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Die Welt des italienischen Belcanto

Die Welt des italienischen Belcanto ist das Spezialgebiet des britischen Labels 'Opera Rara'; allerdings stehen im Katalog der Plattenfirma nicht die großen Opernhits im Vordergrund, sondern Werkeinspielungen, die, nomen est omen, eher außerhalb des gängigen Repertoires liegen. Dazu gehören auch mehrere Werke des italienischen Komponisten Saverio Mercadante; dessen Oper 'Emma d' Antiochia' ist im vergangenen Jahr als dritte Mercadante-Einspielung bei Opera Rara erschienen.

Von Klaus Gehrke |
    * Musikbeispiel: S. Mercadante - aus: "Emma d' Antiochia"

    Einst war Saverio Mercadante ein gefeierter Opernkomponist, dem die Primadonnen und das Publikum gleichermaßen quasi zu Füßen lagen; der Weg dorthin dürfte für ihn jedoch nicht leicht gewesen sein. Mercadante, 1795 in Altamura geboren, war nur drei Jahre jünger als Gioacchino Rossini. Sowohl gegen ihn als auch Vincenzo Bellini und Gaetano Donizetti musste Mercadante sich auf dem heiß umkämpften italienischen Opernmarkt durchsetzen. 1819 trat er in Neapel mit Ballettmusiken erstmals als Komponist in die Öffentlichkeit, ein Jahr später folgte sein Operndebüt. Wieder ein Jahr später konnte Mercadante mit 'Elisa e Claudio' seinen ersten großen Erfolg an der Mailänder Scala verbuchen. Da viele andere Bühnen dieses Werk bald nachspielten, wurde er in den großen Musikzentren Europas rasch bekannt und erhielt zahlreiche Aufträge für weitere Opern. 'Emma d' Antiochia' bestellte das Teatro La Fenice in Venedig, wo die Oper am 8. März 1834 in Szene ging. Die Handlung spielt im syrischen Tyros des 12. Jahrhunderts. Adelia, die Tochter des Grafen Corrado di Monferrato, will ihren Cousin Ruggiero heiraten, obwohl sie weiß, dass er einst eine andere liebte. Als ihr Vater von einem siegreichen Feldzug heimkehrt, präsentiert dieser Adelia und Ruggiero seine neue Ehefrau, die er aus machtpolitischen Gründen geheiratet hat: Emma, die Prinzessin Antiochiens. Sie ist jedoch auch die einstige Geliebte Ruggieros.

    * Musikbeispiel: S. Mercadante - 1. Akt (Ausschnitt) aus: "Emma d' Antiochia"

    Das war ein Ausschnitt aus dem ersten Akt der Oper 'Emma d' Antiochia' von Saverio Mercadante mit Nelly Miricioiu, Roberto Servile, Bruce Ford, Maria Costanza Nocentini und dem Geoffrey Mitchell Choir; das London Philharmonic Orchestra spielte unter der Leitung von David Parry. Obwohl Emma geistesgegenwärtig die peinliche Situation gerettet hat, indem sie Ruggiero als ihrem toten Bruder sehr ähnlich bezeichnet, nimmt die Tragödie unaufhaltsam ihren Lauf: in einem Gespräch unter vier Augen gestehen sich die beiden erneut ihre Liebe - eine Liebe, die angesichts der Umstände zum Scheitern verurteilt ist. Es singen wieder Nelly Miricioiu als Emma und Bruce Ford als Ruggiero, sie werden begleitet vom London Philharmonic Orchestra unter David Parry.

    * Musikbeispiel: S. Mercadante - 1. Akt (Ausschnitt) aus: "Emma d' Antiochia"

    Der Text zu 'Emma d' Antiochia' stammt von Felice Romani, der zu den erfolgreichsten Librettisten seiner Zeit gehörte; neben Mercadante griffen seine Kollegen und Rivalen Rossini, Bellini, Donizetti und auch Giacomo Meyerbeer oft und gern auf Romanis Texte zurück. Gerade seine Liebestragödien vergangener Zeiten, die historische Figuren wie die englische Königin Anna Bolena einbezogen, erfreuten sich beim Publikum großer Beliebtheit. Mit der Wahl von Romanis 'Zaira', die kurz zuvor schon von Bellini vertont worden war, leitete Mercadante 1831 einen Stilwandel in seinem Schaffen ein: zum einen suchte er dem veränderten Publikumsgeschmack entsprechend dramatischere Werke aus, zum anderen eignete er sich Elemente der Bühnenwerke Meyerbeers an, die er in Paris kennen gelernt hatte. Mit der 1837 komponierten Oper 'Il Giuramento', die heute zu seinen bekanntesten Werken zählt, hatte Mercadante seine Tonsprache gefunden; in der lyrischen Tragödie 'Emma d' Antiochia' ist der musikalische Stilwechsel noch in vollem Gange: während der erste Akt deutlich hörbar nach dem späten Rossini klingt, sind im zweiten und dritten Akt vermehrt die Einflüsse Donizettis und besonders Meyerbeers zu erkennen. Der zweite Akt beginnt mit dem Ende der Hochzeit von Ruggiero und Adelia und der Verabschiedung der Gäste. Emma ist der Gedanke unerträglich, ihren Geliebten als Ehemann ihrer Stieftochter sehen zu müssen. Ruggiero kommt hinzu und erklärt Emma, die Stadt heimlich zu verlassen. Diesen Plan vereitelt jedoch Corrado, und die hinzugeeilte Adelia muss erkennen, dass ihre Befürchtungen sich bewahrheitet haben.

    * Musikbeispiel: S. Mercadante - 2. Akt (Finale) aus: "Emma d' Antiochia"

    Im Finale des zweiten Aktes sangen Nelly Miricioiu, Bruce Ford, Roberto Servile, Maria Costanza Nocentini, Colin Lee und der Geoffrey Mitchell Choir; das London Philharmonic Orchestra wurde geleitet von David Parry. Die Mitwirkenden der Produktion haben in Sachen Opernraritäten reichlich Erfahrungen: Nelly Miricioiu oder Bruce Ford waren bereits bei mehreren Opera Rara Aufnahmen dabei. Alle sind ausgewiesene Belcanto-Spezialisten; das gilt auch für den Dirigenten David Parry, der dem London Philharmonic Orchestra einen üppigen und zugleich seidigen italienischen Klangschmelz entlockt. Mercadantes 'Emma d' Antiochia' entwickelte sich nach der Premiere am 8. März 1834 in Venedig zu einem wahren Kassenschlager und wurde innerhalb kürzester Zeit in ganz Italien, Spanien und Portugal nachgespielt. Nach 1854 jedoch verschwand die Oper völlig von der Bühne. Erst 140 Jahre später – im Oktober 2003 - kam es, wenn auch nur konzertant, zu einer erneuten Aufführung in der Londoner Royal Festival Hall. Ob Mercadantes 'Emma d' Antiochia' wieder auf die Opernbühne zurückfinden wird, bleibe dahin gestellt; die musikalischen Qualitäten des Werkes sind durch die 'Opera Rara'-Produktion eindrucksvoll hervorgehoben worden. Eine Bereicherung des Belcanto-Repertoires stellt sie auf jeden Fall dar; es muss also nicht immer nur Bellini oder Donizetti sein...

    * Musikbeispiel: S. Mercadante - 3. Akt (Finale) aus: "Emma d'Antiochia"

    Das war ein Ausschnitt aus dem Finale des dritten Aktes mit Maria Costanza Nocentini, Roberto Servile, dem Geoffrey Mitchell Choir und dem London Philharmonic Orchestra; es dirigierte David Parry. Die in der heutigen Sendung vorgestellte Einspielung von Saverio Mercadantes 'Emma d'Antiochia' ist unter der Nummer ORC 26 beim Label Opera Rara erschienen.

    Saverio Mercadante: "Emma d'Antiochia”
    div. Solisten
    Geoffrey Mitchell Choir
    London Philharmonic Orchestra unter David Parry
    Label: Opera Rara
    Labelcode: LC 00691
    Bestellnr.: ORC 26