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Die Vermessung des Körpers

Es sind kleine Computerprogramme, die ständig unsere Schritte zählen, die Strecke aufzeichnen, unseren Puls, Hirnströme und sogar den pH-Wert der Haut. Diese so genannten Fitness-Apps erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, befördern Freizeitjogger zu Höchstleistungen, weil sie damit eine Art Statistikzentrale mit sich rumtragen. Sie werden zu so genannten Selbstvermessern.

Von Daniel Theweleit |
    "Wenn ich aufstehe, dann ist der erste Gang nachdem ich im Bad war, dass ich mich auf meine W-Lan-Waage stelle, die mein Gewicht ins Netz überträgt, beziehungsweise auf meine anderen Geräte. In der Regel messe ich auch den Blutdruck und erfasse ein paar andere Daten, ob ich Kaffee getrunken habe, ob ich Sport getrieben habe, ob ich Alkohol getrunken habe. Und wenn ich dann aus dem Haus gehe, habe ich in der Regel einen Schrittzähler dabei, wo ich einfach eine Rückfütterung kriege, wie viel ich mich an dem Tag bewegt habe, wie viele Treppen ich gelaufen bin und so weiter."

    Tim Bartel ist ein typischer Selbstvermesser. Er arbeitet für einen weltweit agierenden Online-Dienst, ist Mitte 30 und pflegt eine innige Verbindung seines Körpers zu allerlei technischen Überwachungsapparaturen. Damit folgt er einem Trend, von dem Experten glauben, dass er den Alltag des Breitensports verändern wird. In den Metropolen sind schon jetzt kaum noch Jogger unterwegs, die keine Daten über ihre Leistungen erheben.

    "Gerade, wenn es in den Sportbereich geht, dann ist es so, dass man die Daten super dazu benutzen kann, sich zu vergleichen. Zum einen mit sich selbst. Aber dadurch, dass andere auch diese Tools verwenden ist es natürlich so, dass man sich vergleicht. Beispielsweise ist es so, dass mein Arbeitgeber Wert darauf legt, dass seine Mitarbeiter halbwegs gesund leben, und daraufhin hat er einen Schrittzähler, den ich benutze an alle Mitarbeiter ausgegeben, mit dem Erfolg, dass man jetzt natürlich viel mehr Bekannte und Kollegen hat, mit denen man sich vergleichen kann."

    Jeder Schritt wird aufgezeichnet, jedes zu Fuß überwundene Stockwerk, Läufer können auf Karten betrachten, welche Strecken sie in welchem Tempo zurückgelegt haben. Und wie schnell ihr Herz dabei geschlagen hat. Wenn bestimmte Ziele erreicht werden, verteilt die Software virtuelle Pokale. Das motiviert. Menschen, die sich noch nie persönlich getroffen haben, konkurrieren: Wer läuft häufiger, schneller und mit dem größeren Trainingseffekt durch Wald vor der Stadt. Im App-Store von Apple gibt es 11.000 kleine Programme, die in irgendeiner Form dem Thema Fitness gewidmet sind, und die Hardware wird immer erschwinglicher: tragbare Schrittzähler, Herzfrequenzmesser, Systeme, die den Schlaf überwachen. Hirnströme, der PH-Wert der Haut oder Blutzuckerwerte werden erhoben. Passionierte Selbstvermesser dokumentieren sogar ihr psychisches Befinden in entsprechenden Programmen. Auf der Suche nach Zusammenhängen mit den physiologischen Daten. Längst haben die großen Sportartikelhersteller auch Systeme für Spielsportarten wie Fußball oder Basketball im Angebot. Und immer mehr Leute machen mit. Aber es gibt auch eine dunkle Seite, sagt Jens Kleinert, der das Psychologische Institut der Deutschen. Sporthochschule leitet.

    "Letztendlich ist die Tatsache, dass ich mich körperlich betätige, um dann in irgendeinem Ranking oder in irgendwelchen Ergebnislisten möglichst weit zu kommen, erstmal sicherlich ein Motivationsfaktor und kann auch dazu führen, dass Menschen sich bewegen. Letztlich darf es aber nicht sein, dass ich mich vor allem deshalb bewege, um in irgendeiner Liste möglichst gut abzuschneiden. Denn dann fällt etwas weg, was für mich das Entscheidende ist: Nämlich, dass ich mich bewege, weil die Bewegung als solche Spaß macht."

    Bedenken anderer Art die Bestsellerautorin Juli Zeh. Sie findet die Bewegung "total egozentrisch" und sieht die Gefahr "einer Art männlichen Magersucht". Denn immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten damit, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er von der Natur geschaffen wurde. Freizeitsportler dopen sich mit gefährlichen Substanzen, die Schönheitschirurgie boomt, und Stimmung und Gedächtnis werden medikamentös manipuliert. Kein Wunder, dass Kleinert in der permanenten Überwachung des eigenen Körpers die Gefahr der Zwanghaftigkeit sieht. Der Wissenschaftler findet,

    "dass man nicht zu sehr versuchen sollte, sein Leben zu kontrollieren. Denn letztendlich gibt es auch so etwas wie den Kontrollzwang. Und Zwangsstörungen sind dadurch gekennzeichnet, dass man sich zu sehr kontrolliert, in jeglicher Hinsicht. Insofern muss man einfach schauen, dass das Ganze nicht Überhand nimmt, und nicht schon fast krankhafte Züge annimmt."

    Ungeachtet solcher Vorbehalte wird die Vermessung des eigenen Körpers wohl für immer mehr Menschen zur Alltäglichkeit werden. Längst sind die Krankenkassen sind an den Daten interessiert. Vielleicht wirft der Hausarzt künftig vor der Untersuchung zunächst einen Blick auf die Selbstvermessungsergebnisse seiner Patienten. Chronisch Kranke gehören schon jetzt zu den Vorreitern der Bewegung. Die großen Telekommunikationsunternehmen überlegen, wie sich mit dem Datentransfer, der Datenspeicherung und der noch völlig ungeklärten Problematik des Datenschutzes Geld verdienen lässt. Das Computermagazin c’t prognostiziert einen Markt von 4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015. Denn der Nutzen überzeugt die Sportler, von denen wohl nur eine Minderheit anfällig ist für die Gefahren der Selbstvermessung.