen kaum zu denken. "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen": Dieser trocken formulierte Pragmatismus hat zwar einiges für sich. Neue Energien wird er indes kaum entfalten. Eben darum, so Rüsen, ist die Zeit für Utopien reif, darf man auch den Konjunktiv, die Spekulation auf bloß Mögliches, wieder stark machen. Denn nur er, so Rüsen, entfalte den Schwung, den es zur Überwindung der Sachzwang eben auch braucht.
Es macht schon einen Unterschied, ob sie unter bestimmten Bedingungen handeln, in einem sehr engen Horizont, in dem dann letztlich nur die sogenannt Realität den Horizont bestimmt, oder ob sie diese Realität in einem Sinnhorizont wahrnehmen und deuten, in dem eben auch unerschlossene, unerhörte, andere Möglichkeiten ebenfalls eine Rolle spielen.
Aber helfen Utopien wirklich weiter? Nur dann, wenn sie sich bescheiden geben, sich strikt an das Machbare halten, sich selbst disziplinieren. Gehen sie darüber hinaus, so der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma, führen sie nicht weiter, enden wenn nicht in der Katastrophe, dann zumindest als politische Blindläufer. Von Utopien möchte er darum im Grunde nicht viel wissen.
Jedenfalls dann nicht, wenn man unter Utopie das versteht, was die klassischen Verteidiger utopischen Denkens - nennen wir Adorno, nennen wir Bloch - formuliert haben, dass das also etwas ist, was jenseits des Verwirklichbaren steht und was eigentlich von Versuchen der Verwirklichung nur desavouiert werden kann. Dass diese Art utopischen Denkens heute keine Fürsprecher mehr hat, halte ich für einen großen Vorteil.
Man möchte Reemtsma recht geben. Die Vorschläge für konkrete Utopien kamen in Hagen merkwürdig flach daher: So warnte man vor den katastrophalen Folgen der entfesselten Märkte, der neuen Außenpolitik der Bush-Regierung, dem Schwinden kultureller Unterschiede in globalisierten Zeiten. Derartige Plattitüden vermochten noch den letzten utopischen Schwung zu vertreiben. Der Beitrag der Kulturwissenschaft zur Entfaltung utopischen Potentials, so das wohl wichtigste Fazit dieses Kongresses, steht weiter aus. Und die platten Vorschläge zur Konkretisation lehrten ein weiteres: Am besten, man vergisst das Thema.
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