Karin Fischer: Soll die Regierung Geiseln freikaufen oder nicht? Das ist eine Frage, die derzeit öffentlich diskutiert wird und die nicht frei von moralisch-ethischen Fallstricken ist. Der Staat trägt Verantwortung für deren Leib und Leben. Müsste also nicht alles getan werden, um eine deutsche Geisel aus den Fängen der Taliban oder afghanischer Provinzrebellen zu befreien? Das würde den Staat nur erpressbar machen, ist das am häufigsten genannte Gegenargument. Frage an Uwe Wesel, Professor emeritus für bürgerliches Recht an der FU Berlin, der sich auch viel mit Rechtsgeschichte beschäftigt hat. Wo liegen denn die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Fürsorgepflicht des Staates und wo liegt das moralische Dilemma?
Uwe Wesel: Also, die Fürsorgepflicht, Frau Fischer, ist umfassend. Er muss alles tun, was er kann, um das Leben seiner Bürger zu retten. Wir haben zwei Beispiele in der Bundesrepublik hier. Geiselnahmen 1975 und 77. 75 war es Peter Lorenz, der Präsident des Abgeordnetenhauses, der von einer Terrororganisation "2. Juni" als Geisel entführt worden ist hier in Berlin. Und dann hat die Regierung Schmidt auf die Forderung der Geiselnehmer mit der Drohung, ihn zu ermorden, nur mehrere Gefangene der Roten Armee Fraktion und des "2. Juni" freigelassen, ausgeflogen in den Jemen, und dann wurde Peter Lorenz auch freigelassen.
Der andere Fall, zwei Jahre später, ist Herr Schleyer, der Präsident des Arbeitgeberverbandes, der von der Roten Armee Fraktion als Geisel genommen wurde und sie forderten auch wieder die Freilassung von Gefangenen. Und da hat die Regierung Schmidt sich unter Berufung auf die Staatsraison anders verhalten und das Leben des Herrn Schleyer geopfert. Ich fand das nicht so besonders gut, aber das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die Regierung ist hier in der Wahl ihrer Mittel ganz frei. Ich bin da nicht so sicher. Meiner Meinung nach hätten sie auch hier die unbedingte Pflicht gehabt, das Leben von Herrn Schleyer zu retten, aber darüber kann man verschiedener Meinung sein.
Fischer: Über das Thema wurde ja auch in der letzten Zeit wieder häufiger diskutiert im Zusammenhang mit 30 Jahre Deutscher Herbst. Waren diese Entführungen der RAF-Terroristen die Urszene für die moralische Bewertung auch solcher heutigen Fälle?
Wesel: Soviel ich weiß, ja. Das waren die ersten Fälle, die wir in der Bundesrepublik hatten und vorher gab es so was, also weder unter Adolf Hitler, noch in der Weimarer Republik nicht.
Fischer: Sie sagen, Sie haben damals diese Entscheidung für kritikwürdig gehalten. Wie würden Sie denn in den Fällen des entführten Deutschen in Afghanistan heute argumentieren?
Wesel: Ja, das ist auch einfach, Frau Fischer. Die Bundesregierung muss alles tun, um das Leben dieses Mannes zu retten und das tut sie ja auch. Und das heißt erst mal verhandeln, Zeit gewinnen. Das Einzige, was sie nicht kann, und das hat man ja damals auch nicht gemacht, ist allgemeine Politik zu ändern. Also sie dürfen nicht sich darauf einlassen, dass jetzt etwa die Bundeswehr Afghanistan verlässt. Also in der allgemeinen Politik dürfen sie nichts ändern. Aber sie können Lösegeld zahlen, sie können darauf hinwirken, dass Herr Karzai Gefangene freilässt, sie können selber Gefangene freilassen, falls das gefordert wird, aber, sie können natürlich auch Geld zahlen und zwar so viel wie irgend möglich, um das Leben dieses Mannes zu retten. Wir sind eben erpressbar in diesem Gebiet leider Gottes. Das ist ja auch viel weiter weg als damals Peter Lorenz hier in Berlin und Herr Schleyer zwischen Köln und Bonn. Also sie müssen alles tun, und sie dürfen auch zahlen, sie dürfen auch viel zahlen, sie dürfen nur nicht darüber reden.
Fischer: Das ist natürlich jetzt auch ein Dilemma. Es gibt ja inzwischen eine relativ deutliche Position der Härte, die auch von Moralphilosophen vertreten wird nach dem Motto: Wir dürfen nicht nur nicht darüber reden, sondern wir dürfen uns auch tatsächlich nicht in dieser Weise erpressbar machen lassen. Eine Entführung hat immer Nachfolgeentführungen nach sich gezogen und wenn wir sozusagen den Wert des Einzelnen gegen den Wert des potenziell nächsten Entführten in Anschlag bringen müssen, dann sieht die Sache schon wieder anders aus. Also es gibt Menschen, die sagen: Wir müssen im Zweifel die Geisel opfern.
Wesel: Ich halte das für falsch. Das ist nun wirklich eher eine politische Frage, eine moralisch-politische Frage. Aber die Bundesregierung ist, das würde auch das Bundesverfassungsgericht sagen, juristisch gesehen verpflichtet, alles zu tun, was sie kann. Bis auf die Änderung der allgemeinen Politik. Das darf sie nicht.
Fischer: Also, um es noch mal konkret zu machen: Der Kollege Rüdiger Bittner, Moralphilosoph an der Universität Bielefeld, hat gesagt, Lösegeld zu zahlen, das sei, wie Feuer mit Benzin zu löschen.
Wesel: Ja, ja. Ich hoffe, dass der Stab im Außenamt darauf nicht hört, und Frau Merkel wird darauf auch nicht hören. Da bin ich ganz sicher. Das ist ein Professor der Moralphilosophie. Es gibt die sogenannte Verantwortungsethik und die Gesinnungsethik. Die Gesinnung darf Herr Bittner gern haben, aber die Verantwortung trägt die Bundesrepublik und damit die Bundesregierung. Und Verantwortungsethik heißt auch, in den sauren Apfel beißen, gegen eine innere Überzeugung von Moral.
Uwe Wesel: Also, die Fürsorgepflicht, Frau Fischer, ist umfassend. Er muss alles tun, was er kann, um das Leben seiner Bürger zu retten. Wir haben zwei Beispiele in der Bundesrepublik hier. Geiselnahmen 1975 und 77. 75 war es Peter Lorenz, der Präsident des Abgeordnetenhauses, der von einer Terrororganisation "2. Juni" als Geisel entführt worden ist hier in Berlin. Und dann hat die Regierung Schmidt auf die Forderung der Geiselnehmer mit der Drohung, ihn zu ermorden, nur mehrere Gefangene der Roten Armee Fraktion und des "2. Juni" freigelassen, ausgeflogen in den Jemen, und dann wurde Peter Lorenz auch freigelassen.
Der andere Fall, zwei Jahre später, ist Herr Schleyer, der Präsident des Arbeitgeberverbandes, der von der Roten Armee Fraktion als Geisel genommen wurde und sie forderten auch wieder die Freilassung von Gefangenen. Und da hat die Regierung Schmidt sich unter Berufung auf die Staatsraison anders verhalten und das Leben des Herrn Schleyer geopfert. Ich fand das nicht so besonders gut, aber das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die Regierung ist hier in der Wahl ihrer Mittel ganz frei. Ich bin da nicht so sicher. Meiner Meinung nach hätten sie auch hier die unbedingte Pflicht gehabt, das Leben von Herrn Schleyer zu retten, aber darüber kann man verschiedener Meinung sein.
Fischer: Über das Thema wurde ja auch in der letzten Zeit wieder häufiger diskutiert im Zusammenhang mit 30 Jahre Deutscher Herbst. Waren diese Entführungen der RAF-Terroristen die Urszene für die moralische Bewertung auch solcher heutigen Fälle?
Wesel: Soviel ich weiß, ja. Das waren die ersten Fälle, die wir in der Bundesrepublik hatten und vorher gab es so was, also weder unter Adolf Hitler, noch in der Weimarer Republik nicht.
Fischer: Sie sagen, Sie haben damals diese Entscheidung für kritikwürdig gehalten. Wie würden Sie denn in den Fällen des entführten Deutschen in Afghanistan heute argumentieren?
Wesel: Ja, das ist auch einfach, Frau Fischer. Die Bundesregierung muss alles tun, um das Leben dieses Mannes zu retten und das tut sie ja auch. Und das heißt erst mal verhandeln, Zeit gewinnen. Das Einzige, was sie nicht kann, und das hat man ja damals auch nicht gemacht, ist allgemeine Politik zu ändern. Also sie dürfen nicht sich darauf einlassen, dass jetzt etwa die Bundeswehr Afghanistan verlässt. Also in der allgemeinen Politik dürfen sie nichts ändern. Aber sie können Lösegeld zahlen, sie können darauf hinwirken, dass Herr Karzai Gefangene freilässt, sie können selber Gefangene freilassen, falls das gefordert wird, aber, sie können natürlich auch Geld zahlen und zwar so viel wie irgend möglich, um das Leben dieses Mannes zu retten. Wir sind eben erpressbar in diesem Gebiet leider Gottes. Das ist ja auch viel weiter weg als damals Peter Lorenz hier in Berlin und Herr Schleyer zwischen Köln und Bonn. Also sie müssen alles tun, und sie dürfen auch zahlen, sie dürfen auch viel zahlen, sie dürfen nur nicht darüber reden.
Fischer: Das ist natürlich jetzt auch ein Dilemma. Es gibt ja inzwischen eine relativ deutliche Position der Härte, die auch von Moralphilosophen vertreten wird nach dem Motto: Wir dürfen nicht nur nicht darüber reden, sondern wir dürfen uns auch tatsächlich nicht in dieser Weise erpressbar machen lassen. Eine Entführung hat immer Nachfolgeentführungen nach sich gezogen und wenn wir sozusagen den Wert des Einzelnen gegen den Wert des potenziell nächsten Entführten in Anschlag bringen müssen, dann sieht die Sache schon wieder anders aus. Also es gibt Menschen, die sagen: Wir müssen im Zweifel die Geisel opfern.
Wesel: Ich halte das für falsch. Das ist nun wirklich eher eine politische Frage, eine moralisch-politische Frage. Aber die Bundesregierung ist, das würde auch das Bundesverfassungsgericht sagen, juristisch gesehen verpflichtet, alles zu tun, was sie kann. Bis auf die Änderung der allgemeinen Politik. Das darf sie nicht.
Fischer: Also, um es noch mal konkret zu machen: Der Kollege Rüdiger Bittner, Moralphilosoph an der Universität Bielefeld, hat gesagt, Lösegeld zu zahlen, das sei, wie Feuer mit Benzin zu löschen.
Wesel: Ja, ja. Ich hoffe, dass der Stab im Außenamt darauf nicht hört, und Frau Merkel wird darauf auch nicht hören. Da bin ich ganz sicher. Das ist ein Professor der Moralphilosophie. Es gibt die sogenannte Verantwortungsethik und die Gesinnungsethik. Die Gesinnung darf Herr Bittner gern haben, aber die Verantwortung trägt die Bundesrepublik und damit die Bundesregierung. Und Verantwortungsethik heißt auch, in den sauren Apfel beißen, gegen eine innere Überzeugung von Moral.