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Die wankende Wissenschaft

In seinem Buch "Das informative Universum" schildert Hans Christian von Baeyer den Übergang vom atomaren Denken Einsteins zum informationsorientierten Denken im 21. Jahrhundert und erläutert das neue Weltbild der Physik: Die Welt ist relativistisch, und die Zeit ist keine große magische Uhr, die fortläuft. Wir bewegen uns auf unsicherem Grund, den Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie bereitet hat.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 18.04.2005
    Einstein, 1879 in Ulm geboren und 18.4.1955 in Princton (New Jersey) gestorben, war ein schlechter Schüler, nicht zuletzt weil er den Kasernenhofdrill am Gymnasium hasste und der zunächst ohne Abschluss wegen des Wegzugs seiner Eltern das Münchner Gymnasium ver-ließ. Er begann sein Studium am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, wo man ohne Abitur studieren konnte. Doch er fiel durch die Aufnahmeprüfung und musste dann doch erst das Abitur machen.

    Nach dem Abschluss erhielt er auch keine Assistentenstelle an der Uni, sondern erst eine Stel-le ein Jahr später am schweizerischen Patentamt in Bern. Er stritt sich mit den Theoretikern der Quantenphysik, wollte einen fehlenden Determinismus bei den kleinsten Teilchen nicht glauben: Gott würfelt nicht. Aber hier setzte sich seine Konkurrenz durch.

    Während des ersten Weltkriegs bezeichnete er sich als militanten Pazifisten. In der Weimarer Republik kam es zu rechten antisemitischen Anti-Einstein-Demonstrationen. Er verließ Deutschland Ende 1932 und trat auch aus der preußischen Akademie der Wissenschaften aus. Über die UK gelangte er in die USA und dort nach Princeton.

    Er plädierte in einem gemeinsamen Brief am 2.8.39 an Präsident Roosevelt für den Bau der Atombombe, da er annahm, dass die Deutschen in dieser Forschung schon weiter wären. Am Manhattan Project wurde er jedoch nicht beteiligt. Man hielt ihn für unzuverlässig. Den Ein-satz der Atombombe kritisierte er, der seine Theorie von 1905 der Umwandlung von Masse in Energie letztlich bestätigte. Er befürwortete die Gründung Israels, lehnte aber eine Präsident-schaft ab.

    Wer vom Baum der Erkenntnis isst, der verlässt das Paradies. Und irgendwann dämmert ihm, dass er dorthin niemals zurückkehren wird. Vor allem an dieser verbauten Rückkehr war Al-bert Einstein beteiligt: das Wissen wird nämlich trotz aller Vermehrung nicht absoluter, siche-rer, wahrer, sondern relativer und veränderlicher und wir können nicht mehr sagen, wohin es uns führen wird – in welche Katastrophen oder welche Paradiese.

    Als Abgrenzung gegenüber der Theologie erwarteten Renaissance und Aufklärung noch, dass sich das Wissen perfektionieren, sich die Natur immer besser beherrschen und derart humane-re Verhältnisse entstehen würden. Dass die modernen Naturwissenschaften die Welt richtig erfassen und objektiv beschreiben, das müsste man dabei gar nicht so sehr bezweifeln. Doch führt das moderne wissenschaftlich technische Wissen wirklich in humanere Verhältnisse oder nicht eher in die größten Kriege?

    Dass das naturwissenschaftliche Wissen jedenfalls teilweise ein ungesichertes Fundament besaß, das zu klären war die Leistung Einsteins. Newtons Physik, die von etwa 1700 bis 1900 den wissenschaftlichen Ton angab, stützt sich auf die ideale Geometrie eines dreidimensiona-len Raumes, im dem sich die Körper aus idealen Linien und Punkten genau bestimmen lassen. Dass eine Messung von Punkten im Raum eigentlich Zeit braucht, berücksichtigt Newtons Physik noch nicht. Auf der Erde konnte man das vielleicht übersehen. Das Universum aber lässt sich nicht mittels des idealen dreidimensionalen Raumes unabhängig von der Zeit durch-messen und berechnen. Hans Christian von Baeyer, Professor für Physik am College of Willi-am and Mary, in Williamsburgh im US-Bundesstaat Virginia bemerkt:

    "1905 hat Einstein vorgeschlagen, dass die Welt gar nicht so ist, wie wir sie sehen. Erstens hat er gesagt, dass die Welt aus Atomen besteht und nicht so ganz solide ist, wie man sich das so gewöhnlich vorgestellt hat. Zweitens hat er die Relativitätstheorie vorgeschlagen. Drittens hat er gesagt, dass das Licht gequantelt ist und nicht so klassisch kontinuierlich, wie man sich das immer überlegt hatte. Und diese drei Vorschläge haben sich dann in den nächsten hundert Jahren als Tatsachen herausgestellt."

    Mit der 1905 von Einstein vorgeschlagenen speziellen Relativitätstheorie führt er als Bedin-gung der Messung das Licht bzw. die Lichtgeschwindigkeit ein. Raum und Zeit werden somit voneinander abhängig, das heißt auch relativ. Außerdem wird man bald nachweisen, dass Lichtstrahlen durch die Gravitation beeinflusst und abgelenkt werden können.

    Wenn der Maßstab aber das Licht sein soll, lässt sich der Raum nur noch durch solche Krümmungen erfassen: Die Linien, die den dreidimensionalen Raum bestimmen, brauchen also plötzlich Zeit und krümmen sich auch noch. Aber wohin führt uns solches Wissen? Von Baeyer erläutert in seinem Buch Das informative Universum das neue Weltbild der Physik:

    "Die Welt ist relativistisch, d.h. Raum und Zeit genügen nicht den Gesetzen von Newton, die gesagt haben, daß der Raum so ein absolutes Gerüst ist und dass die Zeit so wie eine gro-ße eherne magische Uhr fortläuft. Beide Vorstellungen sind falsch."

    Außerdem fordert Einstein, dass physikalische Begriffe, wie zum Beispiel das Atom, mittels konkreter Experimente unter faktischen Gravitationsbedingungen bestimmt werden, wenn mit realen Instrumenten, zum Beispiel Uhren, bestimmte Vorgänge untersucht werden. Einstein entwickelt dieses Konzept zehn Jahre später als allgemeine Relativitätstheorie. Die Natur soll durch Mittel der Natur erkannt werden, nicht mehr durch Newtons ideale Begriffe. Physikali-sche Erkenntnisse werden also nicht nur von Raum und Zeit, sondern von den Instrumenten, vom Ort und dessen Gravitationsbedingungen abhängig. Von Baeyer bemerkt:

    "Aber schon Einstein hat uns gesagt: Man darf nicht über die Geschwindigkeit eines Autos sprechen. Man darf darüber reden, was ich messe oder was Sie messen oder was ein anderer Mensch, der in einem Flugzeug sitzt, misst. Aber man darf nicht einfach über die Geschwin-digkeit des Autos an sich nicht sprechen. Das kann man nicht. Das geht nicht. Und da haben wir in gewisser Hinsicht schon gelernt eine gewisse Subjektivität anzunehmen."

    Aber lehrt uns Einstein damit nicht doch ein sehr wichtiges Wissen, dass auf der Suche nach humaneren Lebensbedingungen der Menschen äußerst nützlich sein kann? Natürlich erweitert es die Einsicht in die Welt, gerade indem es die Grenzen dieser Einsicht aufweist. Doch sol-che Relativität und auch Subjektivität nagt beispielsweise am Begriff des Atoms selbst: wir sind seiner nicht mehr so sicher.

    Von Baeyer schildert in seinem Buch Das informative Universum den Übergang vom atoma-ren Denken Einsteins zum informationsorientierten Denken im 21. Jahrhundert. Über das A-tom geben uns Experimente gewisse Informationen, die wiederum abhängig sind von den verwendeten Instrumenten und den Bedingungen, unter denen sie stattfanden. Nicht dass da-mit das Wissen kleiner geworden wäre, im Gegenteil. Aber es bleiben Informationen, die letztlich über das Atom an sich, wie es wirklich ist, eigentlich nichts aussagen, sondern eher über das Verhältnis des Menschen zur Natur:

    "Es gibt also drei Dinge: Es gibt also ein Atom, vielleicht gibt es ein Atom, dann gibt es eine Beschreibung, die uns Informationen gibt und dann gibt es uns, unser Gehirn, das diese In-formation annimmt. So stelle ich mir das als ein Bild mit drei Stücken vor. Aber jetzt wenn man das ernst nimmt muss man zugeben, dass wir über das Atom nur Informationen haben, dass wir überhaupt nichts wissen über das Atom an sich und das Atom selbst, über das wirkli-che Atom, vielleicht gibt es es auch gar nicht."

    Nicht daß von Baeyer damit Einsteins Theorien auflassen möchte. Sie schufen aber die Vor-aussetzung dafür, daß sich eine handfeste atomare Materialität letztlich nicht mehr finden lässt. Jetzt haben die Physiker nur noch Informationen von der Welt, nicht mehr die Welt, wie sie wirklich ist. So besteht das Universum aus Informationen im Computer, die sich ständig ändern können und nicht mehr aus harten kleinsten Kügelchen. Zweifellos hat Einstein dazu den Weg bereitet. Wir müssen lernen, uns auf noch unsicherem Grund einzurichten und kön-nen wirklich nicht wissen, ob sich dieser Weg einst einem Paradies annähern wird.



    Das informative Universum – Das neue Weltbild der Physik. Von Hans Christian von Baeyer. C.H. Beck Verlag.