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Die Welt ist ein Ensemble

Anna Oppermann gilt als eine Ausnahmekünstlerin in der internationalen Kunstwelt. Denn ihre Arbeiten aus Prozess-, Konzept- und Bildkunst müssen für eine Ausstellung nicht nur "ausgestellt", sondern gleichsam auch "aufgeführt" werden. Aufgrund der aufwändigen Präsentationsanforderungen wurden ihre Ensembles nur selten gezeigt. Der Württembergische Kunstverein Stuttgart stellt sich nun der Herausforderung.

Von Christian Gampert |
    Die Ensembles, die Anna Oppermann gebaut hat, wirken zunächst wie unaufgeräumte Zimmer, in denen ein Sammler, ein erwachsenes Kind, Zettel, Notizen, Zeitungsausschnitte, Zeichnungen, Bilder und Gegenstände zu Stilleben arrangiert hat, scheinbar chaotisch, aber dann doch mit einem geheimen System. Es hat etwas Höhlenartiges: Ich ziehe mich zurück in mich selbst, ich archiviere mein Leben. Es hat aber auch etwas Offenes: Kommt alle her und schaut. Es hat immer ein Thema: der Raum, die Kunst, die Liebe, der Sex, das Pathos, das Sterben, das verobjektiviert wird, mit Zitaten aus der Wissenschaft. Es hat etwas Sakrales: die wie Bildtafeln aufgestellten Notizen und Zeitungsausschnitte sind wie heilige Texte aufgebaut, wie auf einem Altar, aber in einem heiligen Durcheinander, wie Menschen Münzen in einen Brunnen werfen oder Zettel mit Wünschen in Mauerecken stecken.

    Es schreibt sich immer fort, wird immer neu arrangiert, es lebt. Und es spiegelt sich in sich selbst, es wächst, es wuchert weiter: Die Ensembles werden in bestimmten Aggregatzuständen fotografiert, diese Bilder wiederum auf große Leinwände mit Foto-Emulsion aufgezogen und dann in die Ensembles integriert, sodaß der Eindruck eines Bilds im Bild entsteht, der Vergangenheit in der Gegenwart mit der Möglichkeit der Veränderung. In den Ausstellungen hat Oppermann die Leinwände dann zum Teil koloriert, kommentiert, mit Zitaten versehen - das Museum als Atelier.

    Auch der Württembergische Kunstverein Stuttgart wird in den letzten Wochen ein Atelier gewesen sein. Anna Oppermann ist seit 1993 tot, die Ensembles lagerten in Kisten, und der Aufbau dieser Arrangements ist nicht nur eine komplizierte Fleißarbeit, sondern auch ein kreativer Akt - manches ist festgelegt, aber vieles kann verändert werden. Und zum ersten Mal überhaupt sind hier sieben große Ensembles aus allen Werkphasen nebeneinander zu sehen, in einem überwältigend großen, klaren, heilignüchternen Vierecksaal, von dem ersten, noch in sich zurückgezogenen Spiegel-Ensemble bis zu den allerletzten, offenen, begehbaren, mit Decken-Elementen arbeitenden "Paradoxen Intentionen", die im Untertitel "Das Blaue vom Himmel herunterlügen" heißen, ein Werk, das die Krebs-Erkrankung der Künstlerin begleitete, seltsamerweise aber die fröhlichste, aber auch sarkastischste Arbeit.

    Anna Oppermann ist 1977 auf der "documenta" und später in Venedig durchaus beachtet worden; aber im Grunde ist ihre Arbeit die pure Markt-Verweigerung: sie entzieht sich allen Kategorien (ist das nun Konzeptkunst? Wortkunst? Installation?), sie ist schlecht verkäuflich (welches Museum halst sich so ein rituelles Trümmerfeld auf?), schwierig zu restaurieren und zu pflegen und aufwendig im Aufbau. Ute Vorkoeper, die Kuratorin der Stuttgarter Ausstellung, kam als Studentin zu Anna Oppermann, um eine Doktorarbeit über sie zu schreiben - und war urplötzlich in die Arbeit einer sterbenden Künstlerin involviert. Dass Vorkoeper, neben ihren vielen anderen Projekten, die Arbeit von Oppermann inventarisiert und betreut hat, ist sicher nicht nur Freude und Anregung, sondern auch Bürde gewesen. Dass sie diese gigantische Ausstellung zustandegebracht hat, ist ein Liebesdienst ohnegleichen; und die Bundeskulturstiftung hat erfreulicherweise gesehen, dass hier einmal etwas Einzigartiges zu fördern ist.

    Die Ausstellung ist auch eine Rückschau auf die siebziger bis neunziger Jahre: Anna Oppermann hat die Rolle des Künstlers und bestimmte Moden durchaus kommentiert - in der "Pathos-Geste" steht eine riesenhafte drohende Figur vor dem Ensemble, ein Reflex auf den Größenwahn der Neuen Wilden, der historisch ja mit anderen Pathos-Gesten etwa von Ronald Reagan zusammenfällt. Anna Oppermann aber baute sich einen Elfenbeinturm in eine Arbeit über "Raumprobleme", und von den Zinnen dieses Sperrholz-Gebäudes beobachtete sie die Reaktionen des Publikums. Sie integrierte skurrile "vermischte Nachrichten" in die Arrangements ebenso wie die Ablichtung ihres eigenen Körpers. Immer wird (auch ironisch) ein Thema quasi-wissenschaftlich umkreist, das pusht die Arbeit aus der biographischen Befangenheit heraus. "Postmoderne, hab mich gerne" heißt es neben einem durchaus ernst gemeinten Lyotard-Zitat. "Alle Verallgemeinerungen sind gefährlich, sogar diese!" steht mahnend in der letzten Arbeit. Die Ensembles sind überladen wie eine Rumpelkammer und doch ausgeklügelt wie ein Puzzle, voller Geistesblitze, Reflexionen, Kassiber, mit vielfach bearbeiteten Bildern aus einer bundesrepublikanischen Wirklichkeit, die sehr privat und sehr öffentlich ist und die nun wieder betrachtet und fortgeschrieben werden kann.