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Die Waffe der Entrechteten

Bekannt geworden ist der jüdische Witz durch zahlreiche Sammlungen. Welche Rolle spielt er in der deutschsprachigen Kulturgeschichte? Mit dieser Frage beschäftigte sich eine Tagung, die der Erlanger Literaturwissenschaftler Gunnar Och mitorganisiert hat.

Gunnar Och im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Weil es jetzt um den jüdischen Witz geht, hier ist einer zur Einstimmung aus der jüdischen Witzesammlung: Blau und Grün unterhalten sich. Sagt der Blau: "Gelb hat sich taufen lassen." Sagt der Grün: "Echt jüdisch!" – Was ist eigentlich echt jüdisch? Woher kommt der sprichwörtliche jüdische Witz, der allgemein sehr populär ist, vor allem seit Salcia Landmann in den 60er-Jahren eine erste Sammlung veröffentlichte? Um diese durchaus umstrittenen Ursprünge und um die kulturhistorische Wirkung des jüdischen Witzes ging es in Berlin bei einer Tagung zur deutsch-jüdischen Literatur- und Filmgeschichte von Heine bis Dani Levy. Professor Gunnar Och von der Universität Erlangen hat das Treffen an der Berliner FU mitorganisiert. Ihn habe ich zunächst gefragt, warum denn die Diskussion um den jüdischen Witz neu eröffnet werden musste?

    Gunnar Och: Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung gab es natürlich schon von psychoanalytischer Seite. Ganz bekannt sind die Arbeiten von Sigmund Freud und seinen Schülern, unter anderem Theodor Reik. Also da ist natürlich wissenschaftlich drüber gearbeitet worden, auch kulturwissenschaftlich. Aber seltsamerweise hat man sich gerade über die literaturwissenschaftliche Perspektive bisher relativ wenig Gedanken gemacht und ein wichtiger Ausgangspunkt war für unsere Überlegungen, dass es im frühen 19. Jahrhundert die Prägung des Judenwitzes gibt, aber als Fremdzuschreibung, die von außen kommt, also von nichtjüdischer Seite mit deutlich judenfeindlichem Unterton, Juden wie Heine, Börne oder Saphir entgegengehalten wird, und das sind erkennbar witzige Autoren auch für die Zeitgenossen, und dann in der kritischen Auseinandersetzung mit diesen Autoren werden diese eben so als Judenwitzlinge denunziert. Wir haben hier Witze als Fremdzuschreibung von außen, haben aber dann umgekehrt auch …

    Novy: Und damit auch eine Charakteristik des Jüdischen?

    Och: Damit auch eine Charakteristik des Jüdischen der Art, dass man sagt, jüdischer Witz ist verneinend, er ist zersetzend, und bis in die NS-Zeit bleibt das eigentlich ein Klischee, das erhalten bleibt, ein festes Stereotyp, und da hat man die Möglichkeit, solche Autoren auch auszugrenzen aus dem literarischen System. Und das ist erstaunlich, wie schnell das innerhalb von wenigen Jahrzehnten eigentlich zum festen Stereotyp wird.

    Novy: Auf der anderen Seite gibt es doch einen Stolz auf den jüdischen Witz auch von jüdischer Seite, es gibt jüdische Witzsammlungen und es gibt ja auch ein sehr breites Spektrum an Themen. Wie ist denn das entstanden?

    Och: Das ist richtig. Es scheint so zu sein, da haben wir auch sehr drüber diskutiert, das ist die Ursprungsfrage auch nach dem jüdischen Witz. Es gibt ja auch Theorien, die sagen, das ist schon im Talmud angelegt. Meine Überlegungen, die ich ja auch dort vorgetragen habe, setzen eher ein, dass es eine Fremdzuschreibung ist, die zunächst von außen kommt, dann aber – das ist natürlich richtig – von jüdischer Seite auch übernommen wird. Da spielt Moritz Gottlieb Saphir, der Berliner, später Wiener oder Münchner und Wiener Journalist, in dem Zusammenhang eine große Rolle, denn er ist dann wohl der Erste, der den jüdischen Witz positiviert und sagt, das ist sozusagen auch die Waffe der Entrechteten, das ist eine Möglichkeit, eine Sprache zu finden, aber auch eine Möglichkeit, im kulturellen Bereich Fuß zu fassen, nachdem andere Bereiche gerade für Intellektuelle auch in der Zeit des Vormärz versperrt sind.

    Novy: Und Sie würden nicht sagen, dass es eine enge Verbindung gibt mit der ausgegrenzten Situation der Juden in den Schtetl des Ostens, die sich dann auf dem Weg in die Städte, ins assimilierte Judentum verändert hat?

    Och: Ja. Das ist natürlich auch was, was auch häufig diskutiert wird, und wir haben natürlich dann auch speziell diese frühen Witzsammlungen aus dem 18. Jahrhundert. Da spielt das ostjüdische Element eine relativ geringe Rolle. Es gibt dann natürlich Sammlungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die auch so heißen: ostjüdischer Humor. Da ist es in der Tat so, dass das ganz im Vordergrund steht. Es scheint aber auch so zu sein, dass diese Rede vom ostjüdischen Humor – es wird ja nicht mehr vom Witz dann sogar gesprochen, sondern vom ostjüdischen Humor – auch sozusagen eine Antwort auf diesen alten Vorwurf des Judenwitzes ist. Man will eben nicht diesen Witz, man will auch deutlich machen, wir haben auch so was positiv Versöhnliches in Gestalt dieses ostjüdischen Humors.

    Novy: Und die Selbstironie?

    Och: Und die Selbstironie. Und es ist natürlich schon so: Man kann jetzt sagen, Judentum ist von Natur aus witzig. Solche essenzialistischen Zuschreibungen wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Aber richtig ist natürlich: Es bietet sich eine eigene jüdische Witztradition. Es fallen einem natürlich viele Namen ein dann vom 19. auch zum 20. Jahrhundert. Natürlich gehört auch Karl Kraus in dieses Spektrum hinein oder auch Kurt Tucholsky. Also an diese Namen denkt man und es ist sicher so, dass es da einen engen Traditionszusammenhang gibt.

    Novy: Es gab auf Ihrer Tagung auch einen Vortrag zum Thema Shoa und Lachen. Wie geht das?

    Och: Wenn man sich Texte jüdischer Autoren der deutschen Literatur der sogenannten zweiten oder dritten Generation ansieht, wird man feststellen, dass dort komisierende Schreibweisen eine wichtige Rolle spielen. Dazu gab es einen sehr interessanten Vortrag und in diesem Vortrag wurde das als "ästhetische Entautomatisierung" gelesen, und zwar in dem Sinne, dass schon eine bestimmte Terminologie, Betroffenheitsterminologie sich eingeschliffen hat in der Auseinandersetzung mit der Shoa und dass es diesen Autoren darum geht, diese sozusagen automatische Betroffenheit, die sich einstellt, zu unterlaufen, die auch ein Stück weit eine Immunisierungsstrategie ist, und Witz und Lachen ist eine Möglichkeit, dagegen vorzugehen.

    Novy: Das war Gunnar Och von der Universität Erlangen, der eine Tagung in Berlin zum jüdischen Witz mitorganisiert hat.


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