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Die Unzufriedenheit wächst

Der Iran leidet zunehmend unter den internationalen Wirtschaftssanktionen. Die iranische Währung hat beträchtlich an Wert verloren. Die Einnahmen aus Devisen sind zurückgegangen. Die Inflation steigt. Vor allem für die einfachen Bürger spitzt sich die Lage zu.

Von Reinhard Baumgarten | 24.11.2012
    Am Anfang herrschte im offiziellen Teheran die Annahme, die westlichen Staaten meinten es nicht wirklich ernst mit den angekündigten Sanktionen und dem Öl-Embargo. Sollten die Maßnahmen wirklich in Kraft gesetzt werden, werde das die Islamische Republik wenig anfechten.

    "Der Iran, davon war Präsident Mahmud Ahmadinedschad überzeugt, müsse sich wegen des EU-Ölembargos und der Wirtschaftssanktionen keine Sorgen machen. Wir haben genug Währungsreserven, um damit zwei, drei Jahre lang das Land bestens verwalten zu können. Wir müssen nicht ein einziges Fass Öl verkaufen. Die Wünsche unserer Feinde werden nicht in Erfüllung gehen."

    Es ist nicht ganz klar, worin die Wünsche dieser Feinde wirklich bestehen. Offiziell geht es Washington und seinen Verbündeten um die mutmaßliche Gefährlichkeit des iranischen Atomprogramms und ein Einlenken Teherans.

    "Alles friedlich, alles zivil, beteuert Irans starker Mann, Ayatollah Ali Khamenei, immer wieder. Der Westen wisse das ganz genau. Wir wollen keine Atomwaffe. Wir haben sie weder bis jetzt produziert noch werden wir es tun. Das wissen sie sehr wohl. Das ist aber nur eine Ausrede. Einmal wird das als Vorwand benutzt und ein anderes Mal nehmen sie die Menschenrechte als Vorwand."

    Entgegen den Erwartungen von Präsident Ahmadinedschad zeigen die Sanktionen Wirkung. Zum Beispiel bei den Preisen, sagt Mohammed Reza, der eine Apotheke im Westen Teherans betreibt.

    "Bei bestimmten Produkten wie Babynahrung wissen wir, dass sie bis gestern zwischen 80 und 100.000 Rial gekostet haben. Heute werden sie für bis zu 400.000 Rial auf dem Markt gehandelt."

    Preise für Grundnahrungsmittel und Gebrauchsgüter haben sich vervielfacht. Die Inflationsrate liegt offiziell bei 25 Prozent. Inoffiziell wohl deutlich höher. Die Arbeitslosigkeit steigt. Zum Beispiel in der Autoindustrie. Sie gehört zu den innovativsten Branchen der iranischen Wirtschaft. Der Produktionsrückgang soll iranischen Medien zufolge bei 60 Prozent liegen. Peugeot Frankreich beispielsweise hat aufgrund der Sanktionen die Zusammenarbeit mit seinen iranischen Lizenznehmern sowie die Lieferung von Autoteilen eingestellt.

    Der Wirtschaftsstudent Nader will den Druck auf die Bevölkerung nicht negativ beurteilen, denn er sei langfristig sogar vorteilhaft. Die Menschen stehen unter Druck und sind vielleicht unzufrieden. Aber aus meiner Sicht als Wirtschaftsstudent, langfristig gesehen, ist das ein Segen für unser Land.

    Denn, so Nader, die iranische Wirtschaft werde zur Innovation gezwungen. Sie müsse sich selbst helfen. Sie hat das in den vergangenen Jahrzehnten auch erstaunlich gut geschafft. Die Islamische Republik schlägt sich seit ihrer Gründung mit Wirtschaftssanktionen herum. Doch nie waren diese so gründlich wie heute.

    Das hat inzwischen auch Präsident Ahmadinedschad erkannt, der die Sanktionen als einen Krieg gegen sein Land auf vielen Ebenen bezeichnet.

    Die iranische Währung hat seit Inkrafttreten des EU-Ölembargos sowie der Sanktionen gegen die iranische Finanzwirtschaft rund zwei Drittel an Wert verloren. Die Ölexporte sind auf rund 1,2 Millionen Fass am Tag um die Hälfte gesunken. Einnahmen aus dem Ölverkauf sind mit weitem Abstand der wichtigste Devisenbringer des Landes. Der Präsident des Landes sollte das wissen, dennoch sagte er unlängst:

    "Jeder weiß, dass der Außenhandel in der iranischen Wirtschaft keine große Rolle spielt. Aber hier wird es zur psychologischen Kriegsführung eingesetzt, und das beeinflusst ganz erheblich die Märkte."

    Es beeinflusst vor allem ganz erheblich das Leben der 75 Millionen Iraner. Der iranischen Führung bleibt das nicht verborgen.

    Wir haben kein grundsätzliches Problem, sagte kürzlich Staatschef Ali Khamenei. Dann räumte er ein: Es gebe schon einige Probleme, sogar landesweite Probleme. Er nannte Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit als Hauptsorgen der Bevölkerung.

    Die Unzufriedenheit wächst. Im Parlament haben kürzlich 77 Abgeordnete den Präsidenten schriftlich aufgefordert, Fehler und Versäumnisse seiner Wirtschaftspolitik zu erklären. An die Adresse von Wirtschaftsminister Hosseini sagte der Abgeordnete Elias Naderan:

    "Herr Hosseini, sie dürfen nicht immer die Sanktionen als Ursache nennen. Sie können nicht immer den Feind dafür verantwortlich machen. Missmanagement hat den Devisenmarkt in diese desolate Situation geführt. Die Regierung ist für diese Lage verantwortlich. Wir dürfen nicht reden und wir leiden darunter. "

    Missmanagement der Regierung, so lautete der Vorwurf. Staatschef Khamenei hat die renitenten Mandatsträger vor wenigen Tagen davon überzeugt, auf die Befragung des Präsidenten zu verzichten.

    Doch die Vorwürfe stehen weiterhin im Raum und werden zumindest hinter vorgehaltener Hand heftig diskutiert, meint Davud Bavand von der Uni Teheran.

    "Misswirtschaft ist der Hauptgrund. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich sehe darin noch vor den Sanktionen den Hauptgrund."

    Es tun sich Lücken in der Versorgung auf, stellt der Apotheker Mohammed Reza nüchtern fest, mit denen so niemand gerechnet hätte.

    "Für drei, vier Monate hatte ich die Aufgabe, die Lagerbestände zu kontrollieren, damit im Fall von Sanktionen Engpässe bei Medikamenten vermieden werden. Aber das Problem scheint woanders zu liegen. Ich glaube, die Behörde hat es nicht geschafft, eine zuverlässige Einschätzung über den Marktbedarf zu erstellen. Daher sind die Sanktionen vielleicht nur zu 30 oder 40 Prozent an dem jetzigen Zustand schuld."

    Die Lage sei noch nicht dramatisch, meint Apotheker Mohammed Reza, doch sie verschärfe sich. Chronisch Kranke wie Dialyse- oder Krebspatienten seien besonders betroffen.

    Mit den Sanktionen, erklärt Staatschef Ali Khamenei seinem Volk, beabsichtigte der Feind nichts anderes, als die iranische Wirtschaft zu schwächen und den rasanten Fortschritt des Landes zu stoppen. Die Sanktionen hätten aber ihre erhoffte Wirkung verfehlt.

    Seit fünf Monaten sind die neuen Sanktionen und das EU-Ölembargo jetzt in Kraft. Ihre volle Wirkung haben sie noch nicht entfaltet. Und ein Ende ist nicht abzusehen.