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Die weite Welt der Proteine

Biologie. – Das menschliche Erbgut ist fast völlig entziffert, jetzt folgt der nächste, mindestens ebenso schwierige und aufwändige Schritt: die Analyse der aus den Gen-Bauanleitungen erzeugten Eiweiße und ihrer vielfältigen Aufgaben. Die Humane Proteom Organisation will alle Eiweiße im menschlichen Körper aufspüren. Um dieses riesige Projekt vernünftig zu organisieren, wurden zunächst verschiedene Organe einzelnen Ländern zugeordnet. China wird sich etwa um die Leber kümmern, die USA beschäftigen sich mit dem Blutserum und - im Land der Dichter und Denker vielleicht nicht anders zu erwarten - Deutschland wird sich der Eiweiße des Gehirns annehmen. Um dieses Projekt voranzubringen, findet seit Dienstag in Düsseldorf ein internationaler Workshop des Human Brain Proteom Projects. .

    Von Volkart Wildermuth

    Das Genom, die Gesamtheit der Erbanlagen steckt für jeden Organismus nur den Rahmen seiner Möglichkeiten ab. Was er daraus im Laufe seines Lebens macht, das spiegelt das Proteom wieder, die Summe aller Eiweiße. Viele Proteine sind allgegenwärtig, sie übernehmen sozusagen die nötigen Hausarbeiten der Zelle. Dann gibt es Spezialisten, die etwa für Muskelkraft sorgen oder für Nervenimpulse und schließlich sind da Eiweiße, die nur in besonderen Situationen aktiv werden, etwa in der Pubertät oder während einer Infektion. Anders als das statische Genom ist das Proteom immer in Bewegung. Je nach dem, welches Gewebe die Forscher zu welcher Zeit untersuchen, erhalten sie ein anderes Ergebnis. Besonders kompliziert ist die Situation im Gehirn, schließlich handelt es sich um das wandelbarste aller Organe, das von jeder neuen Erfahrung verändert wird. Trotz dieser Schwierigkeiten ist Professor Joachim Klose vom Institut für Humangenetik an der Berliner Charite davon überzeugt, dass es höchste Zeit ist, sozusagen aus der Vogelperspektive einen umfassenden Überblick über die Arbeit des Gehirns zu gewinnen.

    Diese Projekte wie das jetzt mit dem Gehirn gestartete, ist der große Versuch, an solche komplexen Fragestellungen systematisch heranzugehen: man untersucht jetzt eben nicht mehr nur einzelne Proteine, die einen zufällig auffallen in einem Krankheitsbild, sondern man versucht alle Proteine im menschlichen Gehirn aufzutrennen, zu identifizieren und zu sehen, wie sie sich unterscheiden zwischen Mann und Frau, wie sie sich im Alter verändern und wie sie unterschiedlich sind zu anderen Geweben.

    Unzählige solcher Schnappschüsse von Gehirnzuständen, gesehen durch die Lupe des Proteoms, lagern in hohen Stapeln in Kloses Büro an der Berliner Charite. In den braunen Din A 3 Umschlägen sind, sorgsam beschriftet, große, pergamentartige Blätter, auf denen viele tausend schwarze Punkte zu sehen sind. Auf diese Bilder ist der Forscher ziemlich stolz. Jahrzehntelang hat er die Kunst perfektioniert, zunächst die Eiweiße eines Gewebes zu reinigen und sie dann in zwei Dimensionen aufzutrennen und sichtbar zu machen. Heute gibt es kaum ein anderes Labor, welches das Proteom eines Gewebes, die Gesamtheit seiner Eiweiße so detailliert sichtbar machen kann. Andere Mitglieder des Human Brain Proteom Projects haben sich zum Beispiel darauf spezialisiert, die schwarzen Punkte auszustechen und mit Hilfe modernster Verfahren zu identifizieren. Gemeinsam wollen sie zunächst das normale Gehirn auf der Ebene der Eiweiße kartieren. Allerdings gibt es da eine ganz praktische Schwierigkeit.

    Es ist paradoxer Weise so, dass wir viel leichter Krankheitsgewebe bekommen, von Alzheimer, Parkinson, Epilepsie und so weiter als von Normalpersonen. Das ist eigentlich auch klar, denn man hat keinen Grund von Normalpersonen Gehirne zu entnehmen, aber wenn wir eben nicht den Vergleich nicht haben zwischen dem Kranken und dem Normalen, dann wissen wir eben auch nicht, ob eine Veränderung jetzt nur an der Krankheit liegt oder ob es eine normale Variabilität ist.

    Weil das menschliche Durchschnittsgehirn so schwer zu erhalten ist, zeigen die meisten Punktewolken auf den Bildern von Joachim Klose die Eiweiße des Mäusegehirns. Er hat junge Mäuse und alte Mäuse analysiert, Männchen und Weibchen, Gesunde und Kranke. Zum Beispiel eine Maus, die an der Nagervariante des Veitstanzes leidet. Menschen mit dieser Erbkrankheit verlieren mit vierzig, fünfzig Jahren die Kontrolle über ihre Bewegungen und ihren Geist. Die Mäuse durchleben diesen Krankheitsverlauf im Schnelldurchgang.

    Die Mäuse werden gesund geboren und dann entwickelt sich die Krankheit und mit zwölf Wochen sterben die Tiere. Das heißt wir haben das Gehirn der Mäuse genommen, aufgetrennt und sehen dann richtig je mehr die Krankheit zunimmt, wie sich bestimmte Proteine verändern. Das heißt, sie werden weniger oder sie werden mehr oder sie machen irgendwelche Modifikationen durch. Und diese Proteine, die wir da sehen, die isolieren wir und charakterisieren sie. Und da haben wir mehrere Proteine gefunden, die dann tatsächlich auch beim Menschen dieselben Veränderungen zeigen.

    Die Genomforschung konnte schon vor längere Zeit klären, welche genetische Veränderung der Auslöser des Veitstanzes ist. Die Proteomik beschreibt den Krankheitsverlauf, der sich daraus ergibt und registriert dabei die Gesamtheit aller Veränderungen. Welche Bedeutung die dann im Einzelnen haben, dass muss dann wieder handfeste Laborarbeit am dem konkreten Eiweiß zeigen.