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Die wartende Schöne

"La Maddalena" liegt im Nordosten Sardiniens, an der Meerenge zu Korsika. Die Inselgruppe landschaftlich sehr reizvoll und steht unter Naturschutz.

Von Andreas Burmann |
    Das hatte die Ankunft an dem grauen Bootssteg mit dem Blick auf ein ehemaliges Militärgebäude dahinter nicht erwarten lassen. Nur fünf Gehminuten entfernt, am Fuß einer mit dichter Macchia bewachsenen, felsigen Erhöhung, schauen wir auf eine weite einsame Bucht und können unseren Augen kaum trauen. Mächtige, von Wind und Wasser fantasievoll geformte Felsskulpturen, ein feiner weißer Sandstrand, das Meer mit Farbtönen von leuchtend hellblau über türkis bis satt dunkelblau. Auf den sanften Wellen schaukeln Sonnenstrahlen, brechen sich im kristallklaren Wasser und zeichnen ein helles, unförmiges Netz auf den sandigen Grund. Meeresbiologe Yuri Donno hat uns an die Cala Corsara auf dem Maddalenen-Eiland Spargi gebracht:

    "Für die Einheimischen ist es die erste Wahl, weil die Bucht nah ist und einen sehr, sehr schönen Strand bietet. Und der Sand ist von besonderer Qualität, wie Zucker und sehr weiß. Das Wasser hat verschiedene Farben. Es gibt auch keine Geschäfte, nichts derlei."

    Der Archipel La Maddalena, benannt nach Hauptinsel und Hauptort gleichen Namens, liegt gewissermaßen einen Steinwurf weit vor dem sardischen Festland. Von Palau aus pendeln im Viertelstunden-Takt Autofähren hinüber. Das weite Hafengelände La Maddalenas zieht sich wie ein Saum entlang der niedrigen Häuserlinie mit sonnengebleichten roten Ziegeldächern und wechselnd gelben, rötlichen und grauen Fassaden. Einen Teil der geschäftigen Uferstraße zieren Palmen, dahinter reihen sich kleine Geschäfte, Fahrrad- und Motorrollerverleiher, Bars und Restaurants. An den Kais dümpeln kleine Mietschlauchboote, Gommone genannt, Fischer- und Segelboote, auch ein paar Ausflugsschiffe. Das angrenzende Marinegelände weist auf die jahrhundertelange militärische Bedeutung des Archipels hin. Sie endete 2008, als die NATO ihren Stützpunkt für Atom-U-Boote aufgab. Eine folgenschwere Schließung, sagt Enrico Lippi, Sprecher der Nationalpark-Behörde:

    "Es gab einen anhaltenden Geldfluss von der NATO-Basis in die lokale Wirtschaft. Nach 2008 erlebte die Wirtschaft eine starke Veränderung, einen Bruch. Die Leute mussten sich umorganisieren, das Gebiet seine eigenen Ressourcen finden für einen neuen Tourismus. Zuvor war nur der August wichtig, der Rest des Jahres interessierte keineswegs so wie nun heute."

    Wir spazieren durch die Fußgängerzone des 12.000 Einwohner zählenden Städtchens. Einige kleine Läden werben mit ihrem Angebot an sardischen Weinen wie dem roten Cannonau oder dem weißen Vermentino, mit Schinken oder einheimischem Korallenschmuck. Selbstverständlich herrscht kein Mangel an den typischen kleinen Bars und Straßenrestaurants. Auffallend ist, dass uns kaum nicht-italienische Touristen begegnen. Umberto Ciabattini betreibt nahe der Kirche Santa Maria eine Gelateria. Er meint, die Maddalenen hätten noch nicht recht begriffen, dass ihre Zukunft inzwischen am Tourismus hängt. Die Hauptinsel bietet zum Beispiel, mit einer Ausnahme, nur Drei-Sterne-Unterkünfte. Womöglich sollten sie sich an Umbertos Engagement ein Beispiel nehmen. Umberto ist 2010 mit seiner Frau aus der Toscana gekommen:

    "Wir sind hierhergezogen, weil unser ursprünglicher Geschäftsbereich, die Lederherstellung, am Ende ist. Daher haben wir uns zu diesem Neubeginn als Eishersteller entschlossen, hier auf La Maddalena, einer sehr schönen Location. Und meine Frau und ich wollen unbedingt nur höchste Qualität anbieten. Das Eis muss mir schmecken. Wenn es mir nicht schmeckt, schmeckt es auch ihnen nicht."

    Verblüffenderweise trägt der ehemalige Ledergerber keineswegs dick auf. Was Umberto in Hörnchen und Bechern über die Theke reicht, erinnert an Köstliches wie etwa von Bertillon in Paris.

    "- "Meine Frau und ich sind Gelato-Fans. Wir haben die ganze Stadt nach dem besten Hersteller abgesucht. Das ist er."
    - "Ach, wunderbar, das kann man gar nicht beschreiben. So ein Eis hab' ich in meinem ganzen Leben noch nicht gegessen."
    - "Ja, wundervoll.""

    Mit steigen in den Wagen und erkunden die rund 20 Quadratkilometer große Hauptinsel auf der Panoramastraße. Sie führt zu malerischen Klippenbuchten, lässt immer wieder über zerklüftete Granitfelsen staunen und lädt an größeren und kleineren Sandstränden zum Baden in den begeisternden Blautönen des klaren Meeres ein. Das alles erweist sich als Einstimmung auf die etwas kleinere Nachbarinsel Caprera. Die Fahrt über eine niedrige, schmale Deichstraße führt zunächst in einen ausgedehnten Pinienwald. Darin liegt das historische Landgut von Giuseppe Garibaldi. Der Mitbegründer Italiens hat dort ein Vierteljahrhundert bis zu seinem Tod 1882 als Bauer, Fischer und politischer Vordenker gelebt. Erst im vergangenen Sommer hat Staatspräsident Giorgio Napoletano eine multimediale Gedenkstätte eingeweiht. Das "Memoriale Garibaldi" liegt in einer ehemaligen Festung. Was das Herz des großen Italieners für Caprera eingenommen hat, das zu erfahren laden einige Wanderwege ein.

    "Es gibt rund 13 Wanderwege, mit denen man verschiedene Strände erreichen kann. Besonders im Norden, Nordwesten und auf der Ostseite gibt es viele unterschiedliche Strände und Landschaften. Manchmal, gerade im Frühjahr, können solche Strände exklusiv sein, weil man dort alleine ist. Im Sommer, vor allem im August, sind viele Leute da. Weshalb die Strände dann nicht weniger schön sind, aber wenn man sie für sich hat, macht das einen Unterschied."

    Enrico Lippi fügt hinzu, dass die Wanderwege der italienische Alpenverein gekennzeichnet hat. Einer der schönsten führt durch die fantasieanregende Felslandschaft des hellen Granitrückens von Caprera hinab zur östlichen Cala Coticcio. Mal erinnern Felsen an einen Kaktus, mal an einen Adlerkopf, mal an eine riesige Krabbe mit weiten Scheren.

    Spätestens beim Erreichen der karibisch schönen kleinen Badebucht wundert es uns nicht mehr, dass der Archipel 1994 zum Nationalpark erklärt worden ist, ja, erklärt werden musste.

    Im ehemaligen Militär-Stützpunkt Stagnali auf Caprera hat die Nationalpark-Behörde ein Umweltzentrum eingerichtet. Darin gibt es auch ein Projekt zur Erforschung der Delfine von La Maddalena. Gerne informiert Wissenschaftlerin Irene Gallante Besucher, oft Familien, über diese Meeressäuger. Im Sommer veranstaltet sie auch Wochenseminare, in denen junge Leute ihre Arbeit unterstützen können.

    "Wir haben hier das ganze Jahr über eine Population. So können wir uns ein Bild von den Flaschennasen-Delfinen machen und sie verstehen lernen. Es sind 45 bis 50 Tiere sowie einige weitere, die man nur einmal sieht. Im Sommer ist es sehr schwierig, die Delfine zu finden. Es sind zu viele Boote unterwegs. Im Winter kommen sie ganz nahe an die Küste. Manchmal schwimmen sie unter der kleinen Damm-Brücke zwischen Caprera und Maddalena."

    Gerne möchte Irene Besuchern vom Boot aus die Delfine zeigen. Die Tiere sind allerdings ständig in Bewegung. Um den jeweiligen Aufenthaltsort zu erfahren, bräuchte sie die Mithilfe der Fischer. Doch die machen nicht mit: Sie ärgern sich, dass die Delfine sich in ihren Netzen verfangen und sie dabei beschädigen. Mit den Einnahmen würde Irene gerne ihr chronisch schmales Budget aufbessern.

    In einem schnellen Zodiac fahren wir mit dem Meeresbiologen Yuri Donno zu der nördlichen Insel Budelli. Er zeigt uns die Cala Rosa, die rosa Bucht, seitlich eingerahmt von wind- und wassergeformten Felsbändern. Seit Filmregisseur Michelangelo Antonioni sie 1964 in seinem Film "Die rote Wüste" gezeigt hat, sind die Besucher geströmt – und der wunderbare Sand ist zusehends verschwunden: als Souvenir in Tüten und Flaschen. Gerade wollen zwei Männer an Sperrbojen vorbei in die Bucht schwimmen. Yuri fordert sie auf, sofort wieder in ihr Boot zurückzukehren.

    Anfang der 1990er-Jahre ist der Strand gesperrt worden und bis heute nur aus einem Sicherheitsabstand zu betrachten. Mit Erfolg, denn die rosa Farbe kehrt wieder zurück, erklärt Yuri:

    "Die Farbe stammt von einem korallenartigen Kleinstlebewesen, das sich an das Posidonia-Seegras anheftet. Das sind diese sehr langen grünen Fasern hier unten im Wasser. Wenn die Mikro-Organismen sterben, lösen sie sich vom Posidonia und treiben an den Strand. Doch bis das geschieht, vergeht sehr, sehr viel Zeit. Und die Strömungsverhältnisse wechseln oft."

    Yuri zeigt uns auch die benachbarte Insel Santa Maria. Sie ist neben der Hauptinsel das einzige bewohnte Eiland. Die 20 Häuser dürfen jedoch nur im Sommer genutzt werden. Neubauten sind verboten. Da die vorhandenen aber umgebaut werden dürfen und an einer überaus malerischen Bucht stehen, haben sich einige Millionäre eingekauft, darunter der Oscar-prämierte Filmregisseur Roberto Benigni. Dieses Jahr hat die Wirtschaftslage Italiens für weniger Besuchertrubel in der Bucht gesorgt. Immerhin ein positiver Nebeneffekt der Krise, sagt Yuri:

    "Das Problem beim Naturschutz ist, dass es weniger Tourismus geben muss. La Maddalena ist für nachhaltigen Tourismus bereit. Ob es die Italiener auch sind, wer weiß."

    Yuri spielt auf das noch stark ausbaufähige Öko-Bewußtsein seiner Landsleute an, was sich direkt an der schmalen Finanzausstattung der Nationalparkbehörde zeigt. Vor allem im Frühjahr und Herbst setzt die Nationalparkbehörde für die Zukunft auf nachhaltigen Tourismus. Sie erhofft sich mehr naturbegeisterte Besucher aus den mitteleuropäischen Ländern. Für sie werden nach Caprera auch auf der Insel Spargi, wo nicht nur die Cala Corsara lockt, 2013 neue Wanderwege eröffnet.
    NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG: Die Küste von La Maddalena
    Die Küste von La Maddalena (Andreas Burmann)