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Die Welt der Kykladen

Die Kultur der Kykladen ist berühmt für ihre Menschengestalten aus Marmor. Diese beeinflussten Künstler wie Picasso und Henry Moore in ihrer Abstraktheit. Das Badische Landesmuseum wirft in einer Sonderausstellung einen Blick auf die Lebenswelten dieser frühzeitlichen Kultur.

Von Christian Gampert |
    Kyklos heißt Kreis – und kreisförmig sind die Kykladen um Delos, die Insel des Apoll, angeordnet. Sieht man in der Ausstellung die Fotos dieser wunderbaren, in Wind und Hitze gelegenen Erhebungen in der Ägäis, und betritt man die begehbare Landkarte, die uns in die Ausstellung hineinzieht, dann möchte man sofort hinfahren nach Griechenland und die neuesten Grabungen anschauen, mit denen etwa der Engländer Colin Renfrew 2008 das Heiligtum von Keros freilegte. Allein: Eine geplante Pressereise scheiterte am griechischen Verwaltungschaos, und die wirklich sehr schöne Ausstellung präsentiert kein einziges Exponat aus griechischen Museen. Die Eurokrise hat jetzt auch den Museumsbetrieb erreicht: Griechenland forderte vom Badischen Landesmuseum plötzlich die Restitution bestimmter Objekte. Darüber aber kann aber nur das Land Baden-Württemberg entscheiden, und das dauert Jahre. Ergo: Keine Leihgaben aus Griechenland.

    Der Hintergrund ist folgender: Viele Kykladen-Objekte stammen aus Raubgrabungen oder zumindest aus unsauberer Quelle; es gab auch Fälschungen. In den 70er-Jahren hat das Badische Landesmuseum sehr viel gekauft - das war oft mindestens fahrlässig, sagt die Kuratorin Katarina Horst, und es belastet jetzt die Beziehungen.

    "Wir sind in Kontakt, wir sprechen noch miteinander, wir hoffen auf beiden Seiten, dass sich eine Lösung findet. Aber manche Sachen stehen im Raum, die wir als Museum nicht lösen können, sondern nur unser Ministerium, und wir hoffen, dass es da mal zu einer Lösung kommt."

    Die Ausstellung präsentiert nun zumeist gut recherchierte Exponate aus den besten europäischen Museen, unter anderem einen Kykladenkopf aus dem Louvre; sie führt auch Grabbeigaben wieder zusammen, die auf verschiedene Museen verteilt waren. Und sie führt uns ein in eine alte Kultur, die schon in der Steinzeit einen handwerklichen Vorsprung hatte: Auf den Kykladen fand sich Obsidian, ein scharfes vulkanisches Gestein, mit dem man schneiden konnte. Außerdem gab es auf der Inselgruppe Blei und Silbererze, mit denen man dann Werkzeuge herstellte – der Beginn der Bronzezeit. Um 2700 vor Christus fertigte man auf den Kykladen die ersten kleinen Marmorfigürchen, sogenannte Idole - mit glatten und sehr stilisierten Zügen. Die Archäologen des 19. Jahrhunderts mokierten sich zunächst über die angebliche "Rohheit" dieser Figuren; Künstler wie Henry Moore, Hans Arp, Archipenko und auch Picasso aber erkannten deren fast abstrakte Qualität und nahmen diese Formensprache wieder auf.

    Wozu aber dienten diese kleinen Skulpturen in der Steinzeit? Katarina Horst sieht sie als Mittler.

    "Wir glauben, es sind keine Idole, also anbetungswürdige Figuren gewesen, sondern Medien, ein Medium für die Menschen. Und die haben diese Figuren benutzt, um Danksagungen und Wünsche an die Götter zu transportieren."

    Ähnlich wie in der orthodoxen Kirche, wo die Berührung einer Ikone den Kontakt zu einem Heiligen herstellen soll, brachten diese Mittlerfiguren offenbar Fürbitten in die Götterwelt, so sagen es neueste Forschungen. Die Skulpturen, die uns heute in makellosem Weiß entgegentreten, waren ursprünglich farbig bemalt und spiegelten dabei Lebensstationen des Besitzers – mit Körperverzierungen, die bisweilen an heutige Tattoos gemahnen. In Karlsruhe wird das anhand von Repliken demonstriert.

    Zentral für die Ausstellung ist die kleine Insel Keros; dort finden sich Orte, wo Hunderte kleinteiliger, abgebrochener Fragmente solcher Figuren lagern. Und das muss kultischen Zwecken gedient haben.

    "Wir nehmen an, dass auf den Heimatinseln die Figuren - aus irgendeinem Grunde wurde denen ein Stück abgebrochen oder sie wurden dort zerbrochen, und dann hat man nur ein Fragment nach Keros gebracht, und das über Jahrhunderte."

    Neben den Idolfiguren zeigt die Ausstellung auch die wenigen gefundenen Grabbeigaben, Siegel als Vorstufen administrativer Schrift, Alltagsgegenstände wie Geschirr – und sie rekonstruiert eindrucksvoll jene schmalen Langboote, mit denen die Kykladen-Bewohner paddelnd bis an die kleinasiatische Küste gelangten.

    Was letztlich zum Untergang dieser vorhellenischen Kultur führte, ist unklar – das griechische Festland hatte irgendwann mit der Einführung von Schriftsymbolen intellektuell die Nase vorn. Das heutige Griechenland sollte sich daran erinnern.

    Mehr Informationen zur Ausstellung "Kykladen - Lebenswelten einer frühgriechischen Kultur" finden sich auf der Homepage des Badischen Landesmuseums Karlsruhe.