Die famosen Nachrichtenkanäle n-tv und N24 lieferten derweil das im Falle deutscher Improvisation übliche unbeholfene Schülerfernsehen. Ganz peinlich wurde es aber am Dienstag dieser Woche mit der großen ZDF-Spendengala. Zwar hat es sich herumgesprochen, dass Tanzen, Biertrinken und Freiluft-Lustbarkeiten an einem von Leichen übersäten Strand nicht unbedingt angemessene Äußerungsformen von Hilfsbereitschaft seitens europäischer Feriengäste sind, aber dass dies auch für das Unterhaltungs-Tralala deutscher Fernsehsendungen gelten könnte, ist ein Gedanke, von dem sich beim ZDF niemand irritieren lässt. Schließlich ging es ja um einen guten Zweck, und der Ertrag von mehr als 40 Millionen Euro heiligt alle ästhetischen Mittel. Die Drohung mit dem guten Zweck haben sich freilich auch schon jene Urlauber zueigen gemacht, die in dumpfer Indolenz an thailändischen Hotelbars hocken bleiben und erklären, sie würden damit Arbeitsplätze sichern.
Wenn aber der belgische Schnulzensänger Helmut Lotti einen Katastrophensong vorträgt, dessen Mittelteil darin besteht, zum süßlichen Gewimmer der Saiteninstrumente und dem wohligen Pulsieren des Schlagzeugs langsam und rhythmisch die Länderliste mit den Totenzahlen abzuarbeiten, dann ist eine Stufe kulturindustriellen Trauerkitschs erreicht, die schon etwas Barbarisches hat. Und dies war wahrlich nicht der einzige Moment des Grauens an diesem fürchterlichen Fernsehabend. Schließlich wurde jeder Künstlerauftritt visuell mit einem Tsunami-Filmverschnitt garniert, bis man zwischen Liebeslied und Lazarett, zwischen Silbermond und Kindertod gar nicht mehr unterscheiden konnte. Die ZDF-Verantwortlichen konnten das offenbar von vornherein nicht; sie lieferten mit dieser schizophrenen Schmerzens-Show immer beides: die unerträgliche Seichtigkeit von Mainz und die triefende Betroffenheit eines professionellen Leid-Wesens wie Johannes B. Kerner.
Der sprach gegen Ende den vielsagenden Satz: "Wir wollen an diesem Abend, der auch ein Abend der Freude ist, nicht in Vergessenheit geraten lassen: dies ist auch ein Abend der Trauer." Sehr richtig! Oder anders ausgedrückt: Wir sind in unserer Anstalt alle etwas durchgeknallt und können nicht denken, sondern nur senden. Was übrigens fürs Erste Deutsche Fernsehen ganz genauso gilt. Denn dort ließ Sandra Maischberger die Stunde der Wichtigtuer schlagen, die jetzt die internationale Nothilfe neu erfinden. In der Tat gründet zur Zeit fast jeder deutsche Unterhaltungskünstler eine eigene Seebebenopfer-Stiftung, eröffnet ein eigenes Konto und bastelt eine eigene Website. So auch die 37-jährige Schauspielerin Natalia Wörner, die das Desaster erfreulicherweise unverletzt überstand und sich im Fernsehstudio darüber auslassen durfte, wie sie nun gedenkt, Thailand wieder aufzubauen. Wer noch ein paar Euro spenden will, kann nun zwischen ganz verschiedenen Organisationen wählen: Rotes Kreuz oder Natalia Wörner.