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Die wahren Gründe sind innenpolitischer Natur

Die USA ziehen sich nach fast zehn Jahren aus Afghanistan zurück. Bis zum nächsten Sommer soll ein Drittel der amerikanischen Soldaten wieder zu Hause sein. Das hat US-Präsident Barack Obama am Mittwoch in seiner Rede an die Nation angekündigt.

Von Klaus Remme |
    Dieser Krieg und seine Entwicklung ist nicht zu verstehen, ohne an den Ausgangspunkt zurückzukehren, die Stunden und Tage nach dem Kollaps des World Trade Center in New York als Präsident George Bush vor den Trümmern stand, ein Megafon in der Hand, ein Feuerwehrmann an seiner Seite:

    "Am Beginn dieser, wie Präsident Obama Mittwoch Abend wörtlich sagte, schwierigen Dekade, liegt die Entscheidung der damaligen amerikanischen Regierung, den Terror des 11. September als Kriegserklärung zu begreifen und entsprechend zu reagieren, nicht als Verbrechen. Dem Einmarsch in Afghanistan folgte der Irrweg in den Irak. Wir hatten in Afghanistan schon gewonnen, sagte Robert Gates, Verteidigungsminister unter George Bush und Barack Obama kürzlich zu CNN, dann wurden wir durch den Irak-Krieg abgelenkt."

    Barack Obama am 1. Dezember 2009, als er weitere 30.000 Soldaten an die Front schickte und gleichzeitig den Beginn des Truppenabzugs für den kommenden Monat ankündigte. Er hält Wort, beginnend im Juli kehren noch in diesem Jahr 10.000Soldaten heim, weitere 23.000 bis Ende September 2012. Und auch wenn danach mit 68.000 Mann noch immer mehr US-Soldaten in Afghanistan sind als zum Amtsantritt des Präsidenten, rhetorisch bediente Obama in seiner Ansprache am Mittwoch im Weißen Haus die Wünsche seiner kriegsmüden Landsleute:

    Weniger Söhne und Töchter an der Front, die Kriegsflut ebbt ab, das tröstet uns, so Obama wörtlich, doch wer sprach da, der Wahlkämpfer oder der Oberbefehlshaber? Der Historiker Klaus Larres ist Gastprofessor an der Johns Hopkins Universität in Washington DC:

    "Aus militärischer Sicht ist das nicht sinnvoll. Das Land ist nicht befriedet."

    Eine Kritik, die von einflussreichen republikanischen Senatoren geteilt wird. Lindsey Graham urteilte unmittelbar nach der Rede des Präsidenten.

    "Wir gefährden eine wirksame Strategie und Erfolge gegen die Taliban in diesem und im nächsten Sommer."

    Doch die Generäle halten still. Es gibt keine öffentliche Kritik am Zeitplan des Präsidenten. Generalstabschef Admiral Mike Mullen am Donnerstag in einer Senatsanhörung in Washington:

    "Die Entscheidung des Präsidenten ist riskanter als meine Empfehlung, aber nur der Präsident kann letztendlich die beste Lösung finden."

    Ähnliche Worte von General Petraeus, bisher Oberbefehlshaber in Afghanistan und von Verteidigungsminister Gates. Alle wissen um die innenpolitische Zwänge, Umfragen zeigen: 62 Prozent der Amerikaner sind gegen diesen Krieg, 39 Prozent würden am liebsten alle Truppen sofort zurückholen. Joe Manchin, Senator aus West Virginia, spricht aus, was viele denken:

    Wenn in der Heimat das Geld für die Infrastruktur fehle und Milliarden in einem Land verschwendet werden, in dem man nicht willkommen sei, dann sei es nach zehn Jahren an der Zeit, zu gehen, sagte Manchin im Kongress.

    Gerade nach dem Tod Osama bin Ladens bestreitet niemand die Erfolge gegen Al Kaida in der Region, doch gerade deshalb sagt die Mehrheit im Land: Mission erfüllt. Die Kriegsziele sind bescheidener geworden, seitdem George Bush den Mittleren Osten demokratisieren wollte. Nirgendwo wird das deutlicher als in den Debatten der republikanischen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur. Fast alle plädieren für einen schnellen Abzug, ein schnelles Ende in Afghanistan. Ungewohnte Töne in der konservativen Partei. Senator John McCain klagt über seine Parteifreunde und fragte kürzlich im amerikanischen Fernsehen. Was würde Ronald Reagan dazu sagen?

    "Das ist Isolationismus, diese Tendenz gab es schon immer am Rand der Partei, aber jetzt rücken diese Gedanken in die Mitte."

    Professor Klaus Larres hält dieses Phänomen für begrenzt. Erklärbar allein durch die Kriegsmüdigkeit nach zehn Jahren. Er sieht eine Parallele zur Zeit nach dem Vietnam Krieg.

    Das Erbe dieser Kriegsdekade lastet schwer. Nicht nur auf den USA. Barack Obama hat einen NATO-Gipfel für den kommenden Mai in Chicago angekündigt. Es gibt Grundsätzliches zu besprechen, meint Hanns Maull, Professor für Auswärtige Politik und Internationale Beziehungen an der Uni Trier, zur Zeit an der Transatlantic Academy in Washington.

    "Wünschenswert wäre eine grundsätzliche Verständigung in der NATO. Wer macht was?"

    Und Probleme gibt es zuhauf. Afghanistan ist alles andere als dauerhaft stabilisiert. Zum Nachbarn Pakistan war von Präsident Obama fast nichts zu hören. Die geplante langfristige Sicherheitspartnerschaft mit Kabul zielt aus Sicht Washingtons auch und gerade auf zweifelhafte Partner in Islamabad und offenbart die Machtgrenzen der Weltmacht einmal mehr. Was wurde erreicht, nach zehn Jahren Krieg in Afghanistan: Über 1600 amerikanische Soldaten sind dort gefallen, 500 Milliarden Dollar hat der Krieg bis jetzt gekostet. Professor Hanns Maull:

    " Für den Westen ein Etappensieg in der Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror von Al-Kaida - mehr nicht."

    Mit dieser Bilanz wird Barack Obama als Oberbefehlshaber in den Wahlkampf ziehen müssen. Geerbt oder nicht, der Präsident hat die Truppen in Afghanistan in seiner bisherigen Amtszeit verdreifacht, jetzt leitet er die Wende ein. Es ist sein Krieg.