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Die weibliche Revolution

Demonstration, Revolution, Studentenproteste - vor vierzig Jahren gingen die Studenten auf die Straße, um für eine neue Gesellschaft zu demonstrieren. Besonders jungen Frauen erschien das klassische Rollenbild des Heimchens hinter dem Herd nicht mehr zeitgemäß.

Von Ulrike Greim |
    "Dass es so etwas bei uns gab, hab ich wirklich nicht gewusst."

    "Wir haben auch in dieser Stadt nichts von 1968 wahr genommen."

    Zwei Frauen, keine politisch aktiven, erzählen von 1968 in der DDR. Die eine lebte als Hausfrau in Thüringen, die andere als Lehrerin in Sachsen-Anhalt. Was sie hatten, waren spärliche Informationen.

    "Ich habe auch gehört, was sich in Westdeutschland und Berlin in der Zeit abgespielt hat."

    "Natürlich wussten wir, was da politisch passiert ist in Prag und so, und haben uns mehr oder weniger darüber erregt. Mich persönlich hat das Jahr 1961 wesentlich stärker mitgenommen."

    So war das in der DDR. Da gab es mehrere Daten, die sich in den Biografien verankern: der Mauerbau 1961 oder gar der 17. Juni 1953, erst recht die Revolution 1989.

    Nun sitzen also diese beiden älteren Damen in der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf und staunen, was es da alles gab, 1968 in der DDR.

    "Das war sozusagen meine politische Initiation. Für mich begann damit ein politischer Weg, der folgerichtig mit immer größer werdendem Engagement bis 1989 führte, und natürlich auch weiter."

    Barbara Sengewald war 1968 eigentlich erst ein Teenager. Aber Politik war in ihrer Weimarer Familie nicht wegzudenken, erzählt sie. Mit Vater und Bruder verfolgte sie Studentenproteste und Flower Power in der Bundesrepublik am Radio, erst recht den Prager Frühling. Als am 20. August 1968 der Warschauer Pakt mit Panzern auf dem Wenzelsplatz in Prag alle Reformbemühungen zunichte machte, wurde Barbara Sengewald panisch, sagt sie. Ist das Krieg? Das Ende von einem verheißungsvollen Anfang? Sie kämpft mit den Tränen.

    "Tja, eine Hoffnung ist gestorben."

    Und da habe ihr politisches Engagement begonnen, erzählt sie heute. Gepaart mit vielen neuen Ideen. Denn auch das neue 68er Lebensgefühl machte an der innerdeutschen Grenze nicht halt.

    "Das war alles so eine Stimmung, auch die Musik: Bob Dylan, Stones, das war also auch richtig präsent."

    Die Stimmung brachte auch einen neuen Blick auf Lebensformen mit sich: Die Kommune eins hat auch DDR-Jugendliche und junge Erwachsene begeistert. So erzählt es Franziska Groszer, damals Ost-Berlin.

    "Ich lebte mit Mann und zwei Kindern in anderthalb Zimmern bei meiner Mutter. Und für mich war relativ schnell klar, dass mich dieses Projekt 'Ehe' nicht auf Dauer reizen könnte."

    Sie gründete trotz der recht bescheidenen Wohnungsmarkt-Situation in Berlin in einer Dreiraumwohnung die Ost-Kommune Eins.

    "Zwei Paare, drei Kinder und ein, zwei, drei Einzelpersonen."

    War eine tolle Zeit, sagt die Rentnerin heute. Gemeinsam leben, gemeinsam Kinder erziehen, gemeinsam streiten, nicht zu vergessen die Frauensolidarität - das sei schon etwas gewesen.

    "Es war natürlich auch mit Schwierigkeiten verbunden, weil sofort die Staatssicherheit auf dem Plan stand. Das war Gesprächsstoff. Und Leute kamen von sonst woher, einfach, weil alle Leute oder viele junge Leute begierig waren, so ein Modell mal zu diskutieren."

    Es habe etliche solcher Wohnexperimente in der DDR gegeben, sagt Franziska Groszer, auch wenn keines lange gehalten habe, auch ihres nicht.

    Zur Tagung, die die Evangelische Akademie Thüringen gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Berlin veranstaltete, erzählten Frauen aus Ost und West ihre Geschichten. Es sind individuelle, höchst widersprüchliche Biografien.

    Während für Westfrauen 1968 das prägende Jahr war, so sahen es viele Ost-Teilnehmerinnen als einen schleichenden Prozess, der eher im Kleinen verlaufen sei.
    Dennoch: Die Themen seien ähnlich gewesen. Auch die Rebellion gegen die Elterngeneration, nun sogar im Doppel: gegen NS-Vergangenheit und DDR-Systemtreue. In einer Kleingruppe zeigt Petra Morawe Bilder ihrer Mutter. Als strahlendes Mädchen in Uniform des Bundes deutscher Mädchen mit Hakenkreuzfahne in der Hand; später als feuriges Mitglied der Freien Deutschen Jugend. Beide Systeme hätten der jungen Frau Bildungschancen eröffnet. Die seien zwar verzweckt gewesen - man wollte die Arbeitskraft der Frauen im Krieg und im Aufbau der DDR, aber nicht ihre Individualität - aber immerhin:

    "Meine Mutter hatte also einen Beruf gehabt, sie hat studiert, war Lehrerin dann geworden, sie hat junge Kindergärtnerinnen ausgebildet. Und das war natürlich eine Option in ihrem Leben, wovon sie, als sie 14, 15, 16, 17 war, nicht träumen konnte, dass sie in eine solche Position kommt. Das war für sie auch etwas, was sie mit Händen und Füßen verteidigt hätte."

    Die Mutter hat es verteidigt - wie ihre Genossen auch - mit allen Mitteln des Systems. Den Prager Frühling habe man als Konterrevolution verstanden, der niederzuschlagen war.

    "Da haben die sich bedroht gefühlt. Für die war sozusagen die Gesellschaft, die sie ja jetzt mit zu verantworten hatten, die sie aufgebaut haben, die wollten sie jetzt nicht hergeben. Da hat sich für sie auch etwas realisiert."
    1968 war für West-Frauen die Initialzündung der Frauenbewegung. Im Osten dauerte der Weg länger, sagt Ulrike Poppe, Zeitzeugin und als Studienleiterin der Berliner Evangelischen Akademie Mitveranstalterin der Tagung. Obwohl Frauen in der DDR viel eher selbstverständlich berufstätig, und eher juristisch den Männern gleich gestellt waren, war der Weg zu einem emanzipierten Selbstbild viel länger. Es sei - spät, aber immerhin - auch um frauenspezifische Themen gegangen.

    "Gleichwohl muss ich sagen, dass die Frauenbewegung in der DDR im Wesentlichen nicht eine Bewegung war für die Gleichstellung der Frau. Sondern eine Bewegung, in der sich Frauen für Frieden, für Gerechtigkeit, für einen anderen Umgang mit den Kindern in den Schulen, gegen Militarisierung. Also: Wo sich Frauen in verschiedenen Politikfeldern mit ihrer Stimme und mit ihrer Position eingebracht haben."

    1968 seien Frauen in Ost, vor allem aber in West erst langsam erwacht und hätten deswegen in dieser Revolte noch eine untergeordnete Rolle gespielt. 1989 sollte sich das ändern, sagt Ulrike Poppe. Dennoch: Die 68er Ideen eines freien Lebens haben Frauen in Ost und West inspiriert. Zu Menschlichkeit und Mut, zu politischem Engagement und Revolution. Noch einmal Franziska Groszer:

    "Ich glaube auch, dass dieser Emanzipationsvirus, der in Prag entstanden ist, und uns in der DDR infiziert hat, dass der weitergegangen ist, und letztlich auch für 1989 mit eine Rolle spielt."