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Die Vernunft , die Revolution und die Liebe

Ulrike Bergmann, die 1960 geborene, in Lübeck lebende Anwältin und Publizistin, hat mit ihrem Buch zwar keine terra incognita erschlossen, denn das Beziehungsdrama zwischen Georg und Therese Forster war schon vor zweihundert Jahren kein Geheimnis, und ist es unter den historisch bewanderten Lesern auch heute nicht.

Von Harro Zimmermann | 04.02.2009
    Aber mit welcher Umsicht sie aus verschiedenen Tagebüchern, Briefen, Memoiren und sonstigen Dokumenten die Leidensgeschichte ihrer Protagonisten herauspräpariert, und sie in effektvoller Chronistik zu einer Liebestragödie zusammen fügt, ist schon des Lobes wert.

    Georg Forster kommt im Juli 1775 von der gemeinsamen Weltumsegelung mit James Cook und seinem Vater, dem berühmten Naturforscher Reinhold Forster, nach London zurück. Doch die große Hoffnung der beiden, mit ihren Reiseaufzeichnungen Ruhm und Reichtum zu erwerben, werden allesamt scheitern. Vater Reinhold erweist sich als unfähiger Diplomat und Selbstvermarkter, der "tactless philosopher" erregt bei den hohen Herren aus Politik und Finanz immer wieder Anstoß, so dass die Familie in zunehmende wirtschaftliche Not, schließlich nahezu in Acht und Bann gerät.

    Im Oktober 1778 sieht sich Georg Forster gezwungen, endgültig aus der qualvollen Enge dieses Alltags auszubrechen, er will wettmachen, was der jähzornige und oft so ungerechte alte Mann nicht vermocht hat. Der blutjunge Verfasser der "Voyage round the world" ist bereits eine Berühmtheit, als er in Holland und dann in Deutschland festländischen Boden betritt:

    "Der junge Weltenfahrer wurde auf Händen getragen, auf alle ersinnliche Art fetirt, mit allen neuen Büchern in dem Belleslettres-Fach und den schönsten neuen Gedichten von Goethe unterhalten, mit köstlichem Champagner, Xeres- und Capwein getränkt",

    heißt es damals. Vor allem in Deutschland wird Georg Forster unter Fürsten und noblen Gesellschaften, an Universitäten und Akademien herumgereicht und gefeiert, ihm werden Stellen angeboten, die er ablehnt. Sogar in Göttingen, im Kreis der illustren Professoren der Georgia Augusta, wird er als bedeutender Gelehrter und Schriftsteller in Empfang genommen, und hier sollte er auch Therese kennen lernen, die blitzgescheite, temperamentvolle und lebenssüchtige Tochter des Ordinarius Heyne, der er zunächst - vor lauter Hochstimmung - noch gar keine Aufmerksamkeit schenkt.

    Was der gestrenge Vater Heyne von seiner Tochter einfordert, nämlich weibliche Sittsamkeit, Anmut und Bescheidenheit, ist genau das Gegenteil dessen, was Therese selbst von ihrem Leben erwartet. Doch auch Forster ist alles andere als ein einfacher Charakter, seine durch Not und Leistungsfron zerfurchte Seele lässt ihn zunächst gar nicht an eine erfüllte Liebesbeziehung denken.

    Ulrike Bergmann zeigt anhand zahlreicher Quellen, wie die beiden bald die "Flucht in die Ehe" antreten, teils der gesellschaftlichen Schicklichkeit wegen, teils aus persönlicher gegenseitiger Rücksichtnahme. Schon vor Antritt ihrer Ehe in Wilna ist Therese jedenfalls nicht mehr, oder nur noch gelegentlich, in Georg verliebt, ihre Leidenschaft gilt längst wieder einem anderen Mann.

    Durchaus eindrucksvoll an Bergmanns Buch ist das Psychogramm des leidenschaftlichen, innerlich zerrissenen, und doch so liebesbedürftigen Denkers und Revolutionärs Forster. Der die Welt am Ende zärtlicher und gerechter machen will, kann sich selbst nur schwer durchringen zur Anerkennung des geistigen Ranges seiner Frau, zum rückhaltlosen Einbekenntnis seiner Liebe. Noch in der Brautnacht wird sich Therese diesem Mann verweigern:

    "Ich ward erst vier Wochen nach meiner Hochzeit Frau, weil die Natur uns nicht zu Mann und Frau bestimmt hatte. Ich weinte in seinen Armen und fluchte der Natur, die diese Qual zur Wollust geschaffen hatte - endlich gewöhnte ich mich daran",

    schreibt sie an ihre Freundin Caroline Böhmer. Und immer noch kann sich die Ehe-Dauerkrise verschlimmern - eine neue Liebschaft der Frau Forster, eine nicht ganz durchschaubare Schwangerschaft, Georgs Angebot, ein eheliches Dreiecksverhältnis zu erproben. Irgendwann versteigt sich der verzweifelte Ehemann sogar dazu, seine Frau zur Liebe zu zwingen, was vollkommen andere Folgen als die erwünschten zeitigt, andererseits begibt sich aber auch Therese in ein Hörigkeitsverhältnis zu ihrem Geliebten.

    Ein Ausweg scheint bald nicht mehr denkbar - Verstellung, Heimlichkeiten und Selbstbetrug sind an der Tagesordnung. In Mainz schließlich, inmitten der ersten demokratischen Republik auf deutschem Revolutionsboden, werden sich die Dinge dann zur finalen Katastrophe zuspitzen. Therese, ihr Freund und ihre Kinder verlassen die Stadt noch rechtzeitig in Richtung Schweiz, die verzehrende Sehnsucht wird nun erst recht zum Ferment von Forsters Liebe. Jetzt, als Deputierter der Rheinischen Republik in Paris, will er alles tun, um seine Frau und seine Kinder zurück zu gewinnen, wie im Rausch erlebt der Partei ergreifende die Revolutionseuphorie der Franzosen, das Ineinander von politischer Menschheitshoffnung und subjektiver Aussichtslosigkeit steigert seine Liebesqualen ins Unerträgliche.

    Ist Forster deshalb - seiner humanitären Empfindung entgegen - zum radikalen deutschen Jakobiner geworden, wie Ulrike Bergmann nahe legt? Freilich hält er es mit den "herzlosen Teufeln", mit dem "Blutgericht" dieser Revolution, nicht lange aus. Aber auch ohne Therese und die Kinder kann er nicht leben. Es peinigt ihn nun das "zerfleischende Bewusstsein, nie, nie! glücklich gewesen zu sein, nie Gegenempfindungen erregt zu haben, folglich nie erwecken zu können". Forsters einsames, sich in Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern verzehrendes Ende im Paris der mordversessenen Revolution ist nicht mehr aufzuhalten.

    Am 10. Januar 1794 stirbt er in einem elenden Pariser Hotelzimmer, eine gefährliche Brustentzündung hat dem geschwächten nach mehreren schweren Rückfällen jede Lebenskraft genommen. Es dauert nicht lange, da wird die Hoffnungs- und Liebestragödie des Georg Forster zu der bösartigen Fama verzerrt, er sei ein Vaterlandsverräter und demokratischer Lump gewesen. Nur eine Mesalliance hat sich in der Welt für diesen Revolutionär gefunden, keine Liebe. Drei Monate nach Forsters Tod heiratet Therese ihren Freund Ludwig Ferdinand Huber, ihren ersten Mann wird sie um fünfunddreißig Jahre überleben. Als bekannte und einflussreiche Schriftstellerin stirbt sie am 15. Juni 1829. Die Mesalliance mit Forster ist ihr während all dieser Jahrzehnte nur noch peinlich, nahezu die gesamte Korrespondenz ihrer Ehezeit vernichtet sie. Was an Briefen übrig bleibt, "korrigiert" und verfälscht Therese ohne Bedenken. Nicht einmal der Nachruhm des Georg Forster ist ihr ein liebendes Andenken wert.

    Ulrike Bergmann: Die Mesalliance. Georg Forster: Weltumsegler. Therese Forster: Schriftstellerin. Edition Büchergilde 2008