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Die verrückte Welt der Zahlen

Mathematiker hantieren im Kopf mit Unendlichkeiten, vierdimensionalen Räumen und anderen kaum vorstellbaren Phänomenen - und sie haben auch noch Spaß dabei. Die meisten Normalsterblichen dagegen haben Angst vor Mathematik. Doch zum Glück gibt es immer wieder Unerschrockene, die versuchen, ihnen die Angst zu nehmen und eine Ahnung von der Magie der Zahlen zu vermitteln. Zwei neue Bücher für Kinder ab neun Jahren vermitteln dies auf spielerische Art.

Von Sabine Sütterlin |
    "Wenn Mathematik weithin verstanden werden soll, müssen wir ihre Eleganz und ihre praktische Anwendbarkeit betonen. Manchmal scheint es, als wollten die Universitäten gerade betonen, wie schwierig Mathematik ist."

    Das sagt der Engländer Johnny Ball. Und der weiß, wovon er spricht. Als Schüler hatte Johnny komplett versagt. Doch dann weckten mathematische Spielereien seine Neugier. Autodidaktisch bildete Ball sich zum Experten für Mathematik und Naturwissenschaften weiter. In den 1970er Jahren wurde er bekannt mit quirligen Lernshows für Kinder, die er im BBC-Fernsehen präsentierte.

    Das Material aus einer dieser Sendereihen hat Johnny Ball jetzt zu einem Buch verarbeitet. Es heißt "Die verrückte Welt der Zahlen". Und schlägt Leser ab zehn Jahren gleich zu Beginn in Bann, indem es vorführt, wie die Welt ohne Zahlen aussähe: Eine Doppelseite ist als fiktive Zeitung gestaltet. Alle Angaben darin, die normalerweise durch Ziffern ausgedrückt werden, bleiben vage Umschreibungen.

    "Fußballteam schießt viele, viele Tore."

    So lautet etwa eine Schlagzeile. Und im dazu gehörigen Artikel berichtet der Reporter:

    "England gewann gestern ein weiteres Mal den Weltcup und schlug Brasilien um mehrere Tore. Die Engländer führten schon nach kurzer Zeit durch ein Tor von Beckham. Er traf dann nach der Spielmitte noch einmal und später noch ein weiteres Mal."

    Das ist witzig und bringt junge Leser dazu, weiter zu blättern. Es folgt ein Streifzug durch die Geschichte des Zählens und des Rechnens. Wie schrieben die alten Ägypter die Zahl Hundert? Warum wurde die Null erfunden?

    Dann folgt ein Kapitel über magische Zahlen, über die Zahl Pi, den Begriff der Unendlichkeit und die Primzahlen. Schließlich ein Ausflug in die Welt der geometrischen Formen, der Spiegeltricks und der Labyrinthe, und eine Übersicht über die verschiedenen Zweige der Mathematik: Logik, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Chaostheorie. Und bei all dem wird immer auch die Frage beantwortet: Wozu eigentlich? Welchen praktischen Nutzen hat die Zahl Pi? Wofür braucht man das Pascalsche Dreieck? Warum hat die Natur bei Blumen die Samen oft in Fibonacci-Spiralen angeordnet?

    Jede Seite ist wie eine Wundertüte: Randvoll mit kurz gefassten Informationen, mit Staunenswertem und Verblüffendem, garniert mit vielen farbigen Fotos und Grafiken. Dazwischen sind Rätsel und Denksportaufgaben eingestreut, Anleitungen zum Basteln, etwa eines Hexaflexagons, und Tipps für schnelles Rechnen.

    Auf den ersten Blick wirken die Seiten im Format eines Schreibmaschinenblattes vielleicht etwas unübersichtlich. Die bunte Vielfalt des Angebotenen ist jedoch genau das Richtige für ungeduldige Leser. Johnny Balls "Verrückte Welt der Zahlen" vertreibt im schlechtesten Fall für einige Stunden die Langeweile. Im besten Fall machen die darin angebotenen Häppchen Appetit auf mehr.

    Methodisch ähnlich wie der Engländer Johnny Ball, aber insgesamt etwas ruhiger geht der norwegische Sachbuchautor Eirik Newth vor. Sein Buch hat ein etwas kleineres Format und ist weniger reichhaltig bebildert, dafür enthält es längere durchgehende Texte. Es heißt: "Die Krähe, die nicht bis 5 zählen konnte".

    Die ominöse Krähe dient hier als Lockvogel. Wer den Titel liest, will auf der Stelle erfahren, was es damit auf sich hat.

    "Ein Bauer wollte einmal eine Krähe loswerden, die von seiner Ernte fraß. Die Krähe hauste in einem Kirchturm, und der Bauer schickte einen Jäger in den Turm, der die Krähe erschießen sollte. Doch sobald die Krähe den Jäger kommen sah, flog sie auf einen Baum in sicherer Entfernung. Er befahl zwei Jägern, in den Kirchturm zu gehen. "

    Die Krähe fliegt weg und kehrt auch nicht wieder zurück, als nur einer der zwei Jäger wieder herauskommt. Sie wartet, bis beide weg sind. Auch wenn drei oder vier Jäger hineingehen und einzeln herauskommen, lässt sie sich nicht täuschen. Erst bei fünf ist sie überfordert. Bittere Konsequenz: Die Krähe - die eben nicht bis fünf zählen konnte - wird abgeschossen.

    Was lernen wir aus dieser Anekdote? Nicht, wie man zunächst vermuten könnte, dass Mathematik zum Überleben notwendig ist.

    "Das Merkwürdige an dieser Geschichte ist, dass die Krähe überhaupt zählen konnte. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass viele Vögel, Säugetiere und Insekten so etwas wie Zahlen kennen. Daraus lernen wir etwas Wichtiges: Mathematik ist ein Teil der Natur um uns herum. Mathematik wurde nicht von Lehrern erfunden, die gern Schüler quälen. "
    Dann wird es handfest: Der Autor hat einen Freund zum Garnelenessen eingeladen. Er hat ein Paket zu zwölf Stück gekauft. Doch dann kommt noch ein Freund zu Besuch, später ein weiterer. Dabei wird offensichtlich, dass sich die Garnelenproduzenten etwas gedacht haben, als sie die Leckerbissen im Dutzend verpackten: Zwölf Garnelen lassen sich auf sechs verschiedene Arten gerecht verteilen, ohne dass sie zerschnitten werden müssen. Zehn, elf oder dreizehn haben nämlich alle weniger Teiler.

    In dieser praktischen Art fährt Newth fort. Die Geschichten, die er erzählt, handeln zum Beispiel von Plundergebäck, für die der Bäcker den Teig immer wieder faltet - wobei er theoretisch einen Mega-Blätterteig mit zwei hoch zwanzig Lagen herstellen kann. In anderen Geschichten geht es etwa darum, wie man intime Tagebuchnotizen verschlüsselt, um sie vor neugierigen Geschwistern geheim zu halten. Oder wie es sich anfühlt, durch zwei- und vierdimensionale Welten zu wandern. Dann wieder spielt der Autor in Gedanken durch, wie im Zeichentrickland gerechnet wird. Die Figuren da haben oft nur vier Finger an einer Hand. Für sie ist also das Achtersystem ebenso natürlich wie für uns Fünffingrige das Dezimalsystem.

    Eirik Newths Buch überzeugt durch originelle Einstiege ins jeweilige Thema. Schritt für Schritt nachvollziehbar verschaffen die Geschichten dem Leser Erkenntnisgewinn. Zusätzliche Informationen und Rätsel sind in farbigen Kästchen neben dem laufenden Text verpackt, der außerdem durch sparsam eingestreute Fotos und Illustrationen aufgelockert wird.

    Allerdings hat Newth unter den möglichen Gebieten der Mathematik eine subjektive Auswahl getroffen. Und am Ende kommt sein Steckenpferd zu Ehren, ein ziemlich spekulatives Thema, über das er schon ein ganzes Buch geschrieben hat: Außerirdische, und wie wir mit ihnen kommunizieren könnten, wenn es sie denn gäbe.

    Nur in der universellen Sprache der Mathematik sei eine Verständigung mit fremden Zivilisationen möglich, vermutet der Autor und nimmt damit die am Anfang des Buches getroffene Feststellung auf, dass Mathematik die Sprache der Natur sei.

    "Das Einzige, was wir ziemlich sicher zu wissen glauben, ist, dass die Naturgesetze und die Mathematik im ganzen Universum gleich sind. Selbst im abgelegensten Winkel der Milchstraße ist 2 plus 2 gleich vier."

    Ob man nun die Existenz von Außerirdischen für wahrscheinlich hält oder nicht - was die Mathematik angeht, bleibt der Autor auf dem Boden der wissenschaftlichen Erkenntnis.


    Bibliographische Angaben:
    Eirik Newth: Die Krähe, die nicht bis 5 zählen konnte. Geschichten aus der tollen Welt der Zahlen. Illustriert von Hildegard Müller. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Carl Hanser Verlag, München 2006. 64 Seiten, 12,90 Euro (ab 9 Jahren)

    Johnny Ball: Die verrückte Welt der Zahlen. So spannend kann Mathe sein. Aus dem Englischen von Marcus Würmli. Dorling Kindersley Verlag, Starnberg 2006. 96 Seiten, 14,90 Euro (ab 10 Jahren)