Archiv


Die Varusschlacht als Abenteuer

Zwei Bücher widmen sich der Varusschlacht, die vor 2000 Jahren stattfand: Das fundierte Sachbuch "Das Rätsel der Varusschlacht" von Wolfgang Korn und der historische Roman "Signum - Die verratenen Adler" von Michael Römling.

Von Karin Hahn |
    "700 Theorien gibt es über den Ort der Varusniederlage, doch keine führt zum Schlachtfeld", hatte 1983 Wilhelm Winkelmann die Lage zusammengefasst. Wollte er damit nicht einfach sagen: Die Suche ist völlig aussichtslos? Doch damit hatte er nicht ganz recht. Eine heiße Spur gab es - nur wollten die Experten diese noch nicht sehen. Es war wie in einem guten Krimi.

    Bevor sich Wolfgang Korn Schritt für Schritt an den wahren Ort des Geschehens herantastet, entwirft er in seinem Sachbuch "Das Rätsel der Varusschlacht" für Leser ab zwölf Jahren ein umfassendes Bild von der antiken Zeit. Seit mehr als zwei Jahrzehnten faszinieren den Autor archäologische Ausgrabungen. Er weiß aber, was heute als Fund aus der Erde geborgen und analysiert wird, kann schon morgen wieder ganz anders eingeordnet werden. Kritisch betrachtet er auch die Quellen der Historiker. Und so eröffnet der Wissenschaftsjournalist seinen leichthändig geschriebenen Forschungsdiskurs provokant mit einem Streit, dem lang anhaltenden Varusstreit zwischen Archäologen und Historikern und der Frage: Wollten die Römer Germanien am Beginn des ersten Jahrtausends wirklich erobern oder nur im Zaum halten?

    Die Historiker haben Texte römischer und griechischer Autoren gefunden, die die Marschroute der Varuslegionen und den Schlachtort erwähnen. Aber die Archäologen haben bis heute keines der Marschlager gefunden, und die muss es gegeben haben.

    Im Jahre neun nach Christus wurden unter Varus' Führung über 20.000 römische Legionäre von den Kriegern des Arminius verlustreich geschlagen. Nach einem späteren Rachefeldzug gaben die Römer ihre Lager in Germania Magna auf. Ihre bisher geschickt vollzogene Taktik, den eroberten Stämmen eine weitgehende Selbstständigkeit zu gewähren und römisches Recht überzustülpen, versagte. Allerdings schauten sich die germanischen Stämme von der hochentwickelten Großmacht so einiges ab - und das beunruhigt in Michael Römlings Roman "Signum" den Herrscher Roms, Augustus:

    Gier. Rastlose Gier. Und diese Gier ist es, die sie leider noch vor der Lebensweise von uns übernehmen werden. Du glaubst, dass diese Barbaren, die nicht lesen können und das Brackwasser trinken, nicht zu derselben Gier imstande sind wie Senatoren und Großgrundbesitzer. [...] Ich sage dir: Die Gier wird sie einen, wenn auch nur für kurze Zeit.

    Die jenseits des Rheins lebenden Wandervölker sollen mithilfe der 17., 18. und 19. Legion schneller unterworfen werden, so der Ausgangspunkt im historischen Roman. Mag sein, dass der altersweise Augustus hier schon das Unheil vorausahnte. Es bleibt Fiktion. Wolfgang Korn misstraut gattungsbedingt jeglicher Legendenbildung. Detailversessen sucht er nach den genauen Motiven, die die römischen Herrscher zum Expandieren bewegten.

    Wir können auch mit dem Moment anfangen, als Varus aus seinem Sommerlager aufbrach. Doch eigentlich müssen wir die Vorgeschichte erzählen: Wie und wann kamen die Römer nach Nordeuropa? Oder noch besser: Wir können auch 500 vor Christus anfangen, als Rom sich anschickte, über seine Stadtgrenzen hinauszuwachsen. "Warum fangen wir dann nicht gleich mit der Eiszeit an?", ruft da ein Spötter aus dem Hintergrund. Spott hin oder her - der Vorschlag ist gar nicht so falsch. Denn Wetter und Klimawandel spielen auch eine wichtige Rolle bei unserer Spurensuche.

    Funktioniert die Wissensvermittlung im historischen Jugendroman oftmals über das Frage und Antwort - Spiel der Figuren und entwickelt sich so nachvollziehbar die Handlung, so stoppt Wolfgang Korn immer wieder mit einem konsequenten "Moment mal" den Gedankenfluss, um historische Überlieferungen kritisch infrage zu stellen. Aber ihm fehlt es auch nicht an Lakonie, die durch die akribischen Zeichnungen von Klaus Ensikat noch unterstrichen wird, wenn es um Parallelen zur Gegenwart geht.

    Die keltischen Männer waren die Ersten, die selbstverständlich Hosen trugen, ein Schock für jeden kultivierten Römer.

    Nebenbei liefert Wolfgang Korn auch gleich eine Einführung in die Grundregeln der Archäologie, ganz speziell die experimentelle Archäologie. Der Autor setzt ein Puzzleteil ans andere und kann doch kein vollständiges Bild liefern. Ganz anders im historischen Roman. Hier hat Michael Römling freie Hand, passt allerdings als promovierter Historiker seine fiktiven Figuren in den überlieferten Zeitrahmen ein. Als roter Faden zieht sich ein militärisches Geheimnis durch die Handlung, das der germanische Statthalter Varus in einem Kasten seit 15 Jahren hütet. Am Ende wird es vom jungen Römer Caius, der Hauptfigur, gelöst. Allerdings verliert sich der Autor in seinem Debütroman von Anfang an in minutiösen Beschreibungen, wobei die Schilderungen des antiken Milieus nicht immer in der Handlung aufgehen.

    Das eigentlich Beeindruckende an diesem Zimmer aber war die Ausmalung: Die Wände waren in kräftigen Farben gehalten und wurden durch aufgemalte Säulen und Architrave strukturiert. Auf abwechselnd schwarzem, rotem und gelbem Hintergrund waren Bildfelder aufgetragen, deren Dekoration mit einer Sorgfalt ausgeführt war, wie sie Caius noch nie gesehen hatte. Schwäne, Greifen, Reiher und verspielte Blütenornamente wechselten sich ab und gingen elegant ineinander über.

    Kann Michael Römling bei aller Begeisterung auch für die meisterhaft organisierte, römische Armee, jede Statue, jeden Palast in Rom ellenlang beschreiben, so verfliegt seine Freude am Detail, je weiter seine Protagonisten nach Norden gelangen. Endlich bestimmen Tempo und Interaktion zwischen den historisch verbürgten und fiktiven Figuren den Handlungsverlauf. Ein Mord geschieht, ein geheimnisvolles Papier wird gestohlen und Verrat, Gewalt und Intrigen lauern auf germanischer wie römischer Seite.

    Um von beiden berichten zu können, konstruiert der Autor eine Liebesgeschichte zwischen dem 15-jährigen, römischen Caius, Sohn eines Senators, und dem cheruskischen Mädchen Fastrada. Beide reden und handeln auffallend modern und bleiben, wie auch die anderen widersprüchlich konzipierten Charaktere, blass. Fastrada spioniert als Cousine von Arminius vor den Toren des römischen Sommerlagers. Caius begegnet ihr dort zum ersten Mal, denn er ist von Rom aus im Auftrag des Kaisers nach Germanien gereist. Über den Zwiespalt der Kulturen berichtet Wolfgang Korn differenziert und äußerst anschaulich. Auch Michael Römling inszeniert diesen Gegensatz plastisch und atmosphärisch dicht. Als Augenzeuge beobachtet Caius das Alltagsleben der Soldaten. Die Zerrissenheit der germanischen Führer registriert Fastrada.

    Sie saßen auf römischen Klappstühlen mit Messingbeschlägen. Alles an ihrem Tisch war kostbar und passte nicht zu den rüpelhaften Sitten, die nach einigen Bechern Wein auch die Gastgeber nicht mehr zu stören schienen. Sie wollen sein, wie die feinen Römer, dachte Fastrada. Benehmen sich feine Römer auch so?

    Bei der Frage, wo und wie die Varusschlacht geschlagen wurde, hält sich Michael Römling bedeckt. Caius und Fastrada geraten mitten in die Kämpfe, verlassen diese aber zügig, um den geheimnisvollen Kasten des in Lebensgefahr geratenen Varus sicher nach Rom zu bringen. Für Wolfgang Korn beginnt nach der Varusschlacht nun die spannende und zeitaufreibende Spurensuche nach dem Tatort, dem Schlachtfeld.

    Sachbuch oder historischer Roman - beide Gattungen bedienen auf sehr unterschiedliche Weise Erwartungen. Michael Römling, und das ist beim historischen Roman nicht selbstverständlich, hat ein ausführliches Glossar verfasst und er stellt in einem Nachwort klar, was im Roman Fakt und was Fiktion ist. Für den Leser öffnet er zwar ein Zeitfenster, aber es fehlen der mitreißende Erzählstrom und die unerwarteten, aufregenden Wendungen, die für einen Jugendroman der sehr gezielt auf Spannung bereits im Prolog angelegt ist, unbedingt notwendig sind. Wolfgang Korns Sachbuch dagegen ist ein anregender Einstieg für alle, die sich mit Germanen, Römern und ihrer Geschichte beschäftigen möchten. Es überzeugt durch die unkomplizierte Aufbereitung des historischen Stoffes und durch die wahrhafte Begeisterung des Autors für die Archäologie.

    Wolfgang Korn, Klaus Ensikat: Das Rätsel der Varusschlacht
    Fackelträger Verlag, Köln 2008, 190 Seiten, 19,95 Euro

    Michael Römling: Signum. Die verratenen Adler
    Coppenrath Verlag, Münster 2009, 427 Seiten, 16,95 Euro