Auch im Leben der Menschen, dem diese Straße allegorisch gleicht, gibt es solche Stellen, an denen sie von einem Windstoß erfaßt werden oder auf Schotter geraten und von der Fahrbahn abkommen. Wir können, will Margriet de Moor damit sagen, noch so viele Lebensversicherungen abschließen, uns noch so still verhalten, gegen die Naturgewalt des Schicksals sind wir ungeschützt. Denn wenn sein Vulkan ausbricht, kann sich sein Lavastrorn noch über das harmloseste Leben ergießen und es unter sich begraben. Und das Leben von Vincent, dem in einer kleinen holländischen Stadt lebenden Tierarzt, ist denkbar harmlos und dabei rundum zufrieden. Er fährt eine Praxis und arbeitet nebenbei in der Klinik einer größeren Stadt, er hat ein schönes Haus und er ist auf wunsch- und konfliktlose Weise mit Noor verheiratet, einer Frau, die in der Mitte des Lebens nicht aufgehört, schön und begehrenswert zu sein. Das einzige, was sich gegen Noor vorbringen ließe, ist die etwas schale Gleichmäßigkeit, in der sich vor ihrem inneren Auge der weitere gemeinsame Lebensweg abzeichnet. Aber das ist bei den meisten Menschen so, die das Glück haben, daß es ihnen gut geht und deren Leben absolut keinen Grund bietet, sich eine Veränderung zu wünschen. Alles im Dasein von Vincent und Noor ist an seinem Platz, ist komfortabel und gut ausgestattet, mit Gegenständen und Ritualen, Freunden und Plänen.
Die niederländische Schriftstellerin Margriet de Moor verwendet einen etwas konventionellen Einfall, als es dramaturgisch darum geht, Vincent von seiner schönen, geraden Lebensfahrbahn abzubringen. Der Roman läßt ihn eines Nachts, als Noor schon schläft, absichtslos auf die Straße gehen. Manche Männer sollen von solchen Eskapaden vor die Haustür beim Zigarettenholen gestrauchelt und nie mehr zurückgekehrt sein. Vincent kehrt zurück, aber er hat einen Gegenstand dabei, den er im Regen auf der Straße gefunden und der ab nun den Safe darstellt, in dem der Geheimtext seiner Schicksalserzählung aufbewahrt ist. Es handelt sich um das Notiz- und Adressbuch einer Frau. Vincent blättert darin und stößt in dem Büchlein auf seinen eigenen Namen, denn offensichtlich hat die Unbekannte in Kürze einen Termin in seiner Tierarztpraxis. Süchtig blättert Vincent immer weiter und immer wieder in den zufällig gefundenen, anonymen Notizen und Stichworten, er blättert sich das Leben dieser Frau auf, in die er sich nun, ohne sie zu kennen, jäh verliebt. Tage und Nächte werden überwältigt von den Gedanken an sie und von der fiebrigen Erwartung der persönlichen Begegnung in seiner Praxis.
Eines Tages ist es so weit. Die Unbekannte kommt, sie sprechen miteinander, er gibt ihr das Adressbuch zurück, berichtet von dem Zufall, der es in die Hände spielte. Dieser Zufall wird zum erotischen Magneten zwischen den beiden Fremden. Vincent und die Frau werden Geliebte und sie bleiben es, bis Vincent sich ohne ersichtlichen Grund, aber von einem sicheren Instinkt getrieben ins Auto setzt, losfährt und auf der Straße, die jedes Boulevardblatt als "Schicksalstraße" bezeichnen würde, verunglückt. Margriet de Moor hat aus dem Roman ein erzählerisches Experiment gemacht, in dem sie gleich mehrere Proben anstellt. Erstens will sie erproben, wie nahe ein moderner Roman der Trivialität kommen kann, ohne sich dabei zu verbrennen, denn das Motivdreieck Schicksal/Leidenscahft/Tod ist natürlich nicht ganz untrivial. Zweitens untersucht Margriet de Moor, wie eine Erzählung ohne fest installierten Erzählerstandpunkt funktioniert. Es kommen nämlich in diesem Buch Dinge mit inneren Monologen zu Wort, deren Rolle es normalerweise ist, zu schweigen und beschrieben zu werden - das Wetter hat eine Stimme und die allegorische Straße selbstverständlich auch. Abgesehen davon gibt es einen anonymen Erzähler, der sich immer mal wieder - oft mit rhetorischen Fragen - über den Text hinweg direkt an den Leser zu wenden scheint und ihn zum gedanklichen Komplizen des Romans macht.
Und drittens stellt sich Margriet de Moor in der "Verabredung" die Frage, wieviel erzählerische Leichtigkeit und Unbeschwertheit in Ton und Habitus eine Geschichte verträgt, auf der doch die Last von Schicksal und Tragödie lastet. Margriet de Moor erzählt aber mit Absicht gegen diese Last an, "Die Verabredung" ist ein vollkommen dahinplaudernder Roman; intelligent und methodisch geplaudert, aber eben geplaudert.
Das schmälert automatisch sein spezifisches Gewicht und reduziert die philosophische Frage nach der Macht des Schicksal in Zeiten der subjektiven Lebenssteuerung, die in dem Roman steckt, rhetrorisch zum Nullachtfünfzehn-Partythema. Vielleicht wollte Margriet de Moor einfach einmal wissen, in welcher Dosis man einem Roman Harmlosigkeit verabreichen kann, ohne daß er daran zugrunde geht und was dabei herauskommt. Das ist jetzt klar: ein eher hübscher als großer, ein eher unterhaltsamer, als wirklich interessanter Roman, der dennoch sehr klug wirkt, der keineswegs untergegangen ist, aber einen auch nicht umhaut.
Die niederländische Schriftstellerin Margriet de Moor verwendet einen etwas konventionellen Einfall, als es dramaturgisch darum geht, Vincent von seiner schönen, geraden Lebensfahrbahn abzubringen. Der Roman läßt ihn eines Nachts, als Noor schon schläft, absichtslos auf die Straße gehen. Manche Männer sollen von solchen Eskapaden vor die Haustür beim Zigarettenholen gestrauchelt und nie mehr zurückgekehrt sein. Vincent kehrt zurück, aber er hat einen Gegenstand dabei, den er im Regen auf der Straße gefunden und der ab nun den Safe darstellt, in dem der Geheimtext seiner Schicksalserzählung aufbewahrt ist. Es handelt sich um das Notiz- und Adressbuch einer Frau. Vincent blättert darin und stößt in dem Büchlein auf seinen eigenen Namen, denn offensichtlich hat die Unbekannte in Kürze einen Termin in seiner Tierarztpraxis. Süchtig blättert Vincent immer weiter und immer wieder in den zufällig gefundenen, anonymen Notizen und Stichworten, er blättert sich das Leben dieser Frau auf, in die er sich nun, ohne sie zu kennen, jäh verliebt. Tage und Nächte werden überwältigt von den Gedanken an sie und von der fiebrigen Erwartung der persönlichen Begegnung in seiner Praxis.
Eines Tages ist es so weit. Die Unbekannte kommt, sie sprechen miteinander, er gibt ihr das Adressbuch zurück, berichtet von dem Zufall, der es in die Hände spielte. Dieser Zufall wird zum erotischen Magneten zwischen den beiden Fremden. Vincent und die Frau werden Geliebte und sie bleiben es, bis Vincent sich ohne ersichtlichen Grund, aber von einem sicheren Instinkt getrieben ins Auto setzt, losfährt und auf der Straße, die jedes Boulevardblatt als "Schicksalstraße" bezeichnen würde, verunglückt. Margriet de Moor hat aus dem Roman ein erzählerisches Experiment gemacht, in dem sie gleich mehrere Proben anstellt. Erstens will sie erproben, wie nahe ein moderner Roman der Trivialität kommen kann, ohne sich dabei zu verbrennen, denn das Motivdreieck Schicksal/Leidenscahft/Tod ist natürlich nicht ganz untrivial. Zweitens untersucht Margriet de Moor, wie eine Erzählung ohne fest installierten Erzählerstandpunkt funktioniert. Es kommen nämlich in diesem Buch Dinge mit inneren Monologen zu Wort, deren Rolle es normalerweise ist, zu schweigen und beschrieben zu werden - das Wetter hat eine Stimme und die allegorische Straße selbstverständlich auch. Abgesehen davon gibt es einen anonymen Erzähler, der sich immer mal wieder - oft mit rhetorischen Fragen - über den Text hinweg direkt an den Leser zu wenden scheint und ihn zum gedanklichen Komplizen des Romans macht.
Und drittens stellt sich Margriet de Moor in der "Verabredung" die Frage, wieviel erzählerische Leichtigkeit und Unbeschwertheit in Ton und Habitus eine Geschichte verträgt, auf der doch die Last von Schicksal und Tragödie lastet. Margriet de Moor erzählt aber mit Absicht gegen diese Last an, "Die Verabredung" ist ein vollkommen dahinplaudernder Roman; intelligent und methodisch geplaudert, aber eben geplaudert.
Das schmälert automatisch sein spezifisches Gewicht und reduziert die philosophische Frage nach der Macht des Schicksal in Zeiten der subjektiven Lebenssteuerung, die in dem Roman steckt, rhetrorisch zum Nullachtfünfzehn-Partythema. Vielleicht wollte Margriet de Moor einfach einmal wissen, in welcher Dosis man einem Roman Harmlosigkeit verabreichen kann, ohne daß er daran zugrunde geht und was dabei herauskommt. Das ist jetzt klar: ein eher hübscher als großer, ein eher unterhaltsamer, als wirklich interessanter Roman, der dennoch sehr klug wirkt, der keineswegs untergegangen ist, aber einen auch nicht umhaut.