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Die Wahrheit finden

Noch immer kämpft das UN-Jugoslawientribunal um die Auslieferung der beiden Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic, die des Völkermordes in Srebrenica angeklagt sind. Derzeit müssen sich 26 Angeklagte in acht gleichzeitig laufenden Verfahren verantworten. Sechs weitere mutmaßliche Kriegsverbrecher warten auf ihren Prozess. Seit 15 Jahren arbeitet das Gericht, und auch in diesem Jahr läuft die Arbeit auf Hochtouren. Von Kerstin Schweighöfer.

26.05.2008
    Ein Montagmorgen am Haager Jugoslawientribunal. Im Gerichtssaal II geht der Prozess gegen Ante Gotovina weiter, den kroatischen General, der im Dezember 2005 auf Teneriffa verhaftet werden konnte. Nebenan muss sich Vojislav Seselj verantworten, immernoch Chef der Radikalen Serbischen Partei SRS. Der serbische Nationalist ist bekannt für seine Hasstiraden und Schrecken der Dolmetscher. Den Serben werde die Schuld für alles in die Schuhe geschoben, wettert Seselj, ein Wunder, dass man ihn hier nicht auch des Mordes an John F. Kennedy bezichtige.

    Sein enger Freund Slobodan Milosevic war 2006 während seines Prozesses gestorben. Und Radovan Karadzic und sein General Ratko Mladic, die seit mehr als zwölf Jahren wegen Völkermord in Srebrenica gesucht werden, sind immernoch auf freiem Fuß. An diesen drei Namen wird der Erfolg des Tribunals oft gemessen - zu Unrecht, findet Serge Brammertz. Der belgische Jurist ist seit Januar neuer Chefankläger in Den Haag - und vermutlich auch der letzte. Denn 2010 soll das Tribunal geschlossen werden:

    "Oft denkt man: Voilà, das Gericht ist am Ende. Wahrscheinlich werden da schon die Koffer gepackt. Und Mladic und Karadzic, da weiß man nicht, wo die sind, warum soll man da weiterhin Geld ausgeben. Tatsache ist, dass das Gericht noch nie so aktiv war wie heute. Das heißt, das Gericht läuft auf Hochtouren!"

    26 Angeklagte müssen sich derzeit in acht gleichzeitig laufenden Verfahren verantworten. Sechs weitere mutmaßliche Kriegsverbrecher warten auf ihren Prozess.

    Der allererste Chefankläger Richard Goldstone konnte davon nur träumen. Denn das Tribunal hat keine eigene Polizeimacht. Bei Festnahmen ist es auf die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen – und die ließ anfangs stark zu wünschen übrig: Als Goldstone Den Haag 1996 nach drei Jahren verließ, befanden sich nur drei Angeklagte in den UN-Gefängniszellen. "Ich bin frustriert", sagte der Südafrikaner in seiner Abschiedsrede:

    "Das ist einfach nicht gut genug. Wir werden unserer Aufgabe nicht gerecht, wenn uns die Arbeit weiterhin unmöglich gemacht wird, kann dieses Tribunal besser eingestellt werden."

    Zwölf Jahre später hat dieses UN-Sondergericht 161 Personen strafrechtlich verfolgt - nicht nur Serben, auch Kroaten, Moslems und Kosovo-Albaner wie den früheren Ministerpräsidenten und UCK-Befehlshaber Ramush Haradinaij: Er wurde im April freigesprochen - so wie gut ein Dutzend anderer Angeklagter vor ihm, erklärt Chefankläger Brammertz:

    "Ich denke, auch das ist wichtig, um zu zeigen, dass das Gericht keine Verurteilungsmaschine ist, sondern ein Gericht, das versucht, die Wahrheit zu finden, und auch die Rechte der Verteidigung wahrt."

    Spätestens 2010 sollen alle Verfahren abgeschlossen sein. In verkleinerter Form allerdings wird das Tribunal dann weiterbestehen - schließlich gilt es weiterhin, Zeugen zu schützen. Auch muss darüber entschieden werden, ob Verurteilte früher aus der Haft entlassen werden dürfen.

    Tribunal-Vorsitzender Fausto Pocar möchte, dass auch weiterhin Prozesse geführt werden können. Einen entsprechenden Antrag wird er in Kürze der UNO-Vollversammlung und dem Sicherheitsrat vorlegen. Darauf plädiert auch Brammertz:

    "Weil es eben wichtig ist, das jeder versteht, vor allem diejenigen, die noch flüchtig sind, dass es also nicht genügt, noch zwei Jahre zu warten, und dann ist die Sache vorbei."
    Bei seinem ersten Besuch in Serbien im April hat Brammertz Belgrad zur besseren Zusammenarbeit aufgerufen. Dass die Niederlande und sein Heimatland Belgien dafür gesorgt haben, dass das Assoziierungsabkommen mit Serbien erst ratifiziert wird, wenn das Tribunal Belgrad vollständige Zusammenarbeit bescheinigt, kann er nur begrüßen: Es gebe keine Alternative zur Verfolgung von Karadzic und Mladic, die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft stehe auf dem Spiel:

    "Was uns interessiert, ist das klare Bekenntnis zur Unterstützung des Gerichts. Insofern erwarten wir auch von der EU, dass es alle legalen Mittel nutzt, um Druck auf die Länder auszuüben, die bei der Erfüllung unseres Mandats hilfreich sein können, und das betrifft natürlich vor allem die Länder in der Region!"