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Die Weinkammer der roten Zaren

Das Land Moldau – einst Sowjetrepublik Moldavien – liegt zwischen Rumänien und der Ukraine. Seine vier Millionen Einwohner gehören zu den ärmsten Europas. In einer Beziehung aber hat Moldau strategische Bedeutung: Es gehört zu den bedeutendsten Weinanbaugebieten der Welt.

Von Mareike Aden |
    Von der Straße "Merlot" geht es auf die Straße "Sauvignon Cabernet". Mit großer Geschwindigkeit lenkt der Fahrer den offenen Wagen durch die schwach beleuchteten Gänge des Weinkellers von Cricova, fast 90 Meter tief unter der Erde. Auf der Rückbank sitzen sechs Besucher, die im Fahrtwind frösteln. Holzfässer aus dunkler Eiche sind an den Wänden aufgereiht. Das Tunnellabyrinth ist eigentlich eine Mine, erzählt Fremdenführerin Natalia. Doch seit 1954 lässt die Kellerei Cricova hier Weine reifen.

    "Über der Erde haben wir eine Produktionsfabrik und noch eine im Süden des Landes, wo auch unsere Weinberge sind. Und die besten Weine werden hier unter der Erde gelagert, in einem ganz besonderen Mikroklima: Es ist hier konstant zehn bis zwölf Grad kühl und die Luftfeuchtigkeit beträgt 97 bis 98 Prozent – so ist der Verlust durch Verdunsten minimal."

    Bevor die Führung durch das Labyrinth von Cricova weitergeht, fotografieren die Touristen die endlos scheinenden Gänge, mit den riesigen Eichenfässern. Derzeit wird auf einer Länge von 60 Kilometern Wein gelagert, erklärt Fremdenführerin Natalia ihren Gästen. Eine von ihnen ist die 31 Jahre alte Anna Malatester, die aus Moldau stammt, aber seit vier Jahren in den USA lebt. Sie ist mit ihrem Mann Blake aus Kalifornien gekommen, um ihm das Herzstück der Moldauer Weinindustrie zu zeigen.

    "Cricova ist die berühmteste Kellerei in unserem Land. Es gibt auch immer mehr andere gute Weingüter, aber keines hat so eine reiche Geschichte wie Cricova. Von den Weinen gefällt mir Kargor am besten, ein süßer Dessertwein. Und mit dem Namen Cricova verbinden wir außerdem den besten Sekt. Der muss bei jeder Feier dabei sein – zu ihm gibt es einfach keine Alternative."

    Natalia führt Anna Malatester und die anderen Besucher in ein unterirdisches Gewölbe, in dem schon zu Sowjetzeiten Cricova-Sekt hergestellt wurde.

    Mittlerweile ist die Kellerei im Staatsbesitz von Moldau und mit ihren Gewinnen unterstützt sie kräftig den Staatshaushalt des armen Landes. Die größten Umsätze erzielt Cricova in Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Als Russland von März 2006 bis Oktober 2007 ein Embargo über Weine aus Moldau verhängte, weil es bei vielen Herstellern Qualitätsmängel kritisierte, versuchten führende Kellereien wie Cricova ihren Export zu diversifizieren. Doch Weintrinker im Westen seien skeptisch, sagt Wadim Drobis, Experte der russischen Alkoholindustrie.

    "Es gibt wirklich großartige Weine in Moldau. Und nun wo sie wieder in Russland zu kaufen sind, bevorzuge ich eine Flasche Wein aus Moldau für umgerechnet fünf Euro gegenüber einem französischen Wein der gleichen Preisklasse. Aber Kunden im Westen davon zu überzeugen, ist fast unmöglich. Sie haben eine ganz eigene Mentalität. Ich denke nicht, dass ich den Tag erlebe, an dem Wein aus Moldau bei ihnen populär wird."

    Andrej Cholostenko, der Chef der Nationalen Weinsammlung von Cricova, hört solche Einschätzungen ungern – er ist stolz auf die Kellerei und ihre Schätze, deren Hüter er ist. In einem feierlich beleuchteten Gewölbe, in dem ein ewiges Feuer brennt, empfängt er Besucher. Um ihn herum lagern in Regalen über 1,5 Millionen Flaschen, um im idealen Cricova-Klima zu reifen. Darunter sind einige der edelsten Tropfen der Welt – und echte Sammlerstücke.

    "Wir haben begonnen Weine zu sammeln, als wir die Sammlung von Hermann Göring bekamen, die die Rote Armee als Kriegs-Reparation mitbrachte. Göring als zweiter Mann in Nazi-Deutschland war ein großer Sammler und Weinkenner. Als vor kurzem ein Spezialist aus dem Auktionshaus Sotheby's hier war, wollte er unbedingt Flaschen von Göring kaufen. Aber wir können sie nicht hergeben, sie sind nationales Eigentum von Moldau."

    Auf rund 50.000 Euro pro Flasche schätzte der Auktions-Spezialist damals den Wert der Göring-Weine. Unverkäuflich ist auch ein Rotwein aus Jerusalemer Trauben, Jahrgang 1902. Andere Flaschen sind nicht verkäuflich, weil sie jemandem gehören: Wladimir Putin zum Beispiel lässt seine Weine im idealen Klima der Cricova-Unterwelt reifen. Außerdem ist bekannt, dass Andrej Cholostenko gelegentlich Bestellungen vom britischen Königshaus bekommt.

    Besucherin Anna Malatester und ihr Mann Blake wollen nach der Weinprobe den Fabrikladen besuchen:

    "Wir werden so viel Wein wie möglich mitnehmen nach Kalifornien, damit unsere Bekannten Cricova selbst probieren können. Und danach fragen sie hoffentlich nicht mehr, warum ich so viel über Wein weiß."

    Und sie werden verstehen, hofft Anna, warum sie so oft ins Schwärmen gerät: Über Wein aus Moldau und den legendären Weinkeller von Cricova.