Heuer: George Bush will ja ganz offensichtlich die Rückendeckung durch die Vereinten Nationen. Er lässt aber gleichzeitig durchblicken, dass er auch ohne sie angreifen will. Ist der Sicherheitsrat für den US-Präsidenten eine zu vernachlässigende Größe?
Rudolf: Sicher nicht ganz, und zwar aus drei Gründen: Er braucht die internationale Legitimation auch aus innenpolitischen Gründen, weil dann die Zustimmung der amerikanischen Öffentlichkeit größer wird. Zumindest auch dann, wenn etwas schief gehen sollte und dann die Zustimmung nicht so schnell winken wird. Er braucht die Unterstützung der Vereinten Nationen auch aus Rücksicht auf Großbritannien - dort ist Premierminister Blair in einer schwierigen Situation -, und er braucht die internationale Legitimation langfristig auch, weil es um die Umgestaltung des Irak geht. Das können die USA alleine nicht erreichen. Das ist zu kostspielig. Auch militärisch. Ich denke, die Vereinten Nationen sind keine zu vernachlässigende Größe, auch wenn Präsident Bush mal wieder gesagt hat, notfalls werde er auch ohne ausdrückliches Mandat zuschlagen, wobei die USA natürlich sagen, sie haben schon genügend Legitimation durch bestehende Resolutionen.
Heuer: Nach dem 11. September hat George Bush sehr rasch von der Achse des Bösen gesprochen. Von dieser Achse wären selbst nach einem Sieg gegen Saddam noch zwei Staaten übrig: Iran und Nordkorea. Wer wäre denn als nächstes dran?
Rudolf: Das ist schwer zu sagen. Beide sind natürlich aus amerikanischer Sicht problematische Fälle. In Nordkorea mag es sich bald zuspitzen. Da ist die Diskussion von militärischen Optionen im Gange. Da ist kein Gesprächsfaden zwischen USA und Nordkorea. Da müsste die Bush-Administration eine weitaus aktivere Politik betreiben. Diese wird auch eingefordert. Das ist ein Thema, das in der amerikanischen Innenpolitik, von den Demokraten aufgegriffen wird. Sie fordern eine aktivere Politik gegen Nordkorea. Da muss Dialog geführt werden, da müssen Anreize gegeben werden. Aber sicherlich dürfte der Iran in Zukunft ein problematischer Fall sein. Wenn es stimmt, dass der Iran jetzt verstärkt an Nuklearanlagen arbeitet und sich vielleicht tatsächlich in einer kürzeren Frist Nuklearwaffen erwerben möchte, dann wird in den USA die Diskussion losgehen werden, ob nicht der Iran auch eine große Bedrohung ist. Manche - gerade die Neokonservativen - sagen es ja bereits jetzt: Der Iran ist eine große Bedrohung, und wenn sich die Situation im Nahen Osten nach einem Irak-Krieg verändert hat, dann könnte es durchaus dazu kommen, dass die USA eine stärkere Drohpolitik oder einen stärkeren Druck auf Iran ausüben werden.
Heuer: Müssen wir denn, Herr Rudolf, damit rechnen, dass sich die USA im Laufe der kommenden Jahre immer wieder solche Staaten herauspicken, die sie als eine Bedrohung empfinden und notfalls diese Staaten militärisch angreifen? Geht das immer so weiter?
Rudolf: Ich vermute nicht. Zum einen ist die Liste jener Staaten, die als Terror- oder Schurkenstaaten bezeichnet werden, wo die angebliche oder tatsächliche Verbindung zwischen Förderung des Terrorismus, zwischen dem Interesse an Massenvernichtungswaffen, vor allen Dingen Nuklearwaffen besteht, ja nicht so lange. Das sind fünf, sechs Staaten, die immer wieder auf dieser Liste der Terrorstaaten, der Achse des Bösen - der drei Staaten, wie Sie bereits gesagt haben -, aufgetaucht sind. Aber allein aus innenpolitischen Gründen ist es schwierig durchzuhalten, ständig die Öffentlichkeit zu mobilisieren, es sei denn es gibt Terroranschläge, die eindeutig gewissen Staaten als Urheber oder als Unterstützer zugerechnet werden können. Das amerikanische Militär dürfte schon von einer Besetzung des Irak nahezu überfordert sein, wenn denn die Einschätzung mancher Militärs stimmt, dass da eine größer Anzahl von Soldaten längerfristig stationiert werden müssen. Es mag da Fantasien geben, aber die Innenpolitik und auch die militärische Situation, die mangelnde internationale Unterstützung werden eine solche Politik per Intervention langfristig nicht für allzu wahrscheinlich machen. Das vermute ich, aber es könnte sich natürlich alles ändern, wenn die Bedrohung noch größer wird.
Heuer: Herr Rudolf, 1991, beim letzten Golf-Krieg der USA gegen den Irak, hat George Bush senior von einer neuen Weltordnung gesprochen. Glauben Sie, dass George Bush junior auch so etwas im Kopf hat, und wenn ja, wie sehe die aus?
Rudolf: Er hat vermutlich eine neue Weltordnung im Kopf, die aber nicht unbedingt die Weltordnung ist, die sein Vater im Sinne hatte. Damals sollten die Vereinten Nationen eine große Rolle spielen. Die spielten sie ja auch - zumindest im Golfkrieg und bei der Legitimation des Golfkriegs damals. Das war ein Fall von kollektiver Sicherheit. Der ältere Bush gehört einer Richtung innerhalb der republikanischen Partei an, die man als Traditionalisten bezeichnen mag. Er hat eine gewisse Wertschätzung für internationale Institutionen, für internationale Kooperation während der jüngere Bush doch eher der Richtung der Unilateralisten sehr stark zuneigt und von diesen geprägt ist. Da geht es um eine Weltordnung, die ganz eindeutig von den USA geführt ist und in der die USA die vorherrschende Stellung haben, um die Spielregeln internationaler Politik frei von allen Beschränkungen - so muss man es sagen - gestalten zu können.
Heuer: Herr Rudolf, wie könnte denn Europa, die restliche westliche Welt auf diesen Unilateralismus der USA reagieren, um auch noch Einfluss nehmen zu können?
Rudolf: Es gibt da verschiedene Reaktionen. Das eine ist der Versuch, so eine Art Gegenmachtbildung zu betreiben und die USA jetzt in den Vereinten Nationen zu blockieren, klar zu signalisieren: Hier ist eine internationale Legitimation nicht zu erwarten. Es gibt die andere Möglichkeit, dass man zum Teil jedenfalls auf die amerikanische Tagesordnung, auf die neue amerikanische und außenpolitische Tagesordnung eingeht, und die heißt ganz klar: Umgestaltung des Nahen Ostens. Da unterscheidet sich der jüngere Bush ganz deutlich vom älteren. Das mögen Träume sein, aber die Frage der Demokratisierung - nicht mit militärischen Mitteln, aber durch Förderung von Reformen in der arabischen Welt - ist sicherlich das große Thema, und da kann man durch Kooperationsangebote, durch Koordination sicherlich auch Einfluss auf die amerikanische Politik nehmen. Es wird eine Mischung aus Konfrontation, aus Verweigerung und aus Kooperationsangeboten sein, so meine Vermutung. So ist es wahrscheinlich auch sinnvoll.
Heuer: Danke für das Gespräch. Das war Peter Rudolf, der USA-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Link: Irak-Extra
Link: Interview als RealAudio